Rhiannons Geschichte: 11. Kapitel
(von Jennifer Fausek)
Commander Jeffrey Sinclair flog wie jeden Tag zusammen mit seinem besten Freund Michael Garibaldi die übliche Patrouille. Mit einem Gleiter der EarthForce sausten sie über die rote, steinerne, leblose Landschaft des Mars hinweg. Die kompakten Kuppeln und die weit verzweigten Röhrensysteme der Kolonie waren längst außer Sichtweite. Nicht eine Wolke trübte den rosarot scheinenden Himmel des Mars, aber Wolken gab es hier ohnehin nur sehr selten.
Seit Ende des Minbari-Krieges war Sinclair auf dem Militärposten auf dem Mars stationiert, er hatte sogar dabei geholfen, alles wieder aufzubauen. Der Mars war ein relativ ruhiger Posten, ohne größere Aufregung, was ihm sehr gelegen kam. Er hatte lange genug gekämpft, zu lange für seinen Geschmack. Der Krieg gegen die Minbari hatte ihm vollkommen gereicht.
Der Gedanke an die Minbari verwirrte Commander Sinclair ein wenig, vor allem, wenn er an das Ende der Kämpfe dachte. An die letzten vierundzwanzig Stunden des Krieges konnte er sich nämlich überhaupt nicht erinnern.
Das letzte, was er noch wusste war, dass er versucht hatte, mit seinem Kampfflieger ein minbarisches Kriegsschiff zu rammen. Dann war er erst einen Tag später in einem Krankenhaus wieder zu sich gekommen und hatte erfahren, dass sich die Minbari ergeben und zurückgezogen hatten. Sinclair war mit einigen anderen Männern und Frauen als Held ausgezeichnet worden, ohne genau zu wissen warum eigentlich.
Sie flogen in Längsrichtung über einen gewaltigen Canyon hinweg, der bestimmt dreitausend Kilometer lang und einige hundert Kilometer breit war. Die steilen Wände gingen fast schnurgerade ein bis zwei Kilometer hinunter, ein beeindruckendes Bild.
Hier waren damals, vor vier Jahren, ganz am südlichen Ende des Canyons die drei unbekannten Schiffe von dem archäologischen Team gefunden worden. Es gab nur sehr wenige, die über diesen Zwischenfall Bescheid wussten.
Die Patrouillen wurden aber nicht wegen der unbekannten Aliens geflogen, sondern aus reiner Routine, um das Gebiet zu überwachen.
Plötzlich gab es einen heftigen Ruck, als der Gleiter unvermittelt in eine kräftige Windbö geriet, und das Fluggerät begann zu schlingern.
"Hey, irgend etwas stimmt da nicht." Garibaldis Stimme klang durch den Helm des Schutzanzuges, den er vorschriftsmäßig trug leicht gedämpft.
Sofort checkte Sinclair seine Konsole. Die Anzeige für die Triebwerke leuchtete auf. "Verflixt, du hast Recht", entgegnete der Commander. "Unser Antrieb fällt aus!"
"Schaffen wir es noch zurück?" fragte Garibaldi besorgt.
Sinclair schüttelte in seinem Schutzanzug den Kopf. "Nein, es sind fast zweitausend Kilometer zurück zum Stützpunkt. Wir werden ein Signal senden und hier notlanden."
"In der marsianischen Wüste? Bist du verrückt?"
Aber Commander Sinclair setzte schon zur Landung an und sandte den Funkruf aus. "Wir werden es schon schaffen, immerhin tragen wir Schutzanzüge. Das bedeutet, wir haben noch für etwa zwei Stunden Luft. Das Rettungsteam wird aber höchstens eine halbe Stunde brauchen, um uns zu finden."
Schon hatte er den Gleiter unten. Die Landung war wegen der vielen Steine ziemlich unsanft, und die beiden Männer mussten sich festhalten, um nicht durch die Passagierkabine geschleudert zu werden. Wegen der niederen Schwerkraft dauerte es unheimlich lange, bis der Gleiter endlich zum Stillstand kam.
Garibaldi erholte sich als erster wieder. Vorsichtig stand er auf und sah sich nach Sinclair um. Garibaldi atmete erleichtert auf, als er feststellte dass es dem Commander offenbar gut ging.
Sinclair erhob sich ächzend. "Ist mit dir alles in Ordnung?"
"Ich denke schon", entgegnete Garibaldi und sah nach draußen. Da bemerkte er etwa fünfzig Meter von ihnen entfernt ein seltsames schwarzes Glänzen.
"Was, zum Teufel, ist das denn?"
Sinclair sah ebenfalls hinaus. "Was meinst du?"
"Das dort." Garibaldi deutete auf einen schwarzen Fleck am Boden.
"Ich weiß es nicht." Der Commander kniff die Augen zusammen. "Sehen wir es uns an?"
"Einverstanden."
Sie traten durch die kleine Luftschleuse des Gleiters. Als sie näher an das unbekannte Objekt herankamen stellten sie fest, dass dieses Ding weitaus größer war, als sie zuerst gedacht hatten. Es war ein riesiges Etwas, das wie eine überdimensionale Spinne aussah. Es schien eine Art Raumschiff zu sein. Ein zweites lag nur wenige Meter entfernt, halb eingegraben.
"Diese Dinger sind ganz bestimmt nicht menschlichen Ursprungs", stellte Sinclair fest.
"Sieht nicht so aus", stimmte Garibaldi zu. "Aber wem gehören sie dann?" Er bückte sich, um die Objekte genauer zu betrachten. "Es könnte natürlich auch sein, dass das eins der Experimente des Psi-Corps ist."
"Und das verbuddeln sie dann im Sand?" fragte Sinclair zweifelnd. Bei dem Gedanken an das Psi-Corps fühlte er sich unbehaglich. Wie vielen Leuten war auch ihm diese Organisation nicht ganz geheuer.
Das Psi-Corps war gegründet worden, um menschliche Telepathen zu kontrollieren. Seine Mitglieder waren weithin sichtbar. Sie alle trugen schwarze Handschuhe und ein silbernes Emblem mit dem Zeichen des Corps am Kragen. So sollten sie von ,normalen' Leuten abgegrenzt werden.
Alle Menschen mit telepathischen Fähigkeiten mussten dem Psi-Corps beitreten oder zumindest unter seiner Aufsicht Medikamente nehmen, die diese Fähigkeiten unterdrückten. Wer versuchte, sich dem Corps zu entziehen, wurde von der Psi-Polizei gejagt und erschossen.
Aber das Corps war schon lange nicht mehr nur für die Kontrolle von Telepathen zuständig. Inzwischen experimentierten sie auch mit Telepathie und Telekinese, zumeist im Geheimen.
"In jedem Fall werden wir darüber Bericht erstatten müssen", meinte Commander Sinclair und ging ebenfalls in die Hocke.
"Die Damen und Herren der Regierung werden begeistert sein", bemerkte Garibaldi trocken. "Ich nehme an, das wird unter ,Top Secret' fallen, wie jedes Problem, für das sie keine Lösung haben."
"Wir werden sehen." Sinclair seufzte. Sein Freund ließ wirklich keine Gelegenheit aus, die Regierung zu beschimpfen, für die sie beide arbeiteten. Wenn er so weiter machte, würde er diesen Posten nicht länger haben, als all die anderen Jobs zuvor.
Da flog etwas über sie hinweg, und sie erkannten einen Flieger vom Rettungsdienst der EarthForce. Er landete etwa dreihundert Meter von ihnen entfernt. Sinclair und Garibaldi gingen auf den Gleiter zu. Drei Leute stiegen aus und kamen ihnen entgegen.
"Brauchen Sie medizinische Hilfe?" fragte eine Frau asiatischer Abstammung, offenbar die Ärztin im Team.
"Nein", erwiderte Sinclair. "Nur unser Gleiter ist kaputt."
"Den werden wir später abholen..." sagte einer der beiden Männer, die die Ärztin begleitet hatten, unterbrach sich dann aber jäh, als er den schwarzen Fleck entdeckte. "Himmel, was ist das denn?"
"Wie wissen es nicht genau", antwortete Sinclair. "Es scheint ein Schiff zu sein. Wir sollten zum Stützpunkt zurückfliegen und Meldung machen."
Während des Fluges zurück zur Kolonie waren alle sehr still. Niemand schien über die seltsame Entdeckung reden zu wollen. So, als wäre es gar nicht da.
"Was soll das heißen, da war nichts?" fragte Commander Sinclair verärgert. "Garibaldi und ich haben diese Dinger gesehen. Ich habe in meinem Bericht alles genau beschrieben."
"Ich glaube Ihnen, Commander", entgegnete seine Vorgesetzte Captain Isabel Alvarez ungeduldig. "Aber der Bergungstrupp hat nichts gefunden. Und der Rettungstrupp hat ausgesagt, sie hätten nichts gesehen."
Sinclair presste kurz die Lippen zusammen. "Und was ist mit den Berichten, die Garibaldi und ich geschrieben haben?"
"Gar nichts", sagte Captain Alvarez. "Garibaldis Bericht wird vermutlich nicht ernst genommen, weil er Probleme mit dem Alkohol hat. Das Oberkommando der EarthForce hat seine Entlassung befohlen. Und Ihr Protokoll wird vermutlich im EarthDome verrotten."
Es dauerte eine Weile, bis Sinclair diese Nachricht verdaut hatte. "Garibaldi wird entlassen? Das ist nicht fair! Er ist schon seit Monaten trocken!"
"Glauben Sie, mir gefällt es, dass er einfach so hinausgeworfen wird?" brummte Alvarez. "Ich finde auch, er hätte eine zweite Chance verdient! Aber er ist wohl einigen Leuten in der Chefetage auf die Nerven gefallen, und Störenfriede werden von denen grundsätzlich auf Eis gelegt. Gegen Befehle von Oben kann ich nun einmal nichts machen."
"Und was ist mit den Schiffen?" fragte Sinclair.
"Was soll mit ihnen sein? Offenbar sind die verschwunden, und keiner weiß wohin."
"So ist es also."
"Aber unter uns gesagt:", entgegnete Alvarez. "Mich würde auch interessieren, was mit den Schiffen geschehen ist."
"Vielleicht sind sie weggeflogen oder weggeschafft worden, Ma'am", spekulierte Sinclair.
Alvarez musterte ihn einige Sekunden lang durchdringend. "Vielleicht", räumte sie ein. "Ich weiß es nicht."
"Ich würde Sie gerne um einen Gefallen bitten", sagte Sinclair. "Bitte setzten Sie sich für Garibaldi ein. Wenn er jetzt plötzlich ganz ohne Job dasteht, stürzt er endgültig ab."
"Ich werde sehen was ich tun kann", entgegnete seine Vorgesetzte. "Sie können jetzt wegtreten."
"Aye, Ma'am."
Commander Sinclair stand auf und verließ das Büro. Gleich darauf kam aus einem Nebenraum ein kleiner Mann herein, der die durch und durch schwarze Uniform der Psi-Polizei trug.
"Das haben Sie sehr gut gemacht", meinte er und lächelte dünn. "Ich denke nicht, dass er jemals wieder auf eines der Schiffe treffen wird."
Captain Alvarez sah ihn finster an. "Der einzige Grund, warum ich mit Ihnen zusammenarbeite ist, dass das Psi-Corps Teil unserer Regierung ist. Aber treiben Sie es nicht zu weit, Bester."
Der Psi-Polizist kniff die Augen leicht zusammen. "Soll das eine Drohung sein?"
"Oh nein, nur ein Rat." Alvarez lehnte sich in ihrem Sessel zurück. "Was wird jetzt mit den Alien-Schiffen?"
Bester zuckte die Achseln und schenkte ihr ein Lächeln, ein hoffnungsloser Versuch, freundlich zu wirken. "Lassen Sie das nur unsere Sorge sein."
"Wie sie meinen." Captain Alvarez schnaubte verächtlich. "Los, raus hier. Ich will Sie hier nicht mehr sehen."
"Ganz wie Sie wünschen." Der Psi-Polizist funkelte sie kalt an. "Aber wir sprechen uns noch."
"Tun Sie, was Sie nicht lassen können."
Bester ging, und Alvarez ließ erleichtert den angehaltenen Atem entweichen. Zum hundertsten Mal fragte sie sich, was, um alles in der Welt, hier eigentlich gespielt wurde.
Bester verlor keine Zeit, sondern flog mit seinem kleinen Ein-Personen-Schiff zurück zur Erde. Auf dem Mars gab es im Moment nichts mehr für ihn zu tun.
Jetzt war es an der Zeit, dass er sich in Genf mit einigen Mitgliedern der Regierung unterhielt. Diese Alien-Schiffe waren wirklich ein Schatz. Sie schienen unglaublich leistungsstark zu sein, womöglich noch stärker als minbarische Schiffe.
Und sie waren ideales Testmaterial - auch für das Psi-Corps. Wenn sie diese Schiffe schon nicht einsetzen konnten, war es vielleicht aber doch möglich, etwas von der Technik zu lernen.
Bester erreichte die Erde am späten Nachmittag, und sein erster Weg führte ihn zum EarthDome. Er wurde dort von seinem Geschäftspartner Senator Eugene Clark erwartet.
Clark schien ganz offensichtlich ein Befürworter des Psi-Corps, also ein Verbündeter zu sein. Dennoch traute Bester ihm nicht. Das war nicht weiter verwunderlich, denn der Psi-Polizist traute niemandem außerhalb des Corps. Aber solange Clark ihm von Nutzen war, hatte er nichts dagegen, mit ihm zu arbeiten.
"Es gibt Neuigkeiten", sagte Senator Clark ohne Begrüßung. "Die Icarus ist bei Z'ha'dum explodiert."
"Und das archäologische Team?" fragte Bester.
"Alle tot, heißt es."
Der Psi-Polizist hob nachdenklich die Brauen. "Das ist bedauerlich. Konnte die Crew noch irgendwelche Daten übermitteln?"
Clark schüttelte den Kopf. "Und die Regierung hat ausdrücklich verboten, dass noch weitere Schiffe nach Z'ha'dum fliegen."
"Und was hat die Untersuchung der fremden Schiffe ergeben?"
Der Senator rang sich ein Lächeln ab. "Wir sind noch nicht fertig mit der Analyse. Aber die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass - wer immer diese Dinger gebaut hat - über Technologien verfügt, die sogar den Minbari überlegen sind."
"Wie wir schon vermutet haben", meinte Bester. "Ich hoffe, Sie denken daran, die neuen Technologien mit uns zu teilen, falls Sie es schaffen, sie nutzbar zu machen. Das Psi-Corps wäre dann in der Lage, abtrünnige Telepathen schneller aufzuspüren und zu verhaften - oder gegebenenfalls entsprechende Maßnahmen zu ergreifen."
"Selbstverständlich", erwiderte Clark. "Mir liegt auch viel daran, dass sich alle Telepathen an die Regeln halten und eine Ausbildung bekommen, damit sie lernen, ihre Fähigkeiten zu beherrschen."
Das glaube ich Ihnen gerne, dachte Bester. Sie haben Angst vor uns. Laut sagte er: "Ich hoffe, Sie halten Ihr Versprechen auch. Denken Sie daran, Sie brauchen die Unterstützung des Corps wenn Sie wollen, dass Ihre Karriere weiterhin so gut verläuft."
Clark presste kurz die Lippen zusammen. "Das ist mir klar." Er wechselte das Thema. "Wie ist die Situation auf dem Mars?"
"Noch ruhig, aber es brodelt ganz schön", entgegnete der Psi-Polizist.
Immer wieder gab es auf dem Mars Anschläge, die auf das Konto einer Seperatistengruppe namens ,Freier Mars' gingen. Jene Leute forderten die Unabhängigkeit ihrer Heimat von der Erde und die Anerkennung als eigenständiger Planet.
Bisher hatte es nur wenige Anschläge auf dem Mars gegeben, aber von Jahr zu Jahr schien die Stimmung unter der dortigen Bevölkerung gereizter zu werden. Die Erde hatte berechtigte Angst, dass sie eines Tages ihre nützlichste Kolonie verlieren würde.
"Wie ist die Stimmung der Leute der Erde gegenüber?" fragte Clark. "Haben Sie irgendwelche negativen Gedanken gehört?"
"Es ist nach irdischem Recht verboten, Leute ohne ihre Erlaubnis zu scannen", erinnerte Bester ihn. "Das sollten Sie doch wissen. Die Psi-Polizei verfolgt deshalb Wilde Telepathen. Damit sie nicht in fremde Gedanken eindringen und Personen so vielleicht verletzen."
"Das ist mir klar", entgegnete Senator Clark. "Aber ein Telepath oder eine Telepathin kann sich nicht vor allen Gedanken verschließen. Manchmal werden auch ohne Scan ungewollt Eindrücke empfangen."
"Das ist richtig," gab der Psi-Polizist zu. "aber selbst wenn ich Gedanken gehört hätte, würde ich Ihnen mit Sicherheit nichts davon sagen. Das wäre nämlich auch illegal."
Als ob Sie sich je um Gesetze gekümmert hätten, dachte Clark und hoffte, dass Bester das nicht gehört hatte. Laut fuhr er fort: "Wie Sie meinen. Ich respektiere das."
"Das sollten Sie auch", sagte der Psi-Polizist. "So, jetzt muss ich mich leider verabschieden. Ich habe auch noch andere Termine wahrzunehmen."
Clark nickte. "Ich werde Sie betreff der Alien-Schiffe auf dem laufenden halten."
"Ich danke Ihnen", entgegnete Bester und ging.
Fortsetzung: Kapitel 12
Jennifer Fausek
17.09.2002
Website von Jennifer Fausek
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