Rhiannons Geschichte (2. Band): 21. Kapitel
(von Jennifer Fausek)
Sinclair verschlief am nächsten Morgen. Als er nach einer kurzen Dusche aus dem Badezimmer kam, war seine Arbeitercrew bereits hier gewesen und wieder gegangen.
Sie hatten ihm unter anderem das Frühstück gebracht - und sein Bett wieder in einen dreißig Grad Winkel gebracht.
Sinclair wusste nicht, ob er jetzt lachen oder weinen sollte.
Dann erinnerte er sich daran, dass die Minbari glaubten, sie würden den Tod anlocken, wenn sie in einem waagrechten Bett schliefen.
Seine Leute waren offenbar der Meinung, dass sie einen sturen Menschen vor seiner eigenen Dummheit bewahrten.
Nachdem der Tag schon so schlecht begonnen hatte, wurde Sinclair das dumme Gefühl nicht los, dass das bestimmt ein gutes Omen war.
Auf dem Weg zur Botschaft wurde er von Rathenn abgefangen. Der Satai hatte wider Erwarten zur Abwechslung einmal erfreuliche Nachrichten.
"Ich denke, es wird Sie freuen zu hören, dass das Problem mit dem Kom-Netz gelöst wurde. Sie können jetzt das EarthDome kontakten."
"Wurde aber auch Zeit", entgegnete Sinclair. "Wo lag denn das Problem?"
"Das kann ich Ihnen auch nicht sagen. Ich bin kein Kom-Spezialist", sagte Rathenn höflich. "Aber Sie wissen doch, dass es manchmal Schwierigkeiten gibt, wenn die Technologien von verschiedenen Völkern zusammentreffen."
Das war keine Antwort, dachte Sinclair wütend. "Und was ist mit anderen Orten auf der Erde oder Babylon 5?"
"Ich bedauere, mir wurde nur etwas vom EarthDome gesagt."
Auch gut.
Sinclair verabschiedete sich am Eingang der Botschaft von Rathenn. Als allererstes befahl er Rhiannon ein paar Termine zu übernehmen oder zu verschieben.
Dann setzte sich Sinclair an seinen Schreibtisch. Er stellte sofort die Verbindung zum EarthDome in Genf her.
Doch niemand aus der Regierung oder vom Militär schien mit ihm sprechen zu wollen. Er bekam nur ausweichende Floskeln von irgendwelchen jungen Schnöseln zu hören.
Er war völlig perplex. Was, um alles in der Welt, wurde hier gespielt? Warum wurde er so isoliert? Oder was noch viel interessanter war: Wer hatte das veranlasst?
Erst hatte er gedacht, die Minbari steckten dahinter. Doch jetzt schien offenbar auch seine eigene Regierung alles zu tun, um ihn kaltzustellen.
Diese Ernüchterung verstärkte den dumpfen Ärger in Sinclair. Er hatte langsam die Nase voll von diesen Spielchen!
Er erinnerte sich an sein Gespräch mit Präsident Clark, während seines kurzen Aufenthalts auf der Erde.
"Ihre Welt braucht Ihre Dienste auf Minbar", hatte Clark gesagt. "Vielleicht können die Minbari Ihre Hilfe gut brauchen. Wir haben gehört, dass es große Spannungen zwischen der Glaubens- und der Kriegerkaste gibt."
"Warum schicken Sie gerade mich?"
"Weil die Minbari sie offenbar sehr gut kennen", hatte der Präsident ihm erklärt. "Sie können helfen den Frieden zwischen der Erde und Minbar zu wahren.
Außerdem haben die Minbari ausdrücklich Sie angefordert. Sie werden nur Sie akzeptieren, aus welchen Gründen auch immer..."
Sinclair stand so heftig auf, dass sein Schreibtischstuhl umkippte. Es war ihm egal. Er hatte plötzlich das Gefühl, dass er unbedingt an die frische Luft musste. Er stürmte aus dem Büro, bevor Rhiannon oder Venak ihn aufhalten konnten.
Sinclair lief einfach immer weiter. Ihm war es völlig egal, wohin er eigentlich ging, Hauptsache, er kam hier weg.
Delenn, die Sinclair als eine gute Freundin betrachtete, hatte ihm bei ihrem letzten Treffen gesagt, dass eine wichtige Aufgabe vor ihm lag.
Dabei hatte sie ihm auch gesagt, dass die Minbari der Meinung waren, dass er einen minbarischen Geist trug.
Sinclair konnte und wollte das nicht glauben. Er fühlte sich durch und durch als Mensch. Er wollte es gar nicht anders haben, ganz egal, was die Minbari dazu meinten.
Und trotzdem hatte er plötzlich Angst, dass sie vielleicht doch Recht mit dem hatten, was sie über ihn dachten, auch wenn es ihm nicht gefiel...
Bevor dieser Gedanke ganz Besitz von ihm ergreifen konnte, schüttelte er ihn wieder ab. Ach nein, er mochte einen Geist haben, wie alle Wesen, aber er war ein Mensch, und daran würde sich auch nichts ändern.
Sinclair bemerkte, dass er zum riesigen Springbrunnen im Zentrum des Regierungsviertels gegangen war.
Die Anlage bestand aus weißem Stein. Sie war mit kostbaren Juwelen, Kristall und verspiegeltem Metall reich geschmückt.
Fontänen schossen hoch und kamen als feiner Sprühregen wieder herunter. Es gab außerdem einige kunstvolle Miniaturwasserfälle.
All dies war gebaut worden, um die Sinne zu erfreuen. Der Springbrunnen war wirklich wunderschön. Das leise Plätschern des Wassers wirkte überdies sehr beruhigend.
Sinclair betrachtete sein Spiegelbild in einer der kleinen metallenen schimmernden Oberflächen. Durch die Krümmung war sein Abbild leicht verzerrt, und so wirkte er dicker, als er in Wirklichkeit war.
Er verstand das alles einfach nicht! Er war als Botschafter nach Minbar gekommen, um die erst langsam aufkeimende Freundschaft zwischen Menschen und Minbari zu festigen und ein tieferes Verständnis zwischen den beiden Völker zu fördern.
Das hatten sowohl die Menschen als auch die Minbari ihm gesagt.
Und jetzt schien es so, als wollten beide Seiten nicht, dass er seine Tätigkeit als Botschafter ausübte. Menschen und Minbari mochten unterschiedliche Gründe dafür haben, warum sie ihn auf Minbar haben wollten. Nur... wie lauteten sie?
Eine flüchtige Bewegung in den spiegelnden Oberflächen verriet Sinclair, dass jemand hinter ihm war. Er drehte sich um und sah sich einem Minbari aus der Arbeiterkaste gegenüber, der einen Schweißbrenner in der Hand hielt.
Der Minbari nahm eine respektvolle Haltung ein, aber im Gegensatz zu anderen Mitgliedern aus der Arbeiterkaste oder Akolythen sah er ihm direkt ins Gesicht.
Sinclair suchte nach Worten im Dialekt der Arbeiterkaste, den er sogar noch weniger beherrschte als die komplizierte Sprache der religiösen Kaste.
Er wusste, dass das eigentlich überhaupt nicht nötig war. Alle Minbari beherrschten die Sprachen aller drei Kasten fließend, zumindest die offizielle Formen, die nicht von lokalen Dialekten beeinflusst waren.
Trotz der unterschiedlichen Grammatik und der verschiedenen Bedeutung einiger Worte war es in den wesentlichen Punkten doch die selbe Sprache.
Außerdem mussten gerade die Minbari der Arbeiterkaste die Dialekte der Glaubens- und der Kriegerkaste sprechen können.
Die Angehörigen der religiösen und der Kriegerkaste ließen sich nämlich nicht dazu herab, die Sprache der Arbeiter zu benutzen.
Aus reiner Höflichkeit wagte Sinclair doch einen Versuch.
"Halte ich Sie von der Arbeit ab?" fragte er höflich im Dialekt der Arbeiterkaste oder er hoffte das zumindest.
Der Minbari hob den Blick noch ein wenig weiter und sah Sinclair nun direkt in die Augen. Und lächelte sogar.
"Ich warte gerne, bis Sie gehen, Botschafter Sinclair", sagte er in perfektem Erdstandard. "Ich wollte Sie nicht stören. Wir Leute aus der Arbeiterkaste sind normalerweise für die Mitglieder der anderen Kasten unsichtbar."
Sinclair wusste nicht was ihn mehr verblüffte: Dass der Arbeiter genau wusste wer da vor ihm stand oder dass er es wagte seinem Gegenüber offen in die Augen zu sehen.
"Sie wissen wer ich bin?" fragte Sinclair schließlich. Er hatte bisher den Eindruck gehabt, dass die Minbari keine Ahnung von seiner Anwesenheit hatten. Immerhin hatten sie ihn bis jetzt mehr oder weniger wie Luft behandelt.
"O ja, Botschafter, wir wissen von Ihrer Anwesenheit hier."
Also stimmte, was Rhiannon gesagt hatte: Dinge schienen sich auf Minbar in der Tat sehr schnell herumzusprechen. "Dann sind Sie mir gegenüber im Vorteil. Sie kennen meinen Namen, aber ich den Ihren nicht."
"Ich bin Inesval von den F?tach Inseln."
"Und wo haben Sie gelernt so gut Erdstandard zu sprechen?" wollte Sinclair wissen.
"Ich habe nach dem Krieg mit meinem Vater zwei Jahre lang auf der Erde gelebt. Er war ein Händler", antwortete Inesval. "Mir hat es dort gut gefallen.
Ich hatte auch nach meiner Rückkehr viel Kontakt mit Menschen. Einen von ihnen kennen Sie sogar. Riann vom Clan der Mir, oder Rhiannon Jennings wie die Menschen sie nennen."
"Sie kennen meinen Attaché?" fragte Sinclair erstaunt.
Inesval nickte. "Ich habe Satai Delenn gedient, als Ria nach Minbar gekommen ist. Wir sehen uns hin und wieder, auch wenn ich jetzt eine andere Arbeit habe."
Es war das erste Mal dass Sinclair ein ungezwungenes Gespräch mit einem Minbari führte, der nicht zum Grauen Rat gehörte oder in seinem Auftrag handelte.
Er hätte gerne noch ein wenig geplaudert, aber es war höchste Zeit, dass er wieder zurück zur Botschaft ging. Außerdem hielt er Inesval von der Arbeit ab, ohne zu wissen, ob er deswegen irgendwelche Schwierigkeiten zu erwarten hatte.
"Ich würde ja gerne noch weiter mit Ihnen reden, aber ich muss jetzt gehen. Und ich sollte Sie auch nicht länger von der Arbeit abhalten."
Sinclair betrachtete das Schweißgerät nachdenklich. "Wenn sie etwas Zeit hätten, würde ich Sie gerne noch um einen Gefallen bitten. Ich würde Sie natürlich bezahlen... Wenn es nicht möglich ist, sagen Sie es ruhig..."
Inesval verneigte sich leicht. "Botschafter, es wäre mir eine Freude, wenn ich für Sie arbeiten könnte. Und ich brauche keine Bezahlung."
"Ich danke Ihnen." Sinclair erwiderte die Verbeugung erfreut. Rasch erklärte er dem Minbari den Auftrag, den er für ihn erledigen sollte.
Dann eilte Sinclair zur Botschaft zurück. Das Vorzimmer war voller Leute. Rhiannon kümmerte sich so gut wie möglich um sie.
Er hatte beinahe ein schlechtes Gewissen, dass sie die ganze Arbeit hatte alleine machen müssen, während er spazieren gewesen war.
Ria wirkte überaus nervös, was bei ihr äußerst selten vorkam. Sie nahm ihn sofort beiseite "Wo, zum Teufel, waren Sie bloß? Ich habe mir schon Sorgen um Sie gemacht!"
Sinclair ließ dieser kleine Ausbruch völlig kalt. "Ach tatsächlich?" entgegnete er mit leisem Sarkasmus. "Hatten Sie etwa Angst, ich wäre entführt worden?"
Rhiannon runzelte verwundert die Stirn. "Entführt?"
"Ich war nur ein wenig spazieren", sagte Sinclair verstimmt. "Ich musste hier unbedingt mal raus. Das wird ja wohl nicht verboten sein."
"Nein, natürlich nicht." Ria senkte verlegen den Blick. "Ich schlage vor, wir gehen jetzt an die Arbeit. Die Leute werden schon ungeduldig."
Er nickte grimmig. "Schicken Sie den ersten in mein Büro."
Nach diesem Tag war Sinclair sogar noch geschaffter als sonst. Als er am Abend spät in sein Quartier zurückkehrte, ging er gleich als erstes in sein Schlafzimmer. Ein leichter Geruch von Ozon verriet ihm, dass Inesval bereits hier gewesen sein musste.
Sinclair kontrollierte das Bett. Der Mechanismus, mit dem sich das Bett verstellen ließ, war in waagrechter Position festgeschweißt. Jetzt würde er vielleicht zur Abwechslung endlich einmal gut schlafen.
Er nahm die Whiskeyflasche, die er von seiner Verlobten bekommen hatte. Er machte sich normalerweise nicht viel aus Alkohol, aber jetzt hatte er das Gefühl, dass er den Drink nicht nur verdient hatte, sondern auch dringend brauchte.
Fortsetzung: Kapitel 22
Jennifer Fausek
30.10.2002
Website von Jennifer Fausek
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