Rhiannons Geschichte: 3. Kapitel
(von Jennifer Fausek)
Seit drei Wochen lebte Rhiannon nun schon auf Minbar. Irgendwie hatte sie kaum gemerkt, wie schnell die Zeit vergangen war.
Ria erwachte früh am Morgen und wusste im ersten Moment nicht genau, was sie eigentlich geweckt hatte. Doch dann spürte sie einen leichten ziehenden Schmerz in ihrem Unterleib, der ihr unmissverständlich sagte, dass sie irgendwann in der nächsten Stunde ihre Tage bekommen würde.
Rhiannon seufzte und stand auf, um in ihr Badezimmer zu gehen. Sie atmete erleichtert auf, als sie sah, dass noch kein Blut in der Unterhose war. Seit zwei Jahren machte Ria das nun schon Monat für Monat mit, aber es ging ihr immer noch auf die Nerven. Sie nahm einen Tampon und sah, dass die Packung fast leer war.
Müde legte sich Rhiannon wieder ins Bett. Sie konnte jetzt noch gut eine Stunde schlafen, dann hatte sie immer noch genügend Zeit, sich um Nachschub zu kümmern.
Beim Frühstück wurden die Bauchschmerzen fast unerträglich, und Ria ärgerte sich darüber, dass sie vergessen hatte, eine Packung der rezeptfreien, leichten, schmerzstillenden Medikamente nach Minbar mitzunehmen. Zwar hielt Rhiannon die Beschwerden normalerweise auch ohne das Zeug aus, aber in besonders schlimmen Fällen wie diesem waren die Pillen von unschätzbarem Wert.
Delenn fiel auf, wie blass und gereizt ihre Schülerin war und befürchtete ernsthaft, dass das Mädchen krank wurde.
"Ist alles in Ordnung mit dir?"
"Es ging mir nie besser", knurrte Rhiannon. "Aber ich muss unbedingt zu den Erdkolonien fliegen. Ich brauche einige Dinge von dort, und zwar sehr dringend."
"Nun... wir können ja zur Erdallianz fliegen." Delenn zögerte. "Aber du bist so unruhig. Bist du krank?"
Ria schüttelte nur den Kopf. Sie fühlte sich versucht, Delenn anzuschreien, sie möge sie doch einfach in Ruhe lassen. Rhiannon hatte keine Lust zu erklären, was mit ihr los war. Minbari-Frauen hatten keine monatliche Blutung wie menschliche Frauen. Jedenfalls vermutete sie das, weil sie nirgends Tampons oder Binden gesehen hatte.
"Bis nach Denera brauchen wir etwa sechsundzwanzig Stunden", sagte Ria nach einer Weile. "Ich würde deshalb gerne so bald wie möglich losfliegen."
"Von mir aus", entgegnete Delenn. "Mir steht ein Schiff mit einer zehnköpfigen Crew zur Verfügung, das uns jederzeit nach Denera bringen kann."
Rhiannon hob verblüfft die Brauen. "Donnerwetter, das ist ja klasse", murmelte sie, besann sich dann aber auf das Wesentliche. "Am besten geben Sie sich als Händlerin aus. Minbarische Handelsleute sind in den Kolonien meistens gerne gesehen."
"Ich weiß", sagte Delenn. "Nistel hat es mir erzählt."
"Und vergessen Sie bloß nicht, genügend Geld und Waren zum Tauschen mitzunehmen."
"Keine Sorge, wir sind gut vorbereitet."
Während der Reise wollte Delenn eigentlich mit dem Unterricht fortfahren, beschloss dann aber, ihrer Schülerin ein wenig Ruhe zu gönnen. Ria schien doch sehr angespannt zu sein und allein sein zu wollen.
In der Nacht konnte Delenn kaum schlafen, aus Angst, ihrem Schützling könnte es plötzlich schlechter gehen. Doch am nächsten Morgen stand Rhiannon - sehr zur Verblüffung ihrer Mentorin - auf, als wäre nichts gewesen. Die Schmerzen und die Gereiztheit schienen einfach verschwunden zu sein. Ja, Ria war offenbar sogar besonders guter Laune.
Delenn beobachtete Rhiannon beim Haare bürsten. Das Geräusch, das dabei entstand, ließ sie unwillkürlich zusammenzucken.
"Sag mal, tut das nicht weh?" fragte sie besorgt.
Rhiannon warf ihr einen erstaunten Blick zu. Dann wurde ihr klar, dass Delenn höchstwahrscheinlich noch nie gesehen hatte, wie sich jemand kämmte, denn Minbari hatten keine Haare. Und Ria hatte sich immer alleine, im Badezimmer, die Haare gebürstet.
"Nein", entgegnete das Mädchen. "Das Haar besitzt keine Nerven."
"Es hört sich aber furchtbar an."
Rhiannon grinste nur spöttisch und band ihr Haar zu einem hohen Pferdeschwanz, den sie mit ihrem ledernen Band befestigte.
Delenn hatte noch nie eine der Welten der Erdallianz besucht. Hier auf Denera war alles so anders als auf Minbar und seinen Kolonien. Niemand schien sich beim Bau von Rakanta, Rias früherer Heimatstadt Gedanken um Ästhetik gemacht zu haben, denn alle Gebäude waren sehr zweckmäßig gebaut worden. Die Wohnhäuser wirkten auf Delenn irgendwie ungemütlich. Sie schienen viel zu klein zu sein um sich in ihnen wohl fühlen zu können.
Die Straßen waren eng und schmutzig, außerdem war es furchtbar laut. Leute hasteten durch die Straßen, die zum Glück aber weder Rhiannon, noch Delenn oder den Minbari, die sie begleiteten, große Aufmerksamkeit schenkten.
Während Delenn Ria folgte, konnte sie überall deutlich die Überreste der Zerstörung sehen, die der Krieg angerichtet hatte. Einige Arbeiter und Arbeiterinnen waren dabei, diese Schäden zu beseitigen.
Rhiannon führte ihre ,Gäste' zielsicher durch die Menge. Sie kaufte alle möglichen Dinge, von denen die Minbari meistens nicht wussten, wozu sie gebraucht wurden. Schließlich machte sich bei Delenn und ihren Leuten die Schwerkraft bemerkbar, die höher war als auf Minbar, und sie mussten eine kurze Pause machen.
Nachdem sie sich in einem Restaurant gestärkt hatten, besorgte sich Rhiannon eine rote Rose und einen Stein und brachte beides zum Grab ihrer Mutter. Die Minbari hielten ein wenig Abstand, aber nach einer Weile kam Delenn näher. Sie betrachtete die Schriftzeichen auf dem Grabstein, konnte sie jedoch nicht entziffern.
"Hier steht: ‚Im Gedenken an Patricia Jennings 2211 - 2251 Ruhe in Frieden'", beantwortete Ria die unausgesprochene Frage. "Sie war meine Mutter." Sie drehte sich zu Delenn herum. "Bitte, lassen Sie mich für einen Moment alleine."
Die Minbari gingen ohne ein Wort. Als Rhiannon ihnen kurze Zeit später folgte, hatte sie keine Lust, weiter über ihre Mutter zu sprechen.
"Heute abend möchte ich mich noch mit Freunden treffen", sagte Ria statt dessen.
"Wir werden dich begleiten", erwiderte Delenn.
"Das ist keine gute Idee", widersprach Rhiannon, überlegte dann kurz und seufzte. "Ach, was soll's. Wenn Sie wirklich wollen, kommen Sie eben mit."
Das Challenger war ein beliebter Treffpunkt für Kinder und Jugendliche. Dorthin kamen die Jungen und Mädchen nach der Schule, wenn die Eltern nicht da waren, um Hausaufgaben zu machen, zu trainieren oder einfach nur um Billard oder eines der Computerspiele zu spielen und gemütlich zusammenzusitzen.
Im geräumigen Haus des Challenger gab es sogar zwanzig Schlafstellen, die praktisch ständig voll belegt waren, für Kinder, deren Eltern prügelten oder die in Not waren. Rhiannon war nach dem Brand auch zwei Nächte hier gewesen, bevor sie zu Nistel ins Hotel gezogen war. Das Problem bei diesen Schlafstellen war nur, dass die Kinder spätestens nach ein oder zwei Wochen wieder gehen mussten, weil es zu viele gab, die eine Unterkunft wie diese brauchten.
Das Challenger war dazu da, um die Jugendlichen von der Straße und den Drogen fernzuhalten und um denen zu helfen, die von dort weg wollten. Da es aber nur sehr bescheidene Geldmittel gab und das Haus sich mit Spenden über Wasser halten musste, konnten die Leute, die im Club arbeiteten, nicht so viel erreichen, wie sie gerne wollten.
Rhiannon und ihre Clique waren praktisch jeden Tag im Challenger gewesen. Ria liebte die Atmosphäre dort sehr. Im Hauptraum des Clubs, wo zwei Billardtische und die Computerspiele standen, gab es außerdem eine Bar und einige Tische, wo die Kids zusammen hockten. Es roch hier angenehm nach Früchten, die für diverse Drinks gebraucht, wurden, und auch nach Essen. Von der Disco im Keller drang gedämpft die Musik herauf.
Die erste, die Notiz von den Neuankömmlingen nahm, war Kathryn Lopez, eine etwa dreißigjährige Frau, der das Challenger gehörte. Sie kam lächelnd zu ihnen.
"Ria! Ich dachte, du bist auf Minbar." Sie umarmte das Mädchen für einen Moment.
Rhiannon drehte sich kurz zu den vier Minbari, die sie begleiteten, um. "Nun... bin ich auch. Ich bin nur auf Besuch hier." Sie deutete mit ihrem Kopf auf ihre Mentorin. "Das ist Delenn. Sie kümmert sich um mich. Die Namen der drei anderen kenne ich nicht." Ria lächelte erneut. "Delenn, das ist Kathy Lopez. Sie sorgt dafür, dass wir Kids keine Dummheiten machen."
Die beiden Frauen nickten einander höflich zu. "Wenn Sie wollen, werde ich Ihnen später den ganzen Club zeigen", bot Kathryn der Minbari an.
"Gerne."
"Hey, Ria!" Ein dunkelhäutiger, etwa sechzehn Jahre alter Junge winkte grinsend.
"Hi, Eriq!" Rhiannon rannte zu ihm und ließ sich von ihm auffangen und sich einen Kuss geben. Drei weitere Jugendliche kamen hinzu.
Kathy sah amüsiert zu. "Der Junge ist Eriq Johnson. Er und Ria waren früher ein Paar. Gute Freunde sind sie immer noch, wie Sie sehen können." Sie wurde ernster. "Ich hoffe, Sie passen gut auf Ria auf. Sie hat schon genug durchgemacht."
Delenn nickte. "Ich versichere Ihnen, ich werde mein Bestes tun, um Ria ein Zuhause und eine gute Ausbildung zu geben. Es wird ihr an nichts fehlen."
"Dann bin ich ja beruhigt."
Ein unangenehmes Schweigen entstand. Da kam Ria wieder zu ihnen. "Wollen Sie etwas trinken?"
"Ja, gerne", entgegnete Delenn und ging mit den anderen zu einem der Tische.
Rhiannon verschwand kurz und kam bald darauf mit einem Tablett voller Gläser, die mit bernsteinfarbener Flüssigkeit gefüllt waren, nach. Aber keiner der Minbari rührte die Getränke zunächst an.
"Keine Bange, da ist kein Alkohol drin", flüsterte Ria Delenn zu. "Ich weiß von Nistel, dass Alkohol für Minbari Gift ist. Sie können also beruhigt trinken."
Delenn übersetzte, was ihr Schützling gesagt hatte und roch vorsichtig an ihrem Drink. Schließlich nahm sie einen Schluck. Was auch immer das war - es schmeckte überraschend gut.
"Was ist das?" fragte Delenn. "Es ist gut."
"Eistee mit Zitrone."
Delenn erlaubte ihren Leuten später, mit einem Transfershuttle zum Schiff zurückzukehren, wenn sie das wollten. Die Minbari zögerten erst, weil sie Delenn in dieser Gegend nicht alleine lassen wollen, gingen dann aber schließlich doch.
Kathryn zeigte Delenn das Haus, während Rhiannon sich mit ihrer früheren Clique auf einen Drink zusammensetzte, um das Wiedersehen zu feiern. Als Kathy und Delenn zurückkamen, wurden sie von Eriq und Rias bester Freundin Chloe Simmons höflich in die fröhliche Runde gebeten, ein Angebot, das sie nicht ablehnten. Sofort wurde die Minbari von den menschlichen Teenagern mit Fragen überhäuft, und sie tat ihr Bestes, um sie zu beantworten.
Chloe hatte sich neben Ria gesetzt. "Geht es dir auf Minbar wirklich gut?" fragte sie ihre Freundin. Sie sprach so leise, dass nur Rhiannon sie verstehen konnte.
"Ja", flüsterte Ria zurück. "Tut mir Leid, dass ich mich bisher nicht gemeldet habe. Ich verspreche dir, das wird sich ändern."
"Das hoffe ich. Ich habe mir schon Sorgen um dich gemacht."
Rhiannon lächelte. "Das ist lieb von dir."
"Es wird Zeit, dass wir zum Schiff zurückkehren", unterbrach Delenn die Unterhaltung zwischen den beiden Mädchen.
Ria sah auf Chloes Armbanduhr und zuckte die Achseln. "Ich fürchte, Delenn hat recht. Es ist schon spät."
"Wann kommst du wieder?" fragte Eriq, bevor Chloe es konnte.
"Das weiß ich nicht genau", antwortete Ria. "Ich werde mich melden."
Ein wenig wehmütig verabschiedete sie sich von ihren Freunden und verließ den Club mit Delenn. Es war schon stockdunkel, aber die Straßenlampen erhellten den Weg wenigstens so einigermaßen. Um diese Zeit waren nicht viele Leute unterwegs, trotzdem kamen ihnen zwei Gestalten entgegen. Es waren ein Asiate und ein Weißer. Wie zufällig drängten sich die beiden Männer zwischen Delenn und Rhiannon.
Ria wusste kaum, wie ihr dann geschah. Während der Asiate noch an ihr vorbei ging, packte er sie und hielt ihr ein Messer unter die Nase.
"Geld her", knurrte er.
Wie aus einem Reflex heraus krallte sich Rhiannon regelrecht in der Hand des Mannes fest, zwang ihn so, das Messer fallen zu lassen.
Der Asiate stieß einen wüsten Fluch aus und holte zu einem Faustschlag aus. Ria wich zur Seite aus und traf ihren Angreifer am Solarplexus. Der Mann krümmte sich nach vorne. Er rang nach Luft, obwohl es kein Volltreffer gewesen war. Rhiannon schlug ihm ins Genick. Der Asiate fiel zu Boden und rührte sich nicht mehr.
Hastig drehte sich Ria nach Delenn um. Die Minbari hatte es bisher nicht geschafft, ihren Angreifer zu entwaffnen. Offenbar war er vorsichtiger gewesen als sein Freund. Sie wollte gerade einen Schritt zurücktreten, um mehr Platz zur Verteidigung zu haben, da stolperte sie über etwas und fiel rücklings hin. Entsetzt sah Ria, wie der Mann bei Delenn mit seinem Messer ausholte.
"Nein!" schrie Ria und packte den Arm des Weißen.
"Was soll denn das?" fauchte er, stieß sie beiseite und ging nun mit seinem Messer auf Rhiannon los. Sie sprang zurück, um dem Angriff auszuweichen, aber das Messer bohrte sich in ihren linken Unterarm und hinterließ eine tiefe Wunde. Ria blieb kaum die Zeit aufzuschreien, da war der Weiße auch schon wieder bei ihr.
Mit der Kraft der Verzweiflung griff Ria nach der Hand mit der Waffe und biss zu, so fest sie konnte. Der Mann brüllte vor Schmerz, ließ das Messer fallen und schlug sie. Rhiannon taumelte einen halben Schritt zurück. Sie spürte Blut in ihrem Mund.
Schon hatte er sie gepackt und würgte sie. Mit letzter Kraft riss Ria ihr Knie hoch und rammte es ihrem Angreifer mit voller Wucht zwischen die Beine. Der Weiße gab einen erstickten, schmerzerfüllten Laut von sich und ließ sie abrupt los. Rhiannon nützte ihre Chance, sie verpasste ihrem Gegner einen Kinnhaken, der ihn nach hinten warf. Der Mann knallte mit dem Kopf auf die Straße und blieb liegen.
"Sind Sie in Ordnung?" fragte Ria Delenn, immer noch atemlos.
"Ich denke schon", antwortete die Minbari.
Rhiannon half ihr hoch, ohne lange darüber nachzudenken und klammerte sich an sie wie ein Kind an die Mutter. Etwas verlegen ließ Ria Delenn wieder los, als ihr klar wurde, dass sie ihre Mentorin umarmte.
"Aber du bist verletzt", sagte Delenn sanft und begutachtete den blutenden Arm des Mädchens. "Das hier muss behandelt werden, und deine Lippe blutet auch."
"Ist nicht so schlimm", log Rhiannon und entzog ihr den Arm. Plötzlich bemerkte Ria, dass der Asiate wieder zu sich kam und murmelte einen deftigen Fluch. "Los, weg von hier", brummte sie und zog Delenn mit sich. "Bevor die sich wieder erholen."
Sie liefen die Treppe zu den Untergrundbahnen hinunter. Erst als sie sicher im Zug zu den Shuttlelandeplätzen saßen, ließ Rhiannon Delenn wieder los. Jetzt, wo der erste Schock vorbei war, begann Ria der Arm höllisch weh zu tun, und sie musste sich zusammenreißen, um es auszuhalten, als Delenn sie notdürftig verarztete.
Während des gesamten Weges zurück zum Schiff sprach Rhiannon kein Wort. Sie wagte auch nicht, ihrer Mentorin in die Augen zu sehen.
In dieser Nacht konnte Rhiannon nicht schlafen. So leise wie ihr möglich schlich sie sich aus dem Schlafsaal des Minbarischiffes. Barfuß, nur mit einem überlangen Hemd und einer kurzen Pyjamahose bekleidet tappte sie zu einem der Aussichtsfenster und sah in den Hyperraum hinaus.
Ihre Verletzungen waren inzwischen von einem Mitglied der Crew, einem guten Heiler, behandelt worden. Von der Schramme an der Lippe war fast gar nichts mehr zu sehen, und selbst wenn sie am linken Arm jetzt einen weißen Verband trug, würde in etwa einer Woche auch diese Wunde ohne Narbe verheilt sein. Dank der Medikamente hatte sie kaum noch Schmerzen. Sie hatte wirklich Glück gehabt.
Seit gut drei Stunden waren sie wieder auf dem Weg zurück nach Minbar, nach Hause. Das hieß, falls sie Minbar ein Zuhause nennen konnte. Das Wort ,Minbar' bedeutete tatsächlich ,Zuhause', ,Heimatwelt'.
Ria seufzte und schlang fröstelnd die Arme um ihren Oberkörper. Plötzlich bemerkte sie Delenns Spiegelbild im Fenster. Die Minbari legte ihr einen warmen Umhang um die Schultern und wandte sich zum Gehen.
"Es tut mir Leid, ich wollte Sie nicht wecken. Ich..." Rhiannon versagte die Stimme.
Delenn blieb stehen. "Du brauchst dich nicht zu entschuldigen", sagte sie. Ihre Stimme klang sanft wie der Wind.
"Doch, das muss ich." Nach wie vor sah Ria die Minbari nicht an. "Für viele Dinge. Ich habe mich in den letzten Wochen unmöglich benommen. Ich habe Ihnen nur Kummer bereitet. Und heute wären Sie beinahe getötet worden..."
"Dafür kannst du doch nichts."
"Ich hätte vorsichtiger sein müssen", widersprach Ria. "Dann wären wir erst gar nicht in diese Lage geraten. Aber trotz all der Schwierigkeiten, die ich Ihnen mache, kümmern Sie sich noch um mich. Wieso tun Sie das?"
"Weil es notwendig ist", erklärte Delenn. "Und weil ich es für richtig halte."
"Ich... ich verstehe nicht ganz."
"Wirklich nicht?" Die Minbari kam einen Schritt näher. "Du hast dein Leben, riskiert um mich zu schützen. Weswegen?"
"Ich konnte doch nicht zulassen, dass dieser Mann Sie umbringt." Rhiannons Stimme war kaum mehr als ein Hauch.
"Siehst du? Du hast mir geholfen, weil du dachtest, es sei richtig." Keine Antwort. Delenn seufzte und fuhr fort. "Bitte, sieh mich an." Nur zögernd drehte sich Ria zu der Minbari um, hielt den Blick aber nach wie vor gesenkt.
"Schau mir in die Augen", sagte Satai Dukhat.
"Aber... das wäre respektlos", entgegnete die junge Delenn.
"Nun..." Er legte ihr seine Hand auf die Schulter. "Ich kann keine Assistentin brauchen, die mir nicht einmal in die Augen schauen kann. Außerdem würdest du mit gesenktem Kopf ständig gegen Hindernisse laufen."
Delenn lächelte, teils über sich, teils über ihren Schützling. "Ich bin froh, dass du meine Schülerin bist."
Das verschlug Rhiannon die Sprache. Verwirrt fragte sie sich, womit sie dieses Vertrauen verdient hatte.
"Ich danke Ihnen sehr", sagte sie schließlich und hüllte sich fester in ihren Umhang. "Ich verspreche Ihnen, ich werde mich in Zukunft wirklich bemühen, eine gute Schülerin zu sein."
Ria streckte Delenn die rechte, unverletzte Hand entgegen, aber die Minbari wusste nicht so recht, was sie tun sollte.
"Menschen besiegeln ein Versprechen, indem sie sich die Hände reichen", erklärte Rhiannon. "Es ist eine Geste der Freundschaft und des guten Willens."
"Ich verstehe."
Delenn ergriff die Hand ihrer Schülerin behutsam und schüttelte sie dreimal. Ria lächelte zaghaft und blickte auf.
"Dann wäre es wohl angemessen, wenn du mich von nun an mit Du und nicht mehr mit Sie ansprechen würdest", meinte Delenn, als sie Rhiannons Hand wieder losließ.
Zum ersten Mal sah die Minbari echte Freude in den Augen ihrer Schülerin. "Das tue ich gerne. Du..." Ria senkte verlegen den Blick. "Du bist nämlich doch ganz nett."
Delenn lächelte. "Es freut mich, dass du so denkst."
Fortsetzung: Kapitel 4
Jennifer Fausek
14.10.2002
Website von Jennifer Fausek
|
|