Rhiannons Geschichte (2. Band): 2. Kapitel
(von Jennifer Fausek)
Rhiannon Jennings verbrachte im Lager der Anla?shok viel Zeit damit, die wenigen Texte zu studieren, die es über den Krieg gegen die Schatten noch gab. Sie hoffte Hinweise darauf zu finden, ob es vielleicht möglich war, den drohenden Krieg gegen dieses uralte und scheinbar sehr mächtige Volk zu verhindern, bisher allerdings ohne Erfolg.
Die Schatten waren bereits zurückgekehrt, und wenn kein Wunder geschah würde es früher oder später zu einem schrecklicher Krieg kommen.
Ria dachte mit einigem Unbehagen an ihre erste und bisher einzige Begegnung mit den Schatten zurück. Es ließ sich nicht leugnen, sie hatte eigentlich mehr Glück als Verstand gehabt, dass sie diesen ,Zwischenfall' so glimpflich überstanden hatte. Sie hätte genauso gut tot sein können.
Es waren die ersten Anzeichen des drohenden Konflikts, aber der Graue Rat wollte es nicht wahrhaben, jedenfalls sechs der neun Mitglieder. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund weigerten sie sich, etwas zu unternehmen.
Rhiannon wusste nun, dass es sehr dumm von ihr gewesen war, sich derart vehement gegen den Rat zu stellen und die Entscheidung offen anzufechten. Sie war dafür natürlich nicht bestraft worden, aber der Graue Rat weigerte sich seitdem, sie zu empfangen.
Besonders seit Delenn als Botschafterin nach Babylon 5 gegangen war, hatte Ria jeden Kontakt zur Regierung Minbars verloren. Selbst Satai Rathenn und Satai Jenimer, das gewählte Oberhaupt des Grauen Rates hatten nicht mehr mit ihr geredet, weder im Guten noch im Schlechten.
Rhiannon wusste nicht, ob sie einfach nur beschäftigt waren oder sich ebenfalls von ihr abgewandt hatten. Auch wenn Ria den Rat nicht mochte, so wollte sie auf keinen Fall Rathenns Freundschaft und den Respekt des Gewählten, wie Satai Jenimer von den meisten Minbari genannt wurde, verlieren.
Rhiannon öffnete die Tür zu ihrem Haus und wurde sogleich von Tonall, einer der beiden Haushaltshilfen begrüßt.
"Du hast Besuch", sagte er, während sie ihre Schuhe auszog. "Er wartet im Wohnzimmer."
"Danke", erwiderte Ria. "Sind Nistel und Zora schon zu Hause?"
Nistel war einer ihrer besten Freunde und lebte bei ihr, seit Delenn Minbar verlassen hatte. Er kümmerte sich um Zora, wenn Rhiannon sie nicht mitnehmen konnte oder wollte und sorgte dafür, dass das Haus Instand gehalten wurde.
"Nein, sie sind noch unterwegs. Aber sie werden wahrscheinlich bald zurück sein", antwortete Tonall ehrerbietig. "Nistel ist noch im Tempel aufgehalten worden."
Ria nickte nur. "Solange ich mit meinem Gast rede will ich nicht gestört werden, es sei denn, es gibt einen triftigen Grund."
"In Ordnung." Tonall verneigte sich und ließ sie alleine.
Rhiannon ging ins Wohnzimmer. Sie erwartete, ihren früheren Lehrer Tennan anzutreffen oder auch einen ihrer Bekannten, der sie besuchen wollte.
Aber es war Rathenn, der da auf der niederen Couch saß.
Im ersten Moment wusste Ria nicht, wie sie reagieren sollte. Einerseits war sie sehr froh, ihn zu sehen, andererseits war da die bange Frage, weswegen er jetzt hier war.
"Ich grüße Sie, Satai Rathenn", sagte Ria dann schlicht. Sie benutzte absichtlich eine eher förmliche Sprache, da sie nicht wusste, was sie erwartete. "Wie kann ich Ihnen dienen?"
Rathenn schüttelte halb kummervoll, halb belustigt den Kopf. "Bitte lass die Förmlichkeiten. Du weißt genau, dass ich das nicht mag. Gehen wir doch zum Du über. Ich bin als Freund hier und nicht nur als Satai. Wir müssen uns unterhalten."
Ria setzte sich in einen Sessel ihm gegenüber. "Ja, das müssen wir. Es tut mir Leid, dass ich das letzte Mal vor dem Grauen Rat so ungehalten war. Ich war einfach frustriert. Ich bin immer noch der Meinung, wir sollten etwas unternehmen. Die Schatten rüsten sich bereits für den Krieg, und wir sitzen nur da und tun gar nichts."
"Du irrst dich, wir tun schon längst etwas", widersprach Rathenn. "Delenn ist nicht umsonst als Botschafterin nach Babylon 5 gegangen. Sie ist dort um zumindest die Menschen als Verbündete zu gewinnen und zu sehen, wer auf der Seite der Schatten steht."
Rhiannon lachte trocken. "Ich frage mich, wie sie das anstellen will, ohne dass sie jemandem von den Schatten erzählt."
Rathenn blieb vollkommen ruhig. "Die Schatten werden früher oder später einen ersten Schritt machen, dann werden wir sehen, wie die Völker reagieren."
"Und wenn der erste Schritt der Schatten gleichzeitig auch ihr letzter ist?" Ria war nicht überzeugt. "Wer weiß schon, wie sie vorgehen werden."
"Du machst dir zu viele Sorgen. Die Schatten können nicht von heute auf morgen voll zum Krieg gerüstet sein. Auch sie brauchen Verbündete, die ihnen helfen. Und der beste Ort um mit der Suche zu beginnen ist Babylon 5. Unsere Alliierten die Vorlonen schicken ebenfalls einen Botschafter auf die Station. Er wird uns warnen, wenn es soweit ist."
Rhiannons Gesicht verfinsterte sich. "Auf die Vorlonen würde ich mich nicht unbedingt verlassen. Sie haben bisher nichts getan, um zu beweisen, dass sie vertrauenswürdig sind."
"Doch das haben sie. Schon vor tausend Jahren. Du kennst sie nur nicht so gut wie wir", entgegnete Rathenn.
"Ach, kennt ihr sie denn wirklich so gut?"
"Wir wissen über sie was wir wissen müssen." Rathenn missfiel Rias Sarkasmus. In ihm entstand das Gefühl sich verteidigen zu müssen. "Und sie haben uns bisher noch nie im Stich gelassen, wenn wir sie gebraucht haben."
"Das mag schon sein, aber fragst du dich nicht auch, warum sie uns helfen?" konterte Ria und hob gleich darauf entschuldigend die Arme. "Tut mir Leid, ich will mich wirklich nicht mit dir streiten. Es ist ja doch sinnlos." Sie sah ihn nachdenklich an. "Ist der Gewählte wegen des Vorfalls böse auf mich?"
"Nein." Rathenn schüttelte den Kopf. "Aber er denkt, dass du zu ungeduldig bist, was wohl an deiner Jugend liegt." Er lächelte leicht. "Wenn ich ehrlich sein soll verstehe ich deine Ungeduld ja. Aber du darfst nicht vergessen, dass wir uns womöglich verraten wenn wir überstürzt handeln."
Rhiannon seufzte. "Ich fürchte, damit könntest du Recht haben."
Eine Weile lang war es still.
"Hast du eigentlich schon etwas von Delenn gehört?" fragte Rathenn schließlich.
"Nein, habe ich nicht", entgegnete Ria. "Ich nehme an, sie hat viel zu tun und deshalb keine Zeit, um eine Nachricht zu senden. Oder habt ihr schon eine Botschaft von ihr erhalten?"
"Bisher noch nicht, deshalb habe ich dich ja gefragt", sagte Rathenn kummervoll. "Ich muss zugeben, dass ich mir Sorgen um Delenn mache, sie geht ein großes Risiko ein. Wenn jemand herausfindet, dass sie ein Mitglied des Grauen Rates ist, kann das unter Umständen sehr gefährlich für sie werden."
Ria lachte durch die Nase. "Das habe ich ihr auch schon gesagt. Aber hast du schon mal versucht einen Minbari von etwas abzubringen, wenn sie sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt haben?"
Rathenn verzog leicht beleidigt das Gesicht. "So stur sind wir Minbari jetzt auch wieder nicht..."
"...ihr habt nur einen starken Willen", beendete Ria den Satz für ihn. "Ich weiß, ich weiß. Mach dir keine Sorgen. Delenn ist gerade mal zwei Wochen auf der Station. In so kurzer Zeit gibt es sicher noch nichts Neues zu berichten. Und ich denke, sie kann sehr gut auf sich selbst aufpassen."
"Ich hoffe, du hast Recht", erwiderte Rathenn zögernd. "Bitte sag mir trotzdem Bescheid, wenn sie sich bei dir meldet."
"Mach ich. Und du sagst es mir, wenn sie euch eine Nachricht schickt."
"Ich verspreche es."
Nachdem Rathenn gegangen war, dachte Ria noch lange über das Gespräch nach. Sie war erleichtert, dass zumindest Rathenn und der Gewählte nicht wirklich wütend auf sie waren, sondern ihr den Ausbruch vor dem Grauen Rat nachsahen.
Sie biss sich nachdenklich auf die Lippen. Der Graue Rat war nach Rathenns Worten also längst dabei, etwas gegen die Schatten zu unternehmen. Womöglich waren die Satais doch nicht so ignorant, wie sie immer gedacht hatte.
Fragte sich bloß, was sie vorhatten.
Am Abend im Bett ließ die Unruhe Rhiannon lange nicht einschlafen. Auch wenn sie sich insgeheim wünschte, es wäre nicht so, so gab es doch keinen Zweifel: Delenn hatte mit Sicherheit das Richtige getan, indem sie nach Babylon 5 gegangen war. Sie wurde dort gebraucht.
Denn eines war klar: die Schatten würden früher oder später auf der Station auftauchen - so oder so, sei es auch nur, um die Völker auszuspionieren.
Rhiannon brummte und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Würde das wieder einmal eine dieser schlaflosen Nächte werden? Und wieviele dieser Nächte hatte sie in letzter Zeit eigentlich gehabt?
Als Anla?shok hatte Ria gelernt, eben dann zu schlafen, wenn es gerade möglich war, damit sie, wenn es darauf ankam, wirklich wach war. Schließlich konnte sie in einem Einsatz nie genau wissen, wann sie das nächste mal Ruhe finden würde. Manchmal musste sie sogar bis zu zwei Tage oder mehr wach bleiben.
Aber irgendwie schienen die Entspannungstechniken nicht immer zu funktionieren.
Rhiannon war hellwach, nur ihr Körper ruhte. Nach einer Weile wurde es ihr zu dumm, einfach nur so im Bett herumzuliegen.
"Computer, Licht", befahl sie, und sofort ging die Beleuchtung in ihrem Schlafzimmer an.
Ria rutschte vom Bett und ging in den Wohnteil ihrer Räume. Es machte keinen Sinn, liegenzubleiben und sich von einer Seite auf die andere zu wälzen.
Rhiannon trat ans Fenster und sah hinaus. Yedor glitzerte in verschiedenen gelbtönen, wodurch die Finsternis der Nacht ein wenig erhellt wurde.
Die beiden Monde, die Minbar umkreisten standen als Vollmonde am Himmel, und es leuchteten überall Sterne, die selbst durch die Glasscheibe zu sehen waren.
Nach kurzer Überlegung öffnete Ria das Fenster, und die warme Luft des späten Frühlings strömte herein. Ja, die Temperaturen waren schon richtig sommerlich.
Jemand öffnete vorsichtig die Tür zu ihren Zimmern, und Nistel kam leise herein.
"Kannst du nicht schlafen?" Er flüsterte, obwohl es eigentlich nicht nötig war.
Rhiannon schüttelte den Kopf, ohne sich umzudrehen. "Nein, es gibt so vieles, worüber ich nachdenken muss. Und was ist mit dir? Warum bist du noch auf?"
"Oh, ich habe noch gelesen", entgegnete Nistel. "Dabei muss ich wohl die Zeit vergessen haben. Ich wollte eben zu Bett gehen, da hab ich noch Licht bei dir gesehen."
"Aha." Ria wandte den Kopf zu ihm. "Und du dachtest, ich könne vielleicht Gesellschaft brauchen."
"Na ja." Nistel sah sie nachdenklich an. "Wenn du reden möchtest..."
Rhiannon lächelte. "Danke für dein Angebot, aber ich will dich nicht vom Schlafen abhalten. Du brauchst dich wirklich nicht um mich zu kümmern. Ich werde in ein paar Minuten auch zu Bett gehen."
"Wie du meinst."
Sie sah ihm an, dass er ihr nicht glaubte, aber sie tat nichts um ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Und er versuchte nicht mehr, sie dazu zu bringen, dass sie mit ihm redete.
Ria hielt es für unnötig über das zu sprechen, was sie bewegte. Es würde ohnehin nichts an dem ändern, was sie beschäftigte.
Es war nicht so, dass sie Angst oder Sorgen hatte, es war vielmehr so dass eine Unrast in ihr war, seit Delenn nach Babylon 5 gegangen war. Es war wie damals, als sie als Kind nach Minbar gekommen war.
Ria wollte, dass endlich irgendetwas geschah. Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als dass die Schatten ihre Präsenz endlich deutlich genug zeigten, so dass der Graue Rat die Vorbereitungen auf den kommenden Krieg stärker vorantreiben würde.
Nistel war noch keine fünf Minuten weg, da setzte sich Ria auf das rote Meditationskissen an den kleinen Altar. Sie wollte noch einmal versuchen, ihren Geist mit Hilfe der Meditation zu beruhigen, um doch noch etwas Schlaf zu finden.
Nach einiger Zeit wurde Rhiannon dann auch ruhiger, als sie langsam begann, Ordnung in das Chaos in ihren Gedanken zu bringen.
Nein, diesmal würde sie es bestimmt nicht zulassen, dass sie eine schlaflose Nacht verbrachte.
Fortsetzung: Kapitel 3
Jennifer Fausek
30.10.2002
Website von Jennifer Fausek
|
|