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Zwischen dem Dunkel und dem Licht

Anmerkung: Diese Geschichte spielt zur Zeitrechnung des Föderationsraumschiffes SS Highlander. Wir schreiben das Jahr 2375. Etwa zur gleichen Zeit wird auf der Erde die Diskussion über Sheridan als Präsident der Allianz geführt, die in der Episode "In 100, in 1000 Jahren erwähnt wird"
Die Ereignisse, die in dieser Geschichte angesprochen werden, fanden 2263 auf der Raumstation Babylon 5 ihren Anfang, die 20 Jahre später außer Dienst gestellt und zerstört wurde. Ihren Platz haben andere Raumstationen und Außenposten eingenommen, darunter auch Babylon 8, ein Gemeinschafts-projekt von Allianz, Föderation und Rangers.


Ein leises, forderndes Piepen riß Caithlin O'Donnell aus ihrer Konzentration. Dies war der dritte Manöverflug in dieser Woche und sie hatte sich vorgenommen, unter den fünf besten Piloten zu sein. Vor allem, weil sie nicht zur Standardcrew gehörte. Weil sie zu den Rangers gehörte. Das schuldete sie Norad einfach. Die eigenmächtigen Unternehmungen, die sie des öfteren unternahm hatten dem Captain der SS Highlander - bevor er zum Ranger Eins ernannt wurde - einige Nerven gekostet. Norad war es gewohnt, daß seine Befehle ohne sie in Frage zu stellen befolgt wurden. Eine der wenigen Ausnahmen bildete dabei Berak, die Chief of Protection. Die Cardassianerin schien das Recht, dem Captain zu wiedersprechen, für sich gepachtet zu haben.
Wieder piepte der Computer.

"Langstreckenscanner orten ein kleines Flugobjekt" meldete der Computer mit sanfter Stimme.
"Identifizieren."
"Tiefenscan initialisiert."
Caithlin beschränkte ihren Dialog mit dem Computer auf das Nötigste. Auf dem kleinen Schirm bekam sie kurz darauf eine visuelle Darstellung des Objektes.
"Objekt ist ein Minbari-Jäger Typ 3 SA-X" fuhr der Computer fort. "Lebenerhaltung zeigt minimale Aktivität, ein Lebenszeichen. Maßnahmen?"
Caithlin überlegte kurz. Ein Minbari-Jäger, der laut der Typenbezeichnung über 100 Jahre alt war? Dann reagierte sie.
"Kontakt mit dem Computer des Jägers aufnehmen. Freund/Feind-Kennung senden. Dockklammern vorbereiten."
"Bestätigt."
"Scandaten und Nachricht an die Highlander übertragen."

Caithlin bemerkte auf den Scans einige untypische Generatoren am oberen Ende des Schiffes, hielt sich aber nicht auf. Vorsichtig brachte sie ihr eigenes Schiff in die richtige Position um die Dockklammern anzubringen. Ein kurzer Ruck bestätigte ihr das erfolgreiche Docken. Dann aktivierte sie den Antrieb und flog zurück zur Highlander.

* * *

Als Caithlin aus ihrem Schiff kletterte, wurde sie bereits von ihrem Vorgesetzten erwartet. Sie seufzte. Nun, wenigstens würde Trivia objektiv urteilen. Der Androide war für sein logisches und effizientes Handeln bekannt.

"O'Donnell!"
"Sir." Caithlin nahm Haltung an, jedoch nicht nach dem Föderationsstandard. Sie formte mit ihren Händen ein Dreieck über ihrer Brust und verbeugte sich leicht.
"Ranger O'Donnell meldet sich vom Übungsflug 32 zurück."
"Das ist jetzt die vierte Extratour, seit Sie Ihren Dienst auf der Highlander angetreten haben" antwortete Trivia. Seine Stimme klang leicht vorwurfsvoll.
"Sir, das Schiff wurde von mir identifiziert und als risikolos eingestuft. Deshalb habe ich es geborgen. Wir sollten uns jetzt um den Piloten kümmern."

Wie auf ein Stichwort öffnete sich im selben Augenblick die Hangartür, und Dr. Hurdel und zwei Assistenten betraten den Hangar. Hurdel wartete gar nicht erst auf einen Bericht von Trivia, sondern bewegte sich zielstrebig auf das Schiff zu. Erst jetzt konnte man die Schäden erkennen, die durch die lange Zeit verursacht worden waren. Als der Arzt das Kontrollpanel berührte, daß das Schiff öffnen sollte, zuckte seine Hand zurück.

"Verdammt!"
"Doktor? Was ist los?" Trivia war mit wenigen Schritten bei dem Arzt.
"Es ist eiskalt!"
"Natürlich ist es kalt. Es war ja auch lange genug da draußen" warf Caithlin ein. Hurdel sah sie leicht säuerlich an.
"Aber nicht so kalt. Es sollte sich bereits der Hangartemperatur angeglichen haben."
"Wenn Sie erlauben, Doktor" meinte Trivia und öffnete das Kontrollpanel. Mit wenigen Handgriffen hatte er die relevante Schaltung gefunden und aktivierte die Türmechanik. Es zischte, und eisige Luft schlug ihm entgegen. Die Kälte entwich durch die Luke und bildete eine feine Eisschicht über dem Eingang. Nun sah man auch, daß die Geräte, die Caithlin auf ihrem Scan bemerkt hatte, durch dicke Rohrleitungen mit dem Inneren des Schiffes verbunden waren. Auch sie waren von einer dünnen Eisschicht bedeckt.

"Wow." Hurdel sah vorsichtig in das Schiff hinein. "Also wie ich das sehe, hat der Besitzer sein Schiff in eine Kryokammer verwandelt. Die Generatoren dienen zur Kühlung des - Körpers dort hinten." Er deutete schräg in das Schiff hinein, wo man einen humanoiden Körper unter einer Lebenserhaltungs-Maske erkennen konnte. "Wir können versuchen, die Kryokammer zu deaktivieren, aber ich würde lieber zuerst wissen, was oder wen Caithlin hier gefunden hat." Trivia nickte. Der Standpunkt des Arztes war durchaus logisch begründet. Man konnte ja nie wissen, was man alles im Weltraum fand, und was geschehen würde, wenn man es auftaut.

"Ich werde den Körper bergen" antwortete Trivia. "Lassen sie eine unserer Kryoeinheiten kommen, damit der Kühlkreis nicht durchbrochen wird. Ich werde Lt. McFly bitten, Sie zu unterstützen. Außerdem denke ich, wir sollten den Captain benachrichtigen."

* * *

"Sein Name ist Lennier." Counselor Rose Lavender sah in die Runde der Führungsoffiziere, die sich zur Besprechung in der Beobachtungslounge der Highlander eingefunden hatten.

"Er verschwand 2263 unter ungeklärten Umständen. Laut unseren Daten flog er zur damaligen Allianz-Station Babylon 5, kehrte danach aber nicht mehr nach Minbar zurück."
�Lt. McFly, was haben Sie herausgefunden?" Commander Vesk sah die Leiterin der wissenschaftlichen Abteilung erwartungsvoll an.
"Lennier war von 2258 bis 2261 der diplomatische Attaché der damaligen Botschafterin der Minbari auf Babylon 5. 2261 verließ er Babylon 5, um mit der Ausbildung zum Anla'Shok zu beginnen. Als er verschwand, war seine Ausbildung noch nicht beendet. Die Kleidung die er trägt ist der von Fähnrich O'Donnell ähnlich, weiters trägt er die selbe Brosche wie sie. Er ist ein Ranger."
"Ist es möglich, daß er eine geheime Mission zu erfüllen hatte?" Norad hatte bisher schweigend zugehört. Nun hielt er es für angebracht, den anderen seine Meinung mitzuteilen.
"Das halte ich für unwarscheinlich, Captain" antwortete McFly. "Wir wissen, daß Lennier mehrere geheime Aufträge als Ranger durchführte, aber in diesem Fall kann das nicht bestätigt werden."
"Dann halte ich es für das Beste, ihn zu fragen. Doktor Hurdel, wie ist der Zustand des Minbari?"
"Der Patient ist zur Zeit stabil. Er befindet sich noch in Kryostase, kann aber jederzeit aufgeweckt werden."
"Gut. Sie haben die Genehmigung."
"Sir, ich halte das für keine so gute Idee." Berak, die Chefin des Sicherheitsdienstes sah Norad direkt an. Nur wenige wandten den Blick nicht ab, wenn sie in die Augen der Cardassianerin sahen. Norad war so jemand.
"Chief Berak, es ist lobenswert, daß sie so sehr um die Sicherheit des Schiffes besorgt sind, aber ich denke nicht, daß unser Gast eine Gefahr für die Highlander darstellt."
"Er ist ein Ranger. Er kann sehr wohl eine Gefahr darstellen. Ich darf Sie daran erinnern Captain, daß O'Donnell es geschafft hat, Ihre Commandocodes außer Betrieb zu setzen."
"Die Codes wurden inzwischen modifiziert" gab Norad zurück. "Und unser Patient, der etwa 100 Jahre geschlafen hat, wird sich nicht so leicht an unserer verbesserten Technologie vergreifen können."
"Aber Captain -"
"Keine Wiederrede mehr, Chief. Aber wenn es Sie beruhigt, können Sie zwei Sicherheitsbeamte zur Krankenstation beordern. Wegtreten!" Berak sah Norad an und nickte. Dann verließ sie den Besprechungsraum.
"Das wäre vorerst alles" schloß Norad. Vesk nickte und er und die anderen begaben sich zurück auf ihre Posten.
"Computer."
"Central Online."
"Nachricht an Fähnrich O'Donnell. Sie soll sich bei mir melden."
"Bestätigt."

Nachdenklich betrachtete Norad die Sterne, die an der Beobachtungskuppel vorbeizogen wie kleine Silberpfeile. Durch die Raumverzerrung schien es, als würden die Sterne in die Länge gezogen. Weit hinten konnte man das rote Glühen der Antriebsgondeln erkennen, die die Highlander durch den Weltraum trugen. Die Kräfte der beiden Antriebseinheiten konnten das gigantische Raumschiff bis zu einer Geschwindigkeit von Warp 14 antreiben. Dann wurde Robert T. Norad vom leisen Zischen der Tür aus seinen Gedanken gerissen.

"Fähnrich O'Donnell meldet sich, Sir." Norad drehte sich um. Die Ranger war vor einigen Monaten auf die Highlander versetzt worden, um in regelmäßigen Abständen Berichte über die Vorfälle am Rande der Rim nach Minbar zu schicken. Sie wollte keinen VIP-Status und hatte sich daher zur Mitarbeit auf dem Schiff entschlossen. Aufgrund ihrer Ausbildung arbeitete sie unter Lt. Commander Trivia in der Abteilung Procedures. Die junge Frau war sehr eigensinnig und stur, weil sie sich in erster Linie den Rangers verpflichtet fühlte.

"O'Donnell, ich bin doch jetzt Ranger Eins?"
"So wurde es bestimmt, Entil'Zha." Sie wählte die förmliche Anrede in Minbari.
"Dann sollte ich auch Zugriff auf alle Daten über die Rangers haben."
"Natürlich. Soll ich alles Nötige veranlassen?"
"Ja. Lassen Sie die Daten auf die Highlander übertragen. Weiters werden Sie eine Recherche durchführen."
"Sir, wäre das nicht Aufgabe der Wissenschaft?"
"Normalerweise ja. Aber Sie sind hier der Ranger. Sie wissen, wonach Sie suchen müssen. Außerdem können Sie die Daten gleich indizieren. Sie kennen den Computer ja inzwischen ganz gut." Caithlin senkte den Kopf. Sie wußte, daß Norad damit auf die Tatsache ansprach, daß sie vor einigen Wochen die Commandocodes ausgesetzt hatte, um sich ein Shuttle zu 'borgen'. In gewisser Weise war der Auftrag ein Kompliment an ihre Fähigkeiten, aber das hätte Norad vermutlich nie zugegeben.
"Sie erhalten alle relevanten Daten von Lt. Commander Trivia. Beginnen Sie sofort mit der Arbeit."
Caithlin nickte und verließ dann die Lounge.

* * *

Dr. Hurdel sah auf die Daten des PADD, das ihm seine Assistentin reichte und nickte dann zufrieden. Die Weckphase des Minbari verlief nach Plan. In wenigen Stunden würde er wach sein. In darauf vorzubereiten, daß er über 100 Jahre geschlafen hatte, war Aufgabe von Counselor Lavender. Hurdel war sich sicher, daß das eine Herausforderung für die Counselor war, denn bisher hatte sie noch mit keinem Minbari direkt zu tun gehabt. Sintaroon von Van, ein Mitglied der Kriegerkaste, würde erst in einigen Wochen auf der Highlander eintreffen.
Commander Vesk war mehrmals auf der Krankenstation gewesen und hatte sich nach Lenniers Zustand erkundigt.

Währenddessen war Caithlin O'Donnell damit beschäftigt, mehr über den geheimnisvollen 'Gast' herauszufinden. Alles was sie hatte war ein Name, und eine Zeitperiode. Sie wußte, daß Lennier der diplomatische Attache von Delenn gewesen war, bevor er sich entschied, den Rangers beizutreten. Danach schien es, daß er ein sehr diszipliniertes Leben geführt hatte, das hauptsächlich aus Training und Meditation bestand. Er war mehrmals zu Besuch auf Bablyon 5, flog aber meist nach einigen Tagen zurück zu seiner Einheit.

"Central." Caithlin saß an ihrer Konsole in ihrem Quartier und arbeitete seit mehreren Stunden an den Daten.
"Logbuchaufzeichnungen des White Star Schiffes zeigen, das vor 113 Jahren Allianzpräsident Sheridan und Entil'Zha Delenn nach Minbar brachte." Sie seufzte, als sie die Indexdatei der Aufzeichnung sah. Das Logbuch war sehr umfangreich, wies andererseits aber auch einige Lücken auf. Sie untersuchte das Backup, mit dem gleichen leidlichen Ergebnis.
"Central, zeige alle ungewöhnlichen Vorfälle während des Fluges."
"Bitte spezifizieren."
"Alle ungewöhnlichen Vorfälle während des Reiseflugmodus in und außerhalb des Hyperraumes. Verbale Aufzählung."
"Bitte warten. Daten werden erstellt." Caithlin schloß die Augen und versuchte, sich zu entspannen. Kurz darauf meldete sich der Computer erneut.
"Daten komplett. Wissenschaftliches Logbuch: Keine Daten. Technisches Logbuch: Fehlfunktion einer Bedienungseinheit auf Deck acht. Kühlgasaustritt aufgrund eines Lecks im Waffenkühlsystem. Medizinisches Logbuch: Schwächeanfall von Delenn aufgrund ihrer Schwangerschaft. Zwei Personen mit leichter Kühlgasvergiftung. Sicherheitslogbuch: Keine Daten. Ende der Aufzeichnung."
"Irgendetwas ist da faul."
"Bitte spezifizieren."
"Ich habe nur laut gedacht, Central. Welcher Art war die Fehlfunktion auf Deck acht?"
"Daten nicht verfügbar."
"Central, zeige mir ein Diagramm des damaligen White Star Modelles Deck acht."
Caithlin sah auf die Darstellung des Schiffes und überlegte. Auf dem Deck gab es Quartiere, die Offiziersmesse, einige Energieknotenpunkte und die Shuttlerampen. Auf dem Diagramm blinkte ein kleiner, roter Punkt.
"Central, markiert der Punkt das Panel mit der Fehlfunktion?"
"Positiv."
Die Ranger sah noch einmal auf das Diagramm. Dieses Panel konntrollierte den Zugang zur Shuttlerampe zwei.

* * *

Lennier blinzelte und öffnete dann vorsichtig die Augen. Er konnte jedoch nicht vermeiden, daß ihn das grelle Licht schmerzte. Er schloß die Augen wieder. Wo war er? Die Geräusche waren ihm fremd, von weitem hörte er eine verzerrte Stimme. Die Sprache klang wie Interlac, war jedoch anders. Kurz darauf konnte er den Mann deutlicher verstehen.

"Captain, ich werde unseren Gast jetzt wecken. Hurdel Ende." Der Mann, der sich Hurdel nannte ging auf die Liege zu, auf der Lennier lag. Er nahm von einem Tischchen einen Injektor und wollte ihn soeben an den Hals des Minbari drücken, als Lennier ihn beim Hals packte und zudrückte. Die Sicherheitsbeamten, die Berak in die Krankenstation beordert hatte, zogen sofort ihre Waffen und richteten sie auf Lennier.

"Wenn Sie schießen, dann breche ich ihm das Genick!" Hurdel fuchtelte mit dem Injektor in der Luft herum. Der Minbari ließ ein wenig lockerer und sah dann den Arzt an.
"Sind wir auf Babylon 5? Hat Sheridan nach mir suchen lassen?" Hurdel versuchte immer noch, Lenniers Arm von seinem Hals zu lösen.
"S - Sie sind auf d - der Highlander" brachte er mühsam hervor.
"Eine Raumstation?" Hurdel schüttelte den Kopf. "Raum - Raumschiff"
"Ein Raumschiff? Kein Raumschiff hat ein solches Medlab" Lennier deutete mit seinem Kopf in Richtung der medizinischen Einrichtungen der Highlander.
"Wie lange?" wollte er wissen. Hurdel hatte keine Zeit, zu überlegen.
"Hun -" begann Hurdel, als er unterbrochen wurde.
"Hundertdreizehn Jahre." Lenniers Kopf fuhr herum, als er hinter sich die Stimme einer Frau vernahm. Im selben Moment schaffte Hurdel es, sich zu befreien. Die Sicherheitsbeamten packten Lennier, der noch immer fassungslos auf Counselor Lavender starrte. Hurdel kämpfte noch immer mit Atemnot, griff jedoch nach einem zweiten Injektor und verabreichte Lennier ein starkes Beruhigungsmittel. Kurz darauf traf Captain Norad auf der Krankenstation ein. Nachdem er den Bericht des Doktors gehört hatte, wandte er sich an Lavender.
"Counselour, wie würden Sie das Verhalten von Lennier beurteilen? Soweit ich informiert bin, sind die Minbari nicht sehr gewalttätig."
"Das trifft auch im Normalfall zu, Captain" antwortete Lavender. "Ich kann mir vorstellen, daß der Schock, in einer völlig fremden Umgebung aufzuwachen, diese Reaktion hervorgerufen hat. Er fragte Hurdel, ob Sheridan nach ihm suchen ließ. Er bezieht sich warscheinlich auf den Präsidenten der Allianz der damaligen Zeit, John J. Sheridan. Anscheinend hatte er wirklich nicht vor, eine so lange Zeit im Hibernationsschlaf zu verbringen."

* * *

Caithlin lief hastig zum Turbolift.
"Central, wo befindet sich Captain Norad?"
"Captain Norad befindet sich zur Zeit in seinem Aufenthaltsraum."
"Brücke." Ungeduldig lief sie hin und her. Trotz der Geschwindigkeit, mit der die Kabine durch die Highlander getragen wurde, dauerte es beinahe zwei Minuten, bis sie ankam. Commander Vesk saß im Captains Chair und nahm gerade die Klarmeldungen der Stationen entgegen. Torvok stand am Sicherheitspult und hob eine Augenbraue, als Caithlin eilig die Brücke betrat, sie durchquerte und den Türsummer an Norads Bereitschaftsraum betätigte. Vesk sah sie mißbilligend an.

"Fähnrich O'Donnell, der Captain ist zur Zeit beschäftigt. Sie können nicht einfach mit der Tür ins Haus fallen."
"Doch." Sie betätigte nochmals den Summer, auch auf die Gefahr hin, daß sie sich höchstwarscheinlich Ärger einhandeln würde.
"Herein." Norads Stimme klang gereizt. Caithlin betrat den Bereitschaftsraum. Norad saß an seinem Tisch und las Daten auf einem PADD. Neben ihm stand eine Tasse Tee.
"Ich hoffe, sie haben einen triftigen Grund, mich bei meiner Arbeit zu unterbrechen, Fähnrich" sagte er mit einem leicht bedrohlichen Unterton und legte das PADD beiseite. Caithlin warf einen Seitenblick auf die Grafiken. Norad würde keine geheimen Daten so offen plazieren, daß sie sie sehen konnte. Die Manöver-Ergebnisse dachte sie. Nun, sie würde es früh genug erfahren.
"Sir, ich habe die Daten über Lennier fertig ausgewertet. Es scheint, als habe er vor 113 Jahren den Fighter, den er modifizierte, aus einem White Star-Schiff gestohlen."
"Das kommt mir irgendwie bekannt vor, Fähnrich" antwortete Norad säuerlich.
"Deshalb stören Sie mich?"
"Es kommt noch besser, Sir. Dieser White Star brachte damals Präsident Sheridan und seine Frau Delenn von Babylon 5 nach Minbar zum neuen Regierungssitz der Allianz. Und Lennier war drei Jahre lang der diplomatische Attaché von Delenn, bevor er mit dem Training zum Ranger begann. Auf dem Schiff gab es damals ein Gasleck im Waffenkühlsystem. Einer der Rangers und Präsident Sheridan wurde durch die austretenden Gase leicht verletzt. Kurz darauf kam es zu einem Kurzschluß im Kontrollpanel der Shuttlerampe."
"War Lennier für das Leck verantwortlich? Sheridan hatte sich durch seine Unabhängigkeitspolitik damals eine Menge Feinde gemacht." Ähnlich wie ich zur Zeit fügte er in Gedanken hinzu.
"Nein Sir. Ich habe die Daten überprüft, eine Leitung war aufgrund von Materialermüdung leckgeschlagen. Aber ich bin sicher, daß der Kurzschluß der Shuttlehangar-Kontrolle auf Lennier zurückzuführen ist. Ansonsten wäre es ihm nicht möglich gewesen, den Fighter zu entwenden ohne Alarm auszulösen. Es hätte zwar niemand auf ihn geschossen, aber man hättte ihn vermutlich unter Arrest gestellt. Warum er allerdings das Schiff verließ, konnte ich noch nicht herausfinden. Dazu müßte ich mit ihm sprechen."
"Zur Zeit ist er nicht ansprechbar. Wir mußten ihn ruhigstellen, weil gewalttätig wurde. Wir haben ihn in die sicherste Zelle des Schiffes verlegt und unter Bewachung gestellt."
"Was?" Caithlin sah Norad ungläubig an.
"Ja, er hatte Dr. Hurdel kurz in seiner Gewalt."
"Sir, das Ganze ist sicher ein Mißverständnis." Caithlin konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was Lennier dazu bewegen könnte, Dr. James Hurdel anzugreifen.
"Entil'Zha." Sie wählte die Anrede der Rangers um Norad zu zeigen, daß sie ihn als Ranger Eins anzusprechen wünschte. Norad bedeutete ihr, weiterzusprechen.
"Ich bitte Sie, mit Lennier sprechen zu dürfen. Es gibt noch einige Unklarheiten, die nur er aufklären kann."
"Und Sie meinen Sie können etwas erreichen, was Counselour Lavender nicht erreicht hat?" Norad war noch immer skeptisch. Caithlin hatte nicht vor, ihn auf Biegen und Brechen zu überzeugen. Sie versuchte, ihre Argumente stichhaltig vorzutragen. Norad haßte es, mit Geschwafel aufgehalten zu werden, das hatte sie inzwischen gelernt.
"Er ist ein Ranger, ich bin eine Ranger. Vielleicht kann ich ein Vertrauensverhältnis aufbauen."
Norad nickte. "Gut. Sie haben die Erlaubnis. Geben Sie Chief Berak Bescheid. Ich wünsche heute abend einen umfassenden Bericht."

* * *

Berak hatte es persönlich übernommen, Lennier zu Norad zu eskortieren. Sie wußte auch nicht, warum der Captain den Minbari ausgerechnet in der Beobachtungslounge sprechen wollte. Nun, es konnte ihr auch egal sein, solange die Sicherheit des Captains und des Schiffes nicht auf dem Spiel stand. Als sie ankam, trug Norad über seiner Uniform einen weiten Umhang. Die Kapuze lag locker über dem golddurchwirkten Stoff, der bei jeder Bewegung sanft schimmerte. Auf den Umhang war das Symbol der Rangers gesteckt, ein Stein, den die Rangers Isil'Zha nannten. Lennier war ebenso erstaunt wie Berak, als er Norad sah. Hinter Norad stand O'Donnell.

"Chief, lassen Sie uns allein. Und nehmen sie Lennier die Handschellen ab."
"Captain, das ist keine gute Idee. Darf ich sie daran erinnern, daß ��
"Chief Berak, führen sie einfach meine Befehle aus und zwar sofort!"
"Aye, Sir." Berak sah Lennier mit ihrem finsterstem Blick an, als sie die Handschellen abnahm.
"Paß auf - wenn du dem Captain zu nahe kommst, werde ich mich persönlich um dich kümmern." Dann drehte sie sich um und verließ den Raum.
"Fähnrich O'Donnell hat mich informiert, daß Sie mir etwas zu sagen hätten" begann Norad. Lennier sah ihm direkt in die Augen.
"Sie sind Ranger Eins?" wollte er wissen. Bevor Norad antworten konnte, sprach Caithlin.
"Me'su sendii Zha" sagte sie. "Mi' Terell che'sa." Lennier schien beeindruckt zu sein, denn er nickte Caithlin zu und verbeugte sich vor Norad.
"Sie wurden schon über meine Herkunft informiert" sagte er. "Ich habe in meinem Leben schwere Fehler begangen. Und ich habe damals versprochen, jemanden um Verzeihung zu bitten."
"Sie sprechen von Delenn" antwortete Norad. Lennier nickte.
"Ich habe dieses Versprechen gebrochen. Es ist zuviel Zeit vergangen. Delenn war halb menschlich, und Menschen haben nicht die Lebenserwartung von Minbari."
Caithlin sah Norad an.
"113 Jahre sind eine lange Zeit" fuhr er fort. "Sie wissen, daß Sie rapide altern werden?"
"Ihr medizinischer Leiter - Dr. Hurdel - hat es mir mitgeteilt" sagte Lennier. "Ich bin froh, daß ich ihn nicht schwer verletzt habe. Bitte entschuldigen Sie meine Überreaktion auf der Krankenstation." Norad sagte nichts.
"Lennier" Caithlin ergriff nun das Wort. Norad sah kurz zu ihr und nickte dann.
"Fahren Sie fort, Fähnrich."
"Lennier, Delenn ist noch am Leben."

* * *

Nachdem Lennier erfahren hatte, daß Delenn noch lebte, zurückgezogen in einem Tempel in den östlichen Bergen, bat er Norad, nach Minbar fliegen zu dürfen. Norad gab O'Donnell den Auftrag, Lennier zu begleiten. So konnte sie einige Nachrichten nach Minbar bringen, die ihm zu heikel für die Subraumkanäle erschienen. Seit er von der Erdregierung wegen Hochverrates gejagt wurde, schienen die Rangers die einzigen zu sein, denen er vertrauen konnte. Mehr oder weniger.

Nun flog die White Star 23 mit Höchstgeschwindigkeit durch den Hyperraum. Caithlin fühlte sich wohl, wieder eines der eleganten und schnellen Schiffe fliegen zu können. Die Highlander war das Flaggschiff der Flotte doch sie störte sich immer an der Behäbigkeit des großen Kreuzers der Wallace-Klasse. Es war in einem Kampf mit vielen kleinen Schiffen immer notwendig, die Jägerstaffeln starten zu lassen. In der Manövrierfähigkeit glich die Highlander eher einer Raumstation als einem Raumschiff. Das hatte ihr auch den Spitznamen 'Rakkhei' bei den Rangers eingebracht, was sich etwa mit "Großer Wal" übersetzen ließ. Die Rakkhei sind Meeressäuger auf Minbar, vergleichbar mit den Walen der Erde.

Lennier hatte lange meditiert und er dachte immer noch mit Unbehagen an das letzte Mal zurück, als er an Bord eines White-Star-Schiffes gewesen war. Caithlin war sehr geduldig und versuchte ihn von seinen Gedanken abzulenken, indem sie ihm das Schiff zeigte.

"Die Mannschaft trägt Universaltranslatoren, die wir von der Föderation übernommen haben" erklärte sie und deutete auf den Kristall, den eine junge Technikerin um den Hals trug, "die Minbari mußten sie gleich auseinandernehmen und verbessern. Jetzt sehen sie aus wie Schmuckstücke."
"Aber Sie sprechen Minbari?" wollte Lennier wissen.
"Ja, ich habe den Sprachkurs besucht, weil ich auch Bücher lesen wollte. Ich habe auf der Erde eine Ausbildung als Exo-Interfacedesigner hinter mir, und ich beschäftige mich in meiner freien Zeit mit der Kristalltechnik der Minbari. Viele benutzen jedoch nur die Translatoren. Versuchen Sie einmal, einem Pak'ma'ra oder Vree Minbari beizubringen - Sie werden scheitern" meinte sie mit einem Lächeln. "Wir haben auch einen Horta unter den Rangers."
"Wurde der Antrieb ebenfalls modifiziert?" Lenniers Neugier schien keine Grenzen zu haben.
"Ja, das auch" antwortete Caithlin. Sie erwähnte nicht, daß das Waffenkühlsystem ebenfalls modernisiert worden war. Lennier dachte jedoch daran und stellte erneut Fragen. Sein gequälter Blick entging Caithlin nicht und sie erriet seine wahren Gedanken.
"Was geschehen ist, ist geschehen, Lennier. Sie sind auf dem Weg zu Delenn. Versuchen Sie, sich selbst zu vergeben."
"So einfach ist das nicht, Caithlin. Sie wissen nicht wie es ist, jemanden zu lieben der - " Caithlin unterbrach ihn aprupt.
"Oh doch, Lennier, ich weiß es. Bitte glauben Sie mir. Aber ich würde niemals auf die Art und Weise handeln, wie sie es taten. Das gebietet mir meine Ehre und meine Verpflichtung gegenüber den Rangers. Denken sie darüber nach Lennier. Sie haben einmal einen Fehler gemacht und sind vor den Konsequenzen davongelaufen anstatt sich dem zu stellen, was auf sie zugekommen wäre. Sie können jetzt nicht schon wieder davonlaufen. Nicht vor sich selbst."
"Ich weiß immer noch nicht, warum ich damals so gehandelt habe. Ich wollte Sheridan doch nicht verletzten, das habe ich auch zu Delenn gesagt."
"Sie sind selbst verletzt, Lennier" erwiederte Caith. "Und bevor Sie selbst nicht Heilung finden, werden sie keine Ruhe finden.


Nach zwei weiteren Tagen Flug landete die White Star in Yedor, der Kristallstadt von Minbar. Caithlin hatte sich bei Lennier am Raumhafen verabschiedet, weil sie nach Tuzanor weiterfliegen mußte, um Norads Botschaften zu überbringen. Lennier hatte einen Gleiter gemietet, der ihn zum Tallori-Tempel gebracht hatte, der weit in den Bergen lag.

Nun ragte der große, runde Bau vor ihm auf und drohte ihn zu erdrücken. Dann gab er sich einen Ruck und betätigte den Gong neben der Tür. Der tiefe, sonore Klang weckte noch größeres Unbehagen in ihm. Er kam sich wieder wie der Novize vor, der zum erstenmal in völliger Respektbezeugung vor Delenn stand. Die Zeit, die verging, bis sich die große Tür öffnete, schien ihm endlos.

Eine junge Minbari, kaum mehr als ein Mädchen, öffnete und sah ihn erstaunt aus großen Augen an. Lennier wollte etwas sagen, sie winkte jedoch mit einer kurzen Geste ab und deutete ihm an einzutreten. Dann schloß sie die Tür und ließ Lennier allein. Er sah sich um. Die Kuppel des Tempels ragte hoch über ihn auf und tauchte die Vorhalle in ein graublaues Zwielicht. Zwei Gänge führten von der Halle fort, in deren Mitte sich ein dreieckiger Brunnen befand.
Lennier hatte in seiner Jugen mehrere Jahre im Tempel verbracht, doch seine Ausbildung diente dazu, später einmal Dienst zu tun, wie er es bei Delenn getan hatte. In diesem Tempel jedoch verbrachten die Novizen und Priester die Zeit mit meditieren und der Philosophie, das Universum verstehen zu lernen.

Dann hörte er den Klang der rituellen Glocken aus einem der Gänge. Er blickte in den Gang, konnte jedoch erst etwas erkennen, als sich das Dunkel durch mehrere große Kerzen lichtete, die entzündet wurden. Zwei Novizinnen trugen die Glockenspiele. Den Mädchen folgte eine gebückte, in weiß verschleierte Gestalt.

"Lennier." Die Gestalt nahm den Schleier ab. Es war Delenn. Lennier sah sie an. Sie war alt, oh sie war so alt geworden, doch noch immer blickten ihn ihre Augen voll Güte an.
"Du bist zurück. All die vielen Jahre habe ich die Hoffnung nicht aufgegeben, dich noch einmal zu sehen bevor ich sterbe."
"Delenn." Lennier wußte nicht, was er sagen sollte. Er nahm ihre Hand in die seine. Dann umarmte er sie vorsichtig. Die ehemalige Botschafterin der Minbari schien ihm so leicht wie ein Kind. Als Lennier sie losließ, sah er Tränen in ihren Augen.
"Du siehst noch genauso aus wie früher" sagte Delenn mit einem fragenden Unterton.
"Ich befand mich in Kryostase" erwiderte er. "Es wäre besser gewesen, wenn die Kryokammer mich getötet hätte" fügte er bitter hinzu.
"Nein!" Delenns Stimme klang energisch.
"Ich habe dir damals gesagt, daß du deinen Weg finden mußt. Ich bin glücklich, daß du hier bist."
"Ich habe mir aber immer noch nicht verziehen" sagte er.
"Und ich habe dir schon vor langer Zeit verziehen" sagte Delenn. "Komm. Ich möchte dich jemandem vorstellen.

* * *

Nachdem Lennier Delenn durch einige endlos scheinende Gänge gefolgt war, kamen sie in einen kleinen Innenhof. Pflanzen wuchsen in großen, steinernen Gefäßen. In der Mitte hatte Delenn jedoch einen japanischen Steingarten anlegen lassen. Drei große Steine lagen im Sand, von sanft geschwungenen Linien umgeben. Eine niedrige Steinmauer umgab das Sandbett.

"Ich erinnere mich, Delenn" sagte Lennier. "So einen Steingarten gab es auch auf Babylon 5"
"Er hat mich in den Jahren, in denen ich alleine war, an die Zeit dort erinnert" erwiderte Delenn. Lennier wollte gerade fragen, weshalb sie hier waren, als er aus den Augenwinkeln eine Bewegung vernahm. Seitlich von ihm bewegte sich eine Palme. Auch Delenn hatte die Bewegung bemerkt.
"Valeria! Komm heraus!" Wieder wackelte das Gebüsch. Dann kam ein kleines Mädchen von etwa vier Zyklen heraus, das sich schüchtern vor Lennier stellte. Sie hatte braune Haare und sah den Minbari aus dunklen Augen an.
"Keine Angst, Valeria. Das ist Lennier. Er ist ein alter Freund." Lennier sah noch immer auf das Kind, dann zu Delenn. Eine unausgesprochene Frage lag in seinem Blick.
"Valeria ist meine Ur-Ur-Ur-Enkelin. So würden es die Menschen auf der Erde wohl nennen."
"Hallo" sagte Lennier und beugte sich zu dem Mädchen. Jetzt sah er auch, daß das Mädchen nicht völlig menschlich war. Über den Ohren, die klein und zart wie die eines Minbari waren, zeigten sich erste Ansätze des typischen Knochenkammes.
"Ihre Eltern?" wollte er wissen.
"Ihre Mutter ist Priesterin hier im Tempel" sagte Delenn. "Ihr Vater kam bei einem Einsatz ums Leben. Er war ein Ranger."
"Das tut mir leid, Delenn" erwiederte Lennier. Valeria hatte bisher noch nicht gesprochen. Jetzt legte sie ihre Hand in die von Lennier.
"Warum bist du so traurig?" sagte sie. Lennier zuckte unmerklich zurück.
"Del, warum ist Lennier so traurig?"
"Lennier hat sehr lange geschlafen, Kleines. Du solltest jetzt auch ins Bett gehen, es ist schon spät."
"Kommst du noch und erzählst mir eine Geschichte?"
"Heute nicht, Valeria. Vielleicht hat Tiara Zeit, du darfst sie fragen."
"Gute Nacht, Del" sagte Valeria folgsam. "Gute Nacht, Lennier." Dann drehte sie sich um und lief durch den Ausgang des Gartens.
"Ist sie telepathisch begabt?" wollte Lennier wissen.
"Nein, nur empathisch" gab Delenn zurück. "Deshalb wächst sie auch hier im Tempel auf. Hier hat sie die Ruhe, die sie für ihre geistige Stabilität benötigt. Wir sind hier nicht sehr viele, und zur Zeit beschränkt sich ihre Wahrnehmung noch auf Personen, die sie berührt."
"Delenn, da gibt es noch etwas, worüber ich mit dir sprechen muß."
"Ja?"
"Bevor ich hierher flog erfuhr ich, daß durch die Kryostase mein Alterungsprozeß nur aufgeschoben wurde. Es ist unwarscheinlich, daß ich den nächsten Monat noch erleben werde."
Delenn nickte stumm. "Wann wirst du fortgehen?"
"Ich dachte, du - "
"Machen wir uns nichts vor, Lennier. Wir beide wissen, daß du nicht auf Minbar bleiben willst."
"In zwei Tagen." sagte Lennier.
"Wohin wirst du gehen?"
"Ich wurde von einem Föderationsschiff gefunden. Ich denke, ich werde dorthin zurückfliegen. Das All ist ein guter Platz für mich."
Dann verbeugte er sich vor Delenn. "Ich werde mich jetzt zurückziehen."

* * *

Das Erdbeben kam unerwartet und plötzlich. Es gab keinerlei Vorzeichen oder seismische Aktivitäten, die es angekündigt hätten. Es begann mit einem leichten Rütteln und steigerte sich binnen Sekunden in schwere Erdstöße, die den gesamten Bau erschütterten. Delenn schrak auf und klammerte sich an der Schlafliege fest. Die Novizin, die im Nebenraum schlief, wurde von den Erdstößen unsanft von ihrer Liege geworfen.

Dann hörte Delenn das Krachen. In der breiten Wand zeigten sich Risse, die sich rasch bis zur Decke hochzogen. Kleine Kristallsplitter brachen aus den Trägersäulen, die die Konstruktion trugen. Die Minbari stand auf, nur um von den nächsten Erdstößen zu Boden geschleudert zu werden. Sie wurde von Kristallsplittern überschüttet, die sich schmerzhaft in ihre Haut bohrten. Auf ihren Stock gestützt, versuchte Delenn, den Türrahmen zu erreichen. Erdbeben waren in diesem Teil Minbars keine Seltenheit, doch selten erreichten sie die Stärke dieses Bebens. Auch wurden sie rechtzeitig gewarnt, wenn es gefährlich werden konnte. Diesmal gab es jedoch keine Warnung. Dann hörte sie ein lautes Rumpeln, dem eine unheimliche Stille folgte. Das ganze Beben hatte nur eine halbe Minute gedauert, die Delenn jedoch wie eine Ewigkeit erschienen war. Vorsichtig bewegte sie sich auf die Verbindungstür zu, die ihren Raum mit dem ihrer Betreuerin verband.

"Siraal!" Sie rief nach dem Mädchen. Stille. Delenns Knie schmerzten, doch sie humpelte, gestützt auf den Stock, ins Nebenzimmer. Entsetzt sah sie auf die Zerstörung. Durch den Staub konnte sie erkennen, daß eine der Trägersäulen umgestürzt war. Und dann wandte sie sich zitternd ab. Siraal war tot. Die junge Minbari war von der Säule erschlagen worden.

Einen Augenblick später kamen weitere Novizinnen herein. Sie erfassten die Situation rasch. Zwei führten Delenn fort, während sich die anderen um ihre Schwester kümmerten. Delenn wurde in einen sicheren Teil des Tempels gebracht, wo bereits die ersten Verletzten versorgt wurden. Sie sah sich um und suchte Valeria. Das Mädchen war nirgends zu sehen. Gerade als sie eine der Priesterinnen fragen wollte, kam Valerias Mutter herein.

"Delenn! Valen sei Dank, du lebst!" sie schien erleichtert, aber Sorge zeigte sich in ihren Augen.
"Wo ist Valeria, Tirenn?" war die erste Frage, die Delenn stellte. Tirenn sah ihre Ur-Ur-Großmutter an.
"Delenn, sie wird vermißt. Der ganze Westteil des Tempels ist zusammengebrochen." Ihre Stimme zitterte. "Auch Lennier und drei andere Priester werden vermißt." Sie wußte, daß sie Delenn die Wahrheit nicht verheimlichen konnte. Doch sie hatte nicht mit dem Schmerz gerechnet, den sie in ihrem Gesicht sah. Delenn brach zusammen und mußte von Tirenn gestützt werden. Auch sie war verzweifelt und wußte nicht, ob ihre Tochter noch lebte. Nur die Ausbildung im Tempel verlieh ihr die nötige Stärke.

* * *

Lennier hustete und öffnete vorsichtig die Augen. Dämmerlicht umgab ihn, gepaart mit völliger Finsternis. Vorsichtig bewegte er sich, und ein heftiger Schmerz durchzuckte seine linke Schulter. 'Vermutlich gebrochen' stellte er in Gedanken fest. Langsam gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit, und er konnte das Ausmaß der Zerstörung erkennen. Überall lagen zerbrochene Kristallsplitter und Schutt. Vorsichtig stand Lennier auf. Die Decke des Raumes, in dem er geschlafen hatte, war nur noch einen Meter vom Boden entfernt und Lennier konnte sich nur noch gebückt bewegen. Er versuchte sich zu orientieren, als er das Weinen hörte. Valeria dachte er.

"Valeria!" rief er und wartete dann auf eine Antwort. Stille folgte. "Valeria! Ich bin es, Lennier!"
"Ri'hla, Lennier." Schwach hörte er die Stimme des Mädchens aus den zerstörten Mauern. Er folgte der Stimme.
"Es ist so dunkel, Lennier! Ich habe Angst!" Lennier kam näher zu Valeria.
"Ich weiß, Valeria." Er ging weiter. "Ich bin gleich bei dir" sagte er. Als er um die Ecke bog, wäre er beinahe abgestürzt. Im Zwielicht konnte er erkennen, daß er Boden über mehrere Meter aufgerissen war. Ein Teil der Mauer war in die Spalte gestürzt, hatte sich verkeilt und steckte etwa zwei Meter tief fest. Und dazwischen saß Valeria und klammerte sich ängstlich fest.

"Ich bin hier, Kleines" sprach Lennier beruhigend auf sie ein. "Bewege dich nicht, ich werde dir helfen." Das war allerdings schwerer umzusetzen als er es sich eingestehen mochte. Er konnte nicht zu dem Kind klettern weil er nicht wußte, ob ihn die Mauer tragen würde. Und mit seiner Schulter war es ihm beinahe unmöglich, das Mädchen hochzuziehen.

"Valeria, ich werde etwas suchen, woran du hochklettern kannst - mein Arm ist gebrochen, und du mußt mir dabei helfen. Versprichst du mir das?" Valeria nickte ängstlich.
"Ich bin bald wieder da. Und dann bringe ich dich zu Delenn." Lennier war sich sicher, daß Delenn noch am Leben war. Er kletterte zurück und ging ein Stück in den anderen Raum zurück, von dem er gekommen war und sah sich um. Die Quartiere des Tempels waren schlicht gestaltet und es gab fast nichts, das man als Seil verwenden könnte. Einen Augenblick dachte er an die Centauri. Sie hatten eine Vorliebe für Trossen und Quasten, die man in so einer Situation gut gebrauchen konnte. Lenniers Blick fiel auf ein Stück Stoff. Er zog daran, und das Stück wurde länger. Es ein der Vorhang aus dünnem Seidenstoff, den er gefunden hatte. Nun, es war das beste was er finden konnte.

* * *

Das kleine Med-Schiff landete unweit des Tempels auf einem Hochplateau. Nachdem das Beben vorüber war, waren sofort Schiffe von Tuzanor aus gestartet, um in die betroffenen Gebiete zu fliegen und Hilfe zu leisten.

Die Minbari arbeiteten rasch und effizient und versorgten die Verletzten. Die Toten wurden von den Mitgliedern der religiösen Kaste fortgebracht. Ein Suchtrupp war aufgebrochen, um nach den Vermißten zu suchen. Dies gestaltete sich in der Nacht besonders schwierig, da der Tempel teilweise in den Berg gebaut war und ein Teil des Berges auf den Tempel gestürzt war.

Für Delenn und Tirenn wurde es eine lange Nacht. Delenn saß nur vor dem Zelt, das man errichtet hatte und betrachtete die Sterne. Tirenn verbrachte die Stunden mit stillem Gebet.

Lennier knotete die Stoffe zusammen. Er konnte seinen linken Arm kaum bewegen, und so mußte er mit einer Hand arbeiten. Er hoffte, daß der Vorhang das Gewicht von Valeria tragen würde. Sie war bisher sehr still gewesen, doch jetzt sah sie zu Lennier hoch.

"Mein Vater ist auch ein Anla'Shok gewesen" sagte sie plötzlich. "So wie du."
"Nicht so wie ich, Valeria" erwiederte Lennier.
"Del erzählte mir einmal, daß die Anla'Shok uns beschützen. So wie du mich beschützt."
"Delenn... Del ist sehr weise." Lennier beschloß, Delenn nicht in ihrem Glauben zu enttäuschen. Das hatte er einmal getan und bitter dafür bezahlt. Er nahm seinen Kampfstab, aktivierte ihn und verkeilte ihn zwischen zwei Betonplatten. Dann knotete er den Vorhang daran und warf das improvisierte Seil Valeria zu.
"Hör zu, Valeria. Binde dir den Stoff um. Dann mußt du versuchen, hochzuklettern."
"Das kann ich nicht, Lennier!"
"Doch, du kannst es. Ich werde dir dabei helfen, aber du mußt auch mir helfen." Valeria nickte. Sie tat, was Lennier ihr gesagt hatte und begann dann zu klettern. Die Felsspalte war glatt, und sie rutschte immer wieder ab. Lennier half dem Mädchen, so gut er konnte, indem er sie hielt. Dann riß ihn ein heftiges Rütteln beinahe um. Valeria rutschte zurück und klammerte sich verängstigt fest.
"Es ist alles in Ordnung" versuchte Lennier sie zu beruhigen. "Das war ein Nachbeben."
Kurz darauf war ein Knacken zu hören.

"Lennier - der Boden bewegt sich!" Valeria schrie, als die Wand tiefer in die Bodenspalte rutschte. Putz bröckelte und verschwand in der Tiefe. Lennier erfaßte die Situation sofort.
"Valeria, kletter sofort los! Ich werde dich hochziehen. Beeile dich!" Er wickelte den Stoff um seinen gesunden Arm. Einen Herzschlag später stürzte die Mauer rumpelnd in die Tiefe.

"Sieh nicht nach unten!" rief Lennier und zog dann an seinem Seil. "Weiter" ermunterte er das Mädchen, "du machst das sehr gut". Die Sekunden tropften dahin. Dann bekam Lennier die Hand des Mädchens zu fassen und zog sie mit letzer Kraft über den Rand des Abgrundes. Valeria schluchzte und Tränen rannen über ihre Wangen. Sie umarmte Lennier als wolle sie ihn nie wieder loslassen.

"Es ist alles in Ordnung" redete er sanft auf sie ein und trocknete ihre Tränen. "Du bist ein tapferes Mädchen." Mehrere Minuten später hatte sich Valeria wieder soweit beruhigt, daß sie ihn losließ. Sie schrak immer noch zusammen, wenn ein Nachbeben folgte. Lennier nahm sie bei der Hand. Er wußte, daß die Nachbeben viel schwächer ausfielen als das Hauptbeben. Dann gingen sie in den Hauptgang, der den Westflügel mit dem Rest des Tempels verband. Hier waren die Schäden nicht so schwer, und sogar die Lampen funktionierten noch teilweise und tauchten den Gang in ein dumpfes Zwielicht.

* * *

Caithlin hatte den ganzen Tag damit verbracht, mehrere Ausbilder in Tuzanor zu besuchen, um ihnen Nachrichten und Befehle von Norad zu überbringen. Vor wenigen Minuten hatte sie die letzte Botschaft überbracht und sie war müde, als sie zum Aubildungslager zurückkehrte. Als sie das Hauptgebäude der Rangers betrat, bemerkte sie die Unruhe der anwesenden Personen. Mehrere Rangers in Ausbildung unterhielten sich leise und verstummten, als Caithlin an ihnen vorbeikam. Caith haßte solche Situationen, wollte aber nicht nachfragen und begab sich in ihr Quartier. Sie aktivierte den Vid-Schirm und wählte den Nachrichtenkanal. Das meiste was sie hörte war Innenpolitik der Minbari, doch als ein Bericht von einem Beben in den östlichen Bergen folgte, schrak sie auf. Lennier war in die Berge unterwegs gewesen. Als sie kurz darauf die VID-Bilder des Tempels sah, deaktivierte sie den Schirm und forderte einen Gleiter an.

Lennier hörte das Klopfen zuerst. Schwach klang es zwischen den Steinplatten hindurch, die ihm den Weg versperrten. Der Minbari nahm einen Stein und schlug gegen den Schutt. Dann wartete er. Das Klopfen wiederholte sich, diesmal lauter. Ein schabendes Geräusch folgte, dann polterten einige Steine Lennier und dem Mädchen entgegen. Kurz darauf steckte ein männlicher Minbari den Kopf durch das Loch.

"Te'sa kri?" wollte er wissen.
"Es geht uns gut" erwiederte Lennier. "Mein Arm ist gebrochen, Valeria ist unverletzt."
"Ich bin hier eingeschlossen" antwortete der Minbari. "Der Gang hinter mir ist verschüttet und hier gibt es kein Werkzeug."
Lennier nahm seinen Kampfstab aus seinem Umhang und reichte ihn durch das Loch.
"Versuchen Sie es damit."
"Anla'Shok?" wollte sein Gegenüber wissen.
"Ie."

Lennier hörte von der anderen Seite des Schutthaufens das Klicken des Stabes. Weitere Steine polterten und das Loch wuchs an. Kurz darauf kroch der Minbari erschöpft aber glücklich auf die andere Seite. Er reichte Lennier seine Waffe und verbeugte sich.
"Dorval, vom Hause Kor" stellte er sich vor.
"Lennier, vom Hause Chudomo" erwiederte Lennier den förmlichen Gruß. Er sah zu Valeria. "Und das ist Valeria - "
"aus dem Hause Mir" vervollständigte Dorval den Satz. "Ich wurde hierhergeschickt, um mich um ihre Ausbildung zu kümmern" erklärte er. Lennier nickte. Dorval umschrieb damit, daß er ein Telepathenlehrer war.

"Wir müssen uns einen anderen Weg suchen" sagte Lennier.
"Der Tempel hat noch andere Ausgänge" erwiederte Dorval. "Sicher hat man schon Suchmannschaften losgeschickt."
"Das vermute ich auch." Lennier hoffte nur, daß Delenn unverletzt war.
"Delenn geht es gut" sagte Dorval. "Tut mir leid, aber Sie machen sich so große Sorgen, daß ich es nicht ignorieren kann."
"Danke." Lennier wirkte erleichtert. Dann machten sie sich auf den Weg, um einen Weg aus dem Tempel zu suchen.

* * *

Schon von weitem konnte Caithlin den hell erleuchteten Landeplatz auf dem Hochplateau erkennen. Sie drosselte die Geschwindigkeit des Gleiters und setzte am Rand des Landeplatzes auf, um die Hilfsmannschaften nicht zu behindern. Dann deaktivierte sie die Maschinen und stieg aus dem Schweber. Unter ihr lag in schemenhaftem Dunkel der Tempel.

Sie ging auf ein großes Zelt zu, das durch eine Fahne als Organisationszentrale gekennzeichnet war. Sie verbeugte sich vor dem anwesenden Minbari und erkundigte sich nach Delenn.

Caith atmete tief durch, bevor sie die Glocke schlug, die vor dem Zelt angebracht war. Delenn war so etwas wie eine Legende unter den Rangers, so wie Valen. Nun, es konnte kaum schlimmer sein, als sich vor Norad zu verantworten.

"Herein." Caithlin trat ein. Delenn und eine zweite Frau saßen auf einigen Kissen. Jetzt sah die alte Minbari erstaunt auf. Wenn man den Erzählungen glauben schenkte, war sie beinahe 140 Jahre alt. Ihr Haar war grau und fiel in Strähnen um den Knochenkamm auf ihrem Kopf.

"Caithlin O'Donnell, Dor'Zha" stellte sich die Ranger vor. "Ich bitte um Verzeihung für die Störung, aber ich muß Sie sprechen." Delenn nickte.
"Tirenn, laß uns allein." Die Minbari nickte und verließ dann das Zelt. Delenn deutete auf einige Kissen. Caithlin setzte sich und begann dann zu sprechen.
"Ich sah einen Bericht über das Beben in den Spätnachrichten. Wo ist Lennier?"
"Er wird seit dem Beben vermißt" erwiederte Delenn. Sie erwähnte Valeria nicht.
"Woher wissen Sie, daß er hier ist?"
"Ich habe ihn im Weltraum aufgegriffen" antwortete Caithlin. "Ich diene auf der Highlander unter Captain Norad."
"Ich habe schon erfahren, daß er zum Ranger Eins ernannt worden ist" sagte Delenn. "Es ist gut, das Amt in guten Händen zu wissen. Aber Sie sagten, Sie wollten über Lennier sprechen."
"Richtig. Ich habe auf der Highlander mit ihm über die Vorfälle vor 113 Jahren gesprochen und er hat sich mir anvertraut. Er fühlt sich immer noch schrecklich schuldig."
Delenn nickte. "Ich habe mit ihm bereits gesprochen und ihm gesagt, daß ich ihm schon lange verziehen habe. Es wird das Geschehene nicht rückgängig machen. Er muß Mora'Dum überwinden." Caithlin wußte, was Delenn damit sagen wollte. Mora'Dum - der Minbari-Begriff für das, was die Rangers 'Überwindung der Angst' nannten.
"Das hoffe ich" sagte Caithlin. Sie wollte sich verabschieden, als Tirenn plötzlich in das Zelt stürzte.
"Verzeih Delenn, aber es wird wieder ein Nachbeben geben. Das Lager ist sicher, und Sie sollten bis auf weiteres hier bleiben" meinte sie mit einem Blick auf die Ranger. Caith nickte. Kurz darauf zitterte der Boden unter den seismischen Aktivitäten.

* * *

Dorval hatte Lenniers Arm geschient und so schmerzte ihn der Bruch nicht mehr ganz so stark. Sie waren schon seit Stunden unterwegs, jedenfalls schien es Lennier so. Immer wieder gab es leichtere Erdstöße die Steinbrocken lösten und Sprünge in den Wänden verursachten. Der Tempel mußte warscheinlich abgetragen und wiederaufgebaut werden. Lennier ging den Gang entlang, als er einen Luftzug verspürte. Er rief die anderen zu sich und gemeinsam folgten sie der Luftströmung. Sie endete bei einem verschütteten Torbogen. Die Spalte war so winzig, daß Valeria ihre Hand durchstecken konnte.

"Es ist kalt, Lennier" sagte sie.
"Dieser Weg führt zu den Lagerräumen. Wir müssen ganz nahe an der Außenmauer sein" sagte Dorval. Er versuchte nochmals, mit dem Kampfstab das Loch zu vergrößern, doch diesmal ohne Erfolg.
Plötzlich bebte die Erde wieder. Dorval hielt Valeria fest und Lennier klammerte sich an eine Säule. Durch das Grollen bemerkte keiner von ihnen das Knacken, das die Risse begleitete, die sich durch die Decke zogen. Dann war das Nachbeben vorüber.

"Wir sollten uns besser beeilen, hier herauszukommen" sagte Lennier. "Versuche es noch einmal. Vielleicht hat das Nachbeben das Gestein gelockert." Dorval nickte. Er setzte den Kampfstab als Hebel an und brach einige Stücke aus der Geröllmasse. Plötzlich polterten mehrere Steine auf die andere Seite und gaben einen schmalen Spalt frei, groß genug, um einen Menschen - oder Minbari - durchzulassen. Es knackte nochmals, diesmal lauter. Lennier sah nach oben und stieß dann Valeria zur Seite. Im selben Augenblick stürzte ein Teil der Decke ein und begrub ihn unter sich.
"Lennier! Lennier!" Valeria sah geschockt auf die Trümmer. Dorval hatte schon einige der kleineren Brocken entfernt, doch das große Trägerelement, das auf Lennier gestürzt war, konnte er nicht bewegen. Lennier atmete noch, doch er war eingeklemmt. Sein Knochenkamm war von feinen blutenden Rissen durchzogen.

"Lennier!" Valeria kletterte zu ihm. Der Minbari öffnete langsam die Augen.
"Ich werde Hilfe holen" sagte Dorval, nachdem er bemerkt hatte daß Lennier bei Bewußtsein war. "Bleib bei ihm, Valeria, ich bin rasch zurück." Dann kroch er durch die Spalte und das Mädchen war mit Lennier allein.

"Valeria..." das Sprechen schmerzte Lennier, und jeder Atemzug quälte ihn. Die Steinplatte hatte seine Rippen zertrümmert.
"Valeria, kannst du etwas für mich tun?"
"Ja."
"Nimm den Isil'Zha" sagte Lennier. "Bring ihn zu Del."
"Aber -"
"Shh.. ich möchte, daß Delenn ihn bekommt." Lennier hustete, und eine Welle heißer Schmerzen fuhr durch seine Brust.
Das Mädchen begriff nun. Stumm rannen ihr Tränen über das Gesicht, als sie die Brosche an sich nahm. Dann legte sie ihre Hand vorsichtig auf Lenniers Stirn.
"Du bist nicht mehr traurig" sagte sie.
"Ja... nicht mehr...weine...nicht..."
Als Minuten später Dorval mit dem Med-Team eintraf, lächelte Valeria.

* * *

Delenn erzählt...

Ich habe ihn verloren. Meine Freude, Valeria gesund in die Arme schließen zu können wurde vom Tod meines treuesten und besten Freundes überschattet. Es hilft mir nicht viel wenn ich mir selbst einrede, daß er es vielleicht so wollte. Valeria hat mir erzählt, wie Lennier kurz vor seinem Tod Frieden gefunden hat. Er hat Mora'Dum überwunden, seine eigene Angst. Doch es wird andere geben, die diesen Pfad beschreiten müssen. Denn jeder, egal ob Mensch oder Minbari, trägt eine Angst in seinem Herzen.


Tanja Kühnel
Mitte 1999
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