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Rhiannons Geschichte:
2. Kapitel

(von Jennifer Fausek)

In den folgenden Tagen begann Delenn damit, Rhiannon die minbarische Sprache und die Schriftzeichen beizubringen. Die Minbari war überrascht, wie schnell ihre Schülerin lernte, auch wenn sie mit einem seltsamen Akzent sprach und ihre Schrift sehr kindlich wirkte.
Rhiannon hatte sich schon nach kurzer Zeit an den täglichen Unterricht im Tempel und die Leute dort gewöhnt. Allerdings mochte sie es nicht, dass die meisten Minbari sie - wie Tennan - Riann nannten, manche mit sanftem Spott, andere allerdings mit Verachtung und Hass.
Satai Delenn war klar, dass es viel Zeit brauchen würde, um gegenseitiges Vertrauen zwischen sich und ihrer Schülerin aufzubauen. Aber Ria machte es nicht gerade leichter. Wenn sie gemeinsam durch den Tempelpark spazierten, schwieg sie meistens und redete nur, wenn es sein musste.
Manchmal hatte Delenn das Gefühl, dass Rhiannon ihr überhaupt nicht zuhörte. Es gelang ihr einfach nicht, eine Basis zu einer gemeinsamen Kommunikation zu errichten, zu dem Mädchen durchzudringen.
"Die minbarische Gesellschaft ist in drei Kasten unterteilt", erzählte Delenn Rhiannon, als sie wieder einmal nebeneinander im Park saßen. "Die Glaubens-, die Krieger-, und die Arbeiterkaste. Jede der drei Kasten ist mit drei Leuten im sogenannten Grauen Rat vertreten, der Minbar regiert. Der Rat wurde etwa vor tausend Jahren von Valen, dem bedeutendsten Oberhaupt unseres Volkes gegründet. Die Mitglieder des Graues Rates werden Satai genannt. Und seit Gründung des Rates haben Minbari nie Minbari getötet."
"Dafür aber Menschen", warf Ria kühl ein. "Oder haben Sie das schon vergessen? Ihr Volk hat Krieg gegen mein Volk geführt."
"Wie könnte ich das vergessen", murmelte Satai Delenn.
Jener unglückselige Konflikt zwischen Menschen und Minbari, der auf beiden Seiten viele Leben gefordert hatte, war aus einem dummen Missverständnis heraus entstanden. Als Ende des Jahres 2242 zum ersten Mal Schiffe beider Völker aufeinandergetroffen waren, hatten die Minbari als Zeichen der Stärke und des Respekts die Torpedorohre ihres Raumkreuzers geöffnet - ohne natürlich auf das Schiff von der Erde zu zielen. Die Menschen hatten geglaubt, sie würden angegriffen und hatten in Panik auf die Minbari gefeuert, dabei einige von ihnen getötet und waren dann in den Hyperraum geflohen.
Dem war ein gnadenloser Krieg gefolgt, in dem die Minbari in ihrem Zorn die Menschen fast ausgelöscht hätten. Die Erde hatte von Anfang an auf verlorenem Posten gekämpft, denn die Minbari waren ihr, technologisch gesehen, um Jahrtausende voraus.
Doch anstatt die Erde in einem letzten vernichtenden Schlag schlußendlich zu zerstören, hatten sich die Minbari einfach ergeben und sich zurückgezogen. Alle Menschen waren froh, nach vier Jahren Krieg endlich wieder Frieden zu haben. Aber kein Mensch wusste, warum sich die Minbari so einfach ergeben hatten - noch dazu, wo sie die Erde schon fast erreicht gehabt hatten und es kaum mehr Widerstand gegeben hatte.
Es sind Bestien! Tötet sie! Tötet sie alle! Sie verdienen keine Gnade!
Delenn schob die Erinnerung an diese Worte beiseite. Sie selbst hatte sie damals voll Trauer und Wut ausgesprochen. Ihre Unbesonnenheit hatte sie selbst zu dem Monster werden lassen, für das sie die Menschen gehalten hatte, und nur mit großen Schwierigkeiten war es ihr gelungen, diesen Krieg zu beenden.
Satai Delenn sah Rhiannon in die Augen. Nein, dieser Mensch war ganz bestimmt keine Bestie, sondern ein Kind, wenn auch ein recht stures.
Ria wandte den Blick ab. "Tut mir Leid. Ich wollte keine alten Wunden aufreißen. Unsere Völker haben schon genug gelitten."
"Du hast Recht", entgegnete Delenn traurig.
"Welcher Kaste gehören Sie an?" fragte Rhiannon, bevor sie sich stoppen konnte.
"Der religiösen Kaste", antwortete Delenn und lächelte erfreut über das Interesse ihres Schützlings. "Meine Kaste ist - wie der Name schon sagt - für Religion zuständig, außerdem für Wissenschaft, Diplomatie und dergleichen. Die Kriegerkaste kümmert sich um Strategie, Entwicklung von Waffen und die Sicherheit. Und die Arbeiterkaste baut unsere Städte und andere Dinge und hält sie instand. Außerdem betreiben sie Handel, und sie stellen Gebrauchsgegenstände und Nahrung her... Nun, die Feinheiten des Kastensystems wirst du mit der Zeit selbst herausfinden. Ganz so eng wie es sich anhört ist es nicht."
"Und was ist mit Künstlerinnen und Künstlern?"
"Die gibt es in jeder Kaste", erklärte Delenn. "Interessierst du dich für Kunst?"
Ria zuckte nur die Achseln. Delenn kannte diese Geste nicht, interpretierte sie aber als Zeichen der Gleichgültigkeit. Es war natürlich auch möglich, dass das Mädchen einfach nur keine Lust hatte zu antworten.
"Ich glaube, du hast für den Moment genug gelernt", sagte die Minbari und lächelte. "Wenn du willst, kannst du am Training teilnehmen. Es findet in der großen Halle statt."
Auch wenn es sich so angehört hatte, Rhiannon wusste, dass Delenn keinen Vorschlag gemacht hatte, es war eine Aufforderung. Ria sollte mit minbarischen Jugendlichen in ihrem Alter zusammentreffen und lernen, sich in der Gemeinschaft einzufügen.
Das Mädchen ging, ohne sich kurz zu verneigen, wie es bei den Minbari üblich war. Damit verstieß sie wieder einmal absichtlich gegen die Höflichkeitsregeln.
Delenn folgte ihrer Schülerin ein paar Minuten später und beobachtete sie beim Kampftraining. Im Vergleich zu den Minbari wirkte der junge Mensch unbeholfen. Nun, dafür schien Rhiannon weitaus beweglicher zu sein, als minbarische Kinder und Jugendliche.
Tennan selbst kümmerte sich um Ria und brachte ihr die Grundgriffe der minbarischen Kampftechnik mit dem Holzstab bei.
Delenn lächelte flüchtig, als sie dabei zusah, wie ihr Schützling ungeschickt Tennans Angriff abwehrte. Rhiannon war zwar etwas tapsig, aber sie war mit Begeisterung bei der Sache. Delenn zweifelte nicht daran, dass aus ihr einmal eine gute Kämpferin werden würde.
Ria versuchte nun einen Angriff gegen Tennan, aber der alte Priester fegte ihr einfach den Boden unter den Füßen weg. Er streckte ihr die Hand entgegen, um ihr aufzuhelfen, und Rhiannon ergriff sie nach kurzem Zögern.
"Du musst mehr auf deine Beine achten. Sie dürfen nie zeigen, was du als nächstes vorhast", sagte Tennan.
Ria warf ihm einen finsteren Blick zu, nahm die Belehrung aber kommentarlos hin.
Statt dessen versuchte sie die Übungen mit dem Holzstab weiter. Schließlich kam der Teil des Trainings, in dem ohne Waffe gekämpft wurde. Rhiannon lächelte stolz, als sie feststellte, dass sie dabei mit den anderen Jungen und Mädchen ohne Probleme mithalten konnte, obwohl sie nicht so stark war, wie die minbarischen Kinder.
"Für das erste Mal hast du dich gut gemacht", sagte Tennan nach dem Training zu ihr. "Deine Technik mit dem Stab ist zwar noch nicht ausgereift, aber das wird mit der Zeit schon noch kommen. Das heißt, wenn du daran arbeitest."
"Das werde ich", versprach Rhiannon und lächelte zaghaft.
Tennan nickte ihr freundlich zu. "Nur vergiss nicht: Die beste Art, einen Kampf zu überleben..."
"...ist erst gar nicht in einen zu geraten", beendete Ria den Satz für ihn.
"Richtig", entgegnete Tennan leicht amüsiert. "Du kannst jetzt gehen."
"Shadron", sagte Rhiannon und verneigte sich.

Das Leben auf Minbar war etwas gewöhnungsbedürftig für Menschen, das hatte Rhiannon schon am ersten Tag hier gemerkt.
Es störte Ria zum Beispiel sehr, dass Minbari nie anklopften, wenn sie einen Raum betraten. Wenn sie also sicher sein wollte, dass sie ungestört blieb, musste sie die Tür zu ihren Räumen abschließen.
Besonders unangenehm war es Rhiannon auch, dass Nalae und Tonall jeden Morgen in ihr Zimmer kamen, sobald sie aufgestanden war, um sauber zu machen und die Schmutzwäsche zu holen. Ria hatte einige Male versucht ihnen zu erklären, dass sie durchaus in der Lage war, selbst aufzuräumen und auch ihr Frühstück selbst machen konnte - was vergeblich gewesen war. Nach wie vor kamen die Minbari in ihre Räume, sobald sie im Badezimmer war.
Außerdem hatte sich Rhiannon wohl oder übel an die minbarische Kost gewöhnen müssen, da es keine menschliche Nahrung gab. Die Mahlzeiten bestanden deshalb hauptsächlich aus Gemüse, Obst, Brot Nudeln und verschiedenen Soßen. Das Fleisch von minbarischen Tieren war für den menschlichen Körper ungeeignet, was allerdings kein Problem darstellte. Wie fast alle Mitglieder der religiösen Kaste aß Delenn kein Fleisch, und deshalb fiel es auch Ria nicht schwer, darauf verzichten zu müssen. Allerdings vermisste sie Dinge wie Tomatensuppe mit Reis, Pizza und Süßspeisen. Zwar gab es letzteres auch auf Minbar, aber es schmeckte ihr nicht sonderlich.
Auf Minbar waren die Tage kürzer als auf der Erde, nur zwanzig Stunden und siebenundvierzig Minuten lang, etwa gleich lang wie auf Denera, der Kolonie, in der Ria gelebt hatte. Die Zeitumstellung war für das Mädchen deshalb einfach gewesen.
Das Leben in Yedor selbst verlief - nach minbarischen Maßstäben - recht hektisch. Tatsächlich war die Stadt ein Ort ständiger Aktivität. Egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit, es herrschte immer reger Verkehr. Minbari, ab und zu auch Centauri oder Narn, ganz selten sogar Menschen und andere Wesen liefen durch die Straßen, hin und wieder war das leise Summen von Luft- und Bodenfahrzeugen zu hören. Auf dem Bazar - beziehungsweise dem minbarischen Äquivalent dazu - boten Marktfrauen und Handelsleute aus der Außenwelt ihre Waren an.
Aber es gab Zeiten, da kam es Rhiannon so vor, als wäre Yedor von einer gespannten Stille durchdrungen, wie die Hallen eines längst in Vergessenheit geratenen Museums, wo alles mit einer Schutzschicht aus Eis konserviert worden war und sie fragte sich für wen, oder - wenn sie nicht ganz so trübsinniger Stimmung war - vielleicht wie eine schlafende Stadt, die darauf wartete, mit dem Morgengrauen zu neuem Leben zu erwachen.
Auch wenn sie es Delenn gegenüber nie zugegeben hätte, mochte Rhiannon die Atmosphäre von Yedor trotzdem irgendwie. Die Mischung aus Tradition und der hoch entwickelten Technologie der Minbari übte einen gewissen Reiz aus.
Ein paar Mal hatte Ria Inesval auf den Markt begleiten dürfen und es jedesmal sehr genossen. Der Bazar war so ziemlich der einzige Ort, an dem es möglich war, auch Außenweltler zu treffen.
Rhiannons Tage verliefen alles in allem sehr ähnlich. Fast jeden Tag wurde sie von Delenn in minbarischer Sprache und Schrift und allgemeinem Wissen über die Gesellschaft unterrichtet. Nach diesen Lektionen folgte das Kampftraining mit Tennans Klasse.
Trotz der Verständigungsprobleme war Ria eigentlich ganz gerne mit den minbarischen Kindern zusammen. Es war kaum zu glauben, dass diese aufgeschlossenen, fröhlichen und vor allem neugierigen Jungen und Mädchen zum selben Volk gehörten, das vor noch gar nicht allzu langer Zeit am liebsten alle Menschen ausgerottet hätte.
Nach dem Unterricht ging Ria meistens auf Erkundungstour durch die Stadt, wobei sie es nie für nötig hielt, sich zu verabschieden oder zu sagen, wohin sie ging. Wenn sie dann erst nach dem Abendessen zurückkam und nicht wie gebeten zum Essen, sah Delenn sie nur vorwurfsvoll an, schimpfte nie und verbot ihr auch nicht, wegzugehen, wenn sie das wollte.
Das irritierte Rhiannon, und sie schämte sich dann ein wenig. Delenn hatte ihr wirklich sehr viel Freiheit eingeräumt, trotz des Unterrichts. Tatsächlich hatte Ria noch nie so viele Freiheiten gehabt wie hier auf Minbar.
Niemand sagte ihr, wann sie ins Bett gehen musste oder wie lange sie am Computer sitzen durfte. Auch schrieb ihr nicht ständig jemand vor, was sie zu tun hatte, oder wie sie sich anziehen sollte. Und es regte sich niemand darüber auf wenn sie laute Musik hörte, zumindest beschwerten sich die Minbari nicht.
Auch wenn Ria es nicht verstand, so wusste sie doch, dass Delenn sich Sorgen machte, wenn sie sich so ruppig verhielt. Und zwar mehr, als das reine Pflichtgefühl es verlangte. Aber was Rhiannon noch weniger begriff, war, dass sie ein schlechtes Gewissen hatte, wenn sie Delenn Kummer bereitete.
Dabei kann ich sie nicht einmal leiden, dachte Ria mürrisch. Und ich habe sie nicht darum gebeten, dass sie sich um mich kümmert.
Trotzdem war Delenn auf ihre freundliche, unaufdringliche Weise immer für sie da, auch wenn sie einen gewissen Abstand wahrte, weil sie die Kluft zwischen sich und ihrer Schülerin respektierte.
Wie jeden Tag waren Delenn und Rhiannon am Teich. Delenn erläuterte gerade etwas - vielleicht war es minbarische Geschichte oder Verhaltensregeln, es spielte keine Rolle - und Ria hörte mit der üblichen Gleichgültigkeit zu. Doch plötzlich stand Rhiannon auf und ging direkt zum Ufer des großen Teiches.
Delenn unterbrach sich. "Was ist los?"
"Was los ist?" Ria drehte sich um und starrte ihre Mentorin fassungslos an. "Das will ich Ihnen sagen, ich..." Rhiannon stoppte mitten im Satz, sie blickte verzagt zu Boden. "Delenn, wozu soll der ganze Unterricht eigentlich gut sein?"
Einige Sekunden lang schwieg Delenn verblüfft. Ria war jetzt seit zehn Tagen bei ihr, aber bisher hatte sie sich nicht über den Unterricht beschwert, sondern alles über sich ergehen lassen.
"Nun, du musst doch lernen", sagte Delenn schließlich. "Sonst wird es sehr schwer für dich, wenn du hier bleiben willst."
"Wer sagt denn, dass ich das will?" Es klang weder wütend noch herausfordernd sondern leise, müde und traurig.
"Willst du wieder zurück in deine Heimat?" fragte Delenn sanft.
Ria lachte bitter. "Glauben Sie im Ernst, ich wäre hier, wenn ich noch ein Zuhause hätte? Wohl kaum. Dort wo ich herkomme kümmert es niemanden, was aus mir wird." Sie hob einen Kieselstein direkt vom Ufer auf und warf ihn ins Wasser. Der Stein versank mit einem Plopp in der Mitte des Teiches, die kleinen Wellen, die sich kreisförmig ausdehnten, kamen bis zum Ufer. "Und hier, hier bin ich nichts weiter als ein Störfaktor, wie dieser Stein. Vielleicht wäre es besser gewesen, ich wäre bei dem Feuer umgekommen."
Delenn sah Ria entsetzt an. Rhiannon hatte sich bisher allem gefügt und alles getan, was von ihr verlangt worden war. Doch sie arbeitete in Tennans Klasse besonders hart. Es waren die einzigen Momente, in denen sie aus sich herausging. Erst jetzt kam es Delenn in den Sinn, dass Ria absichtlich so hart trainierte, obwohl sie - vor allem mit dem Stab - ungeübt war. Sie riskierte bewusst schwere Verletzungen. Es war ihr vollkommen egal, was mit ihr geschah!
"Nistel hat die Gegenwart für die Zukunft geopfert, als er dir das Leben gerettet hat", sagte Delenn betroffen. "Willst du jetzt die Zukunft für die Gegenwart opfern, indem du dein Leben einfach so wegwirfst?"
Ria verstand den Sinn dieser Worte nicht ganz, begriff aber trotzdem so ungefähr, was es bedeuten sollte. "Was denn für eine Zukunft?"
Delenn stand ebenfalls auf. "Die Zukunft, die du jetzt mitgestaltest. Ist das nicht eine größere Herausforderung, als einfach zu sterben?"
"Ausgerechnet Sie wollen mir eine Zukunft ermöglichen?" höhnte Rhiannon und wurde plötzlich wütend. "Wieso können Sie mich nicht einfach in Ruhe lassen?!"
Sie wollte wegrennen, aber Delenn packte ihre Handgelenke mit einem eisernen Griff. "Ob es dir nun gefällt oder nicht: ich bin für dich verantwortlich. Und ich will dir helfen."
Ria gab keine Antwort. Sie fauchte, kratzte und biss, versuchte sich zu befreien, aber Delenn hielt sie fest. Nach einer Weile hörte Rhiannon auf sich zu wehren, als sie merkte, dass es sinnlos war.
Delenn atmete erleichtert auf. "Ich weiß, du wärst überall lieber als hier. Aber du hast eine Chance bekommen zu leben - und zu lernen." Sie ließ Ria langsam los. "Willst du diese Chance wirklich einfach so vergeuden? Wenn du so ungern bei mir bist steht es dir frei zu gehen, sobald du in der Lage bist für dich selbst zu sorgen."
Rhiannon setzte sich stumm. Sie musste zugeben, dass Delenn Recht hatte. Nur wenn sie jetzt lernte, hatte sie die Möglichkeit, später das zu tun, was sie wollte. Und womöglich würde sie irgendwo eine neue Heimat finden. Denn einen Planeten, den sie uneingeschränkt Heimat nennen konnte, hatte sie nicht. Dazu war sie nirgends lange genug gewesen.
Delenn setzte sich ebenfalls. Rhiannon spürte ihren Blick auf sich ruhen. Sie sah die Kratzer und Bissspuren auf dem Handrücken der Minbari. Es tat bestimmt weh. Ria gab Delenn ein Papiertaschentuch, damit sie sich die blutenden Kratzer abtupfen konnte.
"Danke", sagte Delenn.
"Gern geschehen."
Delenn verkniff sich ein Lächeln. Vielleicht würde sie doch noch einen Weg finden, zu Rhiannon durchzudringen.

Nach wie vor verhielt sich Rhiannon sehr in sich gekehrt, aber es konnte trotzdem keinen Zweifel mehr geben: Das Eis begann langsam aber sicher zu schmelzen oder taute zumindest an.
Ria schien sich - wenn auch etwas widerwillig - mit ihrer Situation abzufinden und sich zu überlegen, wie sie das beste daraus machen konnte. Und auch wenn sie nach wie vor am liebsten den halben Nachmittag alleine in der Stadt verbrachte, so kam sie nun wenigstens pünktlich zum Abendessen nach Hause oder hinterließ eine Nachricht, falls sie es nicht schaffte.
Außerdem begann Rhiannon ansatzweise Interesse für den Unterricht zu zeigen, brachte hin und wieder sogar ihre eigenen Ideen mit ein, was Delenn sehr freute, denn in der minbarischen Kultur war es ein wichtiger Aspekt, lernen zu wollen.
Dennoch war Ria die meiste Zeit über kurz angebunden, mürrisch und distanziert. Delenn wusste, es bedurfte nicht sehr viel, um die kleinen Erfolge, die sie bisher bei ihrem Schützling erzielt hatte, wieder zunichte zu machen.
Nur selten erzählte Rhiannon, was sie am Nachmittag in der Stadt gemacht hatte, ob sie jemanden getroffen oder neue Freundschaften geschlossen hatte. Aber sie kam jetzt des öfteren mit ein paar Blumen und sonstigen Kleinigkeiten für Delenn nach Hause.
Inzwischen hatte Ria ihre Zimmer wohnlicher gestaltet. Auf dem Markt hatte sie von menschlichen Handelsleuten mit Geld, das sie von Delenn bekommen hatte, einen hübschen Teppich, ein paar Ziergegenstände, um die kahlen weißen Wände zu verschönern, einige Datenkristalle mit Musik und sogar ein paar Bücher, die in menschlicher Schrift geschrieben waren, gekauft.
Ja, in ihrem Zimmer konnte sich Ria schon fast wohl fühlen. Wenn nur nicht alles so perfekt gewesen wäre! Es war wirklich nicht sehr gerecht, dass die Minbari so viel hatten, während die Leute in den Erdkolonien froh sein mussten, wenn sie hin und wieder ein wenig Luxus, wie zum Beispiel mal ein kleines Schmuckstück oder exotische Nahrungsmittel auf dem Schwarzmarkt von den Piraten, den Raiders, ergattern konnten.
Und dann diese Ordnung und Sauberkeit in den Zimmern! Früher hatte sie sich oft mit ihrer Mutter gestritten, wenn sie das Chaos im Kinderzimmer hätte aufräumen sollen und sich dann gewünscht, jemand würde das für sie tun. Und jetzt, da ihre Zimmer von zwei tüchtigen Leuten aufgeräumt wurden, wäre es Ria am liebsten, die beiden Minbari würden ihr das überlassen. Aber es war zwecklos, mit ihnen darüber reden zu wollen, und sie hatte es auch schon längst aufgegeben.
Rhiannon hatte die Musik laut aufgedreht und dachte nach. Das hieß, soweit sie sich bei der Musik überhaupt konzentrieren konnte.
Wenn Delenn nur nicht immer so nett und fürsorglich wäre! Es wäre Ria manchmal lieber gewesen, sie würde ihr Vorhaltungen machen oder sie anschreien, wenn sie sich nicht an die Regeln hielt. Dann hätte sie, Rhiannon, einfach zurückschreien können.
Aber so fiel es Ria sehr schwer, ihre Ablehnung Delenn gegenüber aufrecht zu erhalten. Verwirrt stellte das Mädchen fest, dass sie ihre Mentorin doch ein wenig zu mögen begann.
Ach so ein Unsinn, schalt sich Rhiannon wütend. Mir liegt nichts an Delenn. Sicher, sie ist sehr nett zu mir, aber deswegen schulde ich ihr nicht das geringste.
Sie seufzte. Warum mussten aber auch die einzigen Leute, die sich um sie kümmerten und ihr offenbar wirklich helfen wollten, ausgerechnet Minbari sein!
Mit einem Mal ging Ria die Musik auf die Nerven, und sie schaltete das Computerterminal aus. Die plötzliche Stille tat gut.
Rhiannon streckte sich vorsichtig - die blauen Flecke und die Schrammen waren endlich weg, seit sie das übertrieben harte Training aufgegeben hatte - und ging zum Fenster. Nachdenklich blickte sie über die Stadt. Wenn sie ehrlich sein sollte, hätte sie an weitaus schlimmeren Orten als diesem hier landen können.
Und Yedor war eigentlich gar nicht so übel, etwas gewöhnungsbedürftig vielleicht, aber alles in allem wirklich nicht schlecht. Möglicherweise gab es tatsächlich eine Zukunft, auch wenn sie, Ria, noch keine Ahnung hatte, wie sie aussehen würde.


Fortsetzung: Kapitel 3


Jennifer Fausek
14.10.2002
Website von Jennifer Fausek

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