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Rhiannons Geschichte:
23. Kapitel

(von Jennifer Fausek)

Rhiannon bedauerte es, dass sie ihre besten menschlichen Freunde zur Namensgebungszeremonie nicht einladen konnte. Eriq Johnson studierte inzwischen Journalismus auf der Erde und Chloe war vollauf mit ihrer Ausbildung zur Polizistin beschäftigt, auch die anderen Freunde und Bekannten konnten so kurzfristig nicht kommen.
Tennan und Delenn hatten Ria dabei geholfen, die Gebetshalle des Tempels für dieses Ereignis mit um diese Jahreszeit schwer zu bekommenden Blumen zu schmücken und die ganze Zeremonie vorzubereiten.
Rhiannon freute sich schon auf die Feier. Es würde ein überaus wichtiger Teil in ihrem Leben und natürlich auch im Leben ihrer Tochter werden (selbst wenn sich das Kind später nicht daran erinnern würde).
Die Zeremonien der Minbari zeichneten sich durch würdevolle Ästhetik und einer ganz besonderen Spiritualtät aus, und sie schätzten und bewahrten sie sich. Es hing wohl damit zusammen, dass fast alle Minbari, ganz gleich aus welcher Kaste sie stammten, sehr religiös waren.
Eigentlich hatte Rhiannon noch nie etwas mit Religion anfangen können, daran änderte auch nichts, dass sie nun schon seit bald vier Jahren auf Minbar lebte.
Sie gehörte einfach nicht zu den Leuten, die auf ihren Glauben bauen konnten und war Atheistin, wie ihre Mutter es gewesen war, aber mit jüdischer Beeinflussung, da ihr Vater Jude gewesen war. Ria kannte viele jüdische Gesänge und Gebete, auch Aussprüche aus der Bibel, hatte die Religion aber nie praktiziert.
Lange Zeit hatte Rhiannon nicht begriffen, warum sie sich mit dem Glauben, den ihr Vater gehabt hatte, auseinandersetzen hatte müssen. Nun war sie ihrer Mutter dankbar, dass sie sie dazu gezwungen hatte. So hatte, sie, Ria eine Grundlage, um richtig und falsch einzuschätzen, eigene Traditionen, und sie hatte gelernt den Glauben anderer Leute zumindest zu respektieren, selbst wenn sie anderer Meinung war.
Den Glauben der Minbari respektierte Rhiannon nicht nur, sie konnte ihn sogar ein wenig verstehen. Das war auch der Grund, warum sie sich entschlossen hatte, ihrem Kind nach minbarischer Tradition einen Namen zu geben und ihn nicht einfach nur, wie es bei Menschen üblich war, ohne Aufhebens in die Geburtsurkunde eintragen zu lassen.
Die Gebetshalle war voll von vertrauten Gesichtern, als Ria mit ihrem Kind zum Altar ging und vor ihm auf einem der roten Meditationskissen Platz nahm. Es war im Moment noch sehr düster in der Halle, was für den Beginn der Zeremonie beabsichtigt war.
Tennan, der Vorsteher des Tempels, trat zum Altar, das Zeichen, dass die Feier nun beginnen sollte. Es wurde still in der Gebetshalle.
Tennan zündete die einzelne, große, strahlend weiße Kerze an, die auf dem Altar stand. Die Lampen im Raum erloschen, die Kerzenflamme war nun die einzige Lichtquelle, abgesehen von dem spärlichen Licht, das von draußen durch die riesigen Fenster fiel.
"Licht ist ein universelles Symbol für Leben, Glaube, Hoffnung und Liebe", rezitierte der alte Priester die rituellen Worte. "Schon eine einzelne Kerze wie diese hier kann die Dunkelheit erhellen, sie weniger bedrohlich wirken lassen.
Jedesmal, wenn ein Leben geboren wird, geht ein Licht an und bringt die Hoffnung, dass es das Universum wenigstens ein bisschen erhellen wird.
Vor drei Tagen nun wurde hier in diesem Tempel ein neues Wesen, eine Tochter des Lichts geboren, die wir heute offiziell im Leben willkommen heißen wollen."
Tennan richtete seinen Blick auf Rhiannon und ihr Baby. "Riann vom Clan der Mir, du bist die Mutter dieser Tochter. Wirst du sie anerkennen und ihr einen Namen geben?"
Diese Frage war heutzutage eigentlich nur noch rhetorisch gemeint. Aber in grauer Vorzeit war es so gewesen, dass Eltern ein Kind, das schwächlich war oder unter schlechten Vorzeichen geboren wurde nicht anerkannten und es aussetzen ließen, damit es starb.
Diese grausame Praktik war schon lange vor Valens Zeiten abgeschafft worden. Kinder, die nicht gewollt waren, oder die keine Eltern mehr hatten, wurden in den Klöstern erzogen oder von Vertrauenspersonen. Doch die Tradition, diese Frage zu stellen, war geblieben.
Rhiannon verneigte sich, darum bemüht, ihr Kind nicht zu ängstigen und stand auf. "Ja", sagte sie laut und deutlich. "Ich habe mich entschlossen, diese Tochter, die ich am 7. November 2254 geboren habe anzuerkennen." Leises Murmeln erklang, weil sie das menschliche und nicht das minbarische Geburtsdatum genannt hatte. Ria störte das nicht weiter. "Und sie soll den Namen Zora Jennings vom Clan der Mir bekommen."
Alle Anwesenden sprachen ein Gebet und wiederholten den Namen drei Mal, eine Geste, die dem Kind Glück bringen sollte.
"Zora Jennings vom Clan der Mir", fuhr Tennan mit der Zeremonie fort und hob segnend und schützend zugleich die Hände über das Baby, "mögest du Freude, Glaube, Hoffnung und Liebe in deinem Leben finden und sie mit dem Rest des Universums teilen können..."
Rhiannon gab ihr Kind in die Obhut eines jungen Akolythen, um beide Hände frei zu haben. Sie nahm eine kleine Kerze entgegen, die sie für ihre Tochter an der großen auf dem Altar entzündete. Sie ging mit dem Licht zu der Menge, damit alle ihre Kerze anzünden konnten, die sie zu Beginn der Zeremonie bekommen hatten.
Innerhalb kürzester Zeit verwandelte sich die düstere Gebetshalle in ein hübsches flackerndes Lichtermeer aus wenigstens fünfzig Kerzen. Ria konnte es, da sie in der Nähe des Altars saß, sehr gut sehen. Sie genoss den Moment in vollen Zügen und lächelte vor Freude über diesen wunderschönen Anblick, der sich ihr bot.
"... und möge das Licht dich dein ganzes Leben lang leiten", beendete Tennan inzwischen den Segen. "Damit du immer den richtigen Pfad findest und nie in Dunkelheit wandeln musst."
Rhiannon musste sich sehr beherrschen, damit sie jetzt nicht zu kichern, oder - was noch schlimmer gewesen wäre - laut zu lachen begann. Der junge Akolyth, der das Kind für sie hielt, schien sich offenbar gar nicht wohl zu fühlen. In seinem Gesicht spiegelte sich eindeutig die verzweifelte Botschaft 'hoffentlich ist es bald vorbei' wieder.
So verkrampft, wie er das Baby in den Armen hielt, hatte er wohl Angst, er würde die Kleine fallen lassen oder ihr sonst irgendwie weh tun.
Ria hatte Mitleid mit dem Kerl und nahm ihm das Kind früher als geplant wieder ab und ließ ihn statt dessen ihre Kerze halten. Dafür erntete Rhiannon einen erleichterten Blick und ein dankbares Lächeln.
Es folgte noch ein weiteres langes Gebet, dann wurden die Lampen der Gebetshalle eingeschaltet und die Kerzen alle ausgeblasen.
Tennan las nun aus einer alten Schriftrolle vor, aber Rhiannon achtete kaum auf die Worte, sie war viel zu sehr beschäftigt, sich um ihr Kind zu kümmern, das nun zu erwachen schien und leise zu quengeln begann. Ria wiegte die Kleine sanft, worauf hin sie wieder einschlief.
Zum Abschluss sagte Callenn in Vertretung des ganzen Clans noch einige Worte, mit denen er Zora in der Familie willkommen hieß.
Jener förmliche Teil endete damit ganz unspektakulär. Die Leute standen auf und verließen die Gebetshalle nun.
Alle trafen sich jetzt in einem der zahllosen Säle des Tempels zum Essen. Zuvor brachte Rhiannon Zora allerdings zurück in die 'Hallen der Geburt', damit sie sich ausruhen konnte, wo sich die Pfleger und Pflegerinnen um sie kümmern konnten. Wenn es Zeit zum Stillen war, würde einer von ihnen sie schon holen.
Ria hatte viel Spaß bei der kleinen Familienfeier, bedauerte es jedoch ein wenig, dass es noch nicht warm genug für ein Picknick im Tempelpark war. Es wurde aber trotzdem ein schöner Nachmittag.

Zwei Tage später kam Rhiannon mit der kleinen Zora nach Hause. Es gab zum Glück aber keine große Willkommensfeier, wie es bei Menschen üblich war, wofür Ria sehr dankbar war, sie hatte auch so schon genug um die Ohren. Inesval, Aidoann, Nalae und Tonall bereiteten ihr einen herzlichen Empfang, sie waren die einzigen, die Rhiannon und das Baby zu Hause erwarteten.
Obwohl es mehr als genug Platz in Delenns Haus gab, beschloss Ria, dass ihre Tochter jedenfalls vorerst einmal in ihrem Zimmer schlafen und erst später ein eigenes Kinderzimmer bekommen sollte.
In den ersten zehn Tagen zu Hause bekam Rhiannon viel Besuch von ihrer Familie und ihren Freunden aus Tennans und Duhrans Klasse und hatte deshalb keine ruhige Minute.
Aber Ruhe konnte Rhiannon seit Zoras Geburt ohnehin nicht mehr finden. Auch wenn Delenn und die Haushaltshilfen ihr bei der Versorgung des Babys halfen, so gut sie konnten, hielt die Kleine Ria praktisch den ganzen Tag auf Trab.
Obwohl sie sich im Streit getrennt hatten, vermisste Rhiannon Alex sehr. Sie wünschte sich, er wäre bei ihr, und sie könnten noch einmal ganz von vorne beginnen, sei es auch nur des Kindes wegen. Doch dann erinnerte sie sich daran, dass es das beste gewesen war, sich zu trennen, und schob diese lästigen Gefühle beiseite.
Auf der Erde war es jetzt bereits fast Ende November, aber auf Minbar war schon längst der Frühling angebrochen, und es war richtig warm geworden.
Rhiannon ging ab und zu sogar schon mit ihrem Baby spazieren, wenn das Wetter es zuließ und es warm genug war. Dabei verwendete sie allerdings nur selten den Kinderwagen sondern meistens das dunkelblau und weiß gemusterte Tragetuch, das sie auf dem Markt gekauft hatte. So war sie viel mobiler als mit dem Wagen, und das Kind konnte so außerdem ihre Nähe spüren. Abgesehen davon benutzten fast alle minbarischen Eltern lieber Tragetücher, und Ria passte sich dieser Sitte gerne an.
So benutzte sie den Kinderwagen eigentlich nur, wenn sie abends einmal länger irgendwo bleiben wollte und das Baby dann schon schlafen sollte. Erst später, wenn sie wieder ihren Pflichten nachgehen musste und das Kind größer war, würde ihr der Wagen nützlich werden. Aber bis dahin vergingen bestimmt noch etwa vier Wochen, denn nach der Geburt stand ihr ein Minimum von sechs Wochen Pause zu.
So etwas wie ein oder zwei Jahre Erziehungsurlaub gab es bei den Minbari nicht. Die Eltern nahmen ihre Kinder einfach mit zur Arbeit oder ließen sie in der Obhut ihres Clans oder Leuten, denen sie vertrauten.
Im Alter von etwa fünf Jahren begann für die minbarischen Kinder, egal aus welcher Kaste sie auch stammten, der Unterricht. Je nach Alter und beruflichem Zeitplan der Eltern blieben die Jungen und Mädchen ein paar Stunden am Tag im Tempel und lernten dort, zuerst spielerisch, mit der Zeit ernsthaft, alles, was sie im Leben brauchen würden.
Zwei Wochen war die kleine Zora nun schon alt. Inzwischen stellte sich langsam aber sicher der Alltag ein, und Rhiannon hatte sich bereits an ihre neue Rolle als Mutter gewöhnt.
Tatsächlich konnte sich Ria ein Leben ohne ihr Kind gar nicht mehr vorstellen. Trotz aller Arbeit war sie überzeugt davon, dass es richtig gewesen war, dieses Baby zu bekommen.
Obwohl Rhiannon Urlaub hatte, konnte sie nicht einfach alles sein lassen und sich nur um ihr Kind kümmern. Als Delenns Assistentin war es ihre Pflicht über alles, was politisch gesehen in der Außenwelt geschah, informiert zu sein. Momentan war das wichtigste Ereignis der nächsten Zeit die bevorstehenden Präsidentschaftswahl auf der Erde, die am Sonntag, dem 26. November 2254 stattfinden sollte.
Ria rieb sich müde die Augen. In letzter Zeit hatte sie nicht sehr viel Schlaf bekommen, und das war ihr mehr als deutlich anzusehen. Sie hatte dunkle Ränder unter den Augen, und ihr Haar wirkte ein wenig unordentlich, weil sie kaum Zeit hatte, sich richtig zu kämmen.
Ihr Baby holte sie mindestens einmal pro Nacht aus dem Bett. Rhiannon konnte nur hoffen, dass die Kleine möglichst bald damit beginnen würde, die Nächte durchzuschlafen.
Ria saß im Wohnzimmer mit Delenn und las einen Datenkristall mit einer Lektion in 'klassischem minbari', der Gelehrtensprache, die sie immer noch dabei war zu lernen. Das Baby schlief im großen Stubenwagen, den Rhiannon mit dem Fuß hin und her schob. Ria hatte den Stubenwagen statt einer Wiege in der Erdallianz gekauft, weil es praktischer war. So ein Wagen ließ sich leichter irgendwo anders hinstellen als eine Wiege.
Wenn nicht gerade Gäste hier waren, konnte Zora so auch im Wohn- oder Esszimmer herunten schlafen, das ersparte Rhiannon die Überwachung per Babyphon.
Der Computerbildschirm im Wohnzimmer war eingeschaltet. Im Hintergrund lief gerade ein Videobericht von der Erde, den Ton auf ein leises Murmeln reduziert.
Plötzlich sah Delenn von ihrem Lehrbuch in menschlicher Schrift auf. "Computer, mach den Ton lauter."
"Was ist denn?" fragte Rhiannon verwundert. Sie blickte zum Wandbildschirm.
Die Übertragung zeigte eine Debatte aus dem EarthDome.
"... Es ist nicht länger tragbar, noch mehr Außerirdische auf der Erde wohnen zu lassen", sagte der Mann am Rednerpult. "Unsere Ressourcen reichen hinten und vorne nicht, um die menschliche Bevölkerung der Erde zu versorgen, geschweige denn die außerirdische. Außerdem stellen die Nichtmenschen, vor allem die Minbari, die auf der Erde immer zahlreicher werden, ein nicht abzuschätzendes Sicherheitsrisiko dar..."
"Sicherheitsrisiko?" wiederholte Delenn pikiert.
Ohne, dass sie es merkte, hatte Rhiannon aufgehört, den Stubenwagen hin und her zu schieben. "Computer, aus!" rief sie verärgert, und die Übertragung schaltete sich automatisch ab.
"Wie kann das sein", murmelte Delenn, mehr zu sich selbst als zu Ria. "Es leben doch kaum fünfzig Minbari auf der Erde..."
"Diese Vollidioten!" schimpfte Ria wutentbrannt und sprang auf. "Dass die Menschen immer verrückt spielen müssen, wenn eine Wahl ansteht!"
"Es ist schon in Ordnung." Delenn seufzte. "Es ist nur natürlich, dass die Menschen uns nicht trauen..."
"Nein." Rhiannon sah sie zornig an. "Nein, es ist nicht in Ordnung! Die spielen mit den Ängsten der Leute und nützen sie aus! Und alles, um nur ein wenig mehr Macht zu erringen, es ist doch wirklich erbärmlich! Es ist eben ein großer Fehler, Politikern zu vertrauen." Die junge Frau hob entschuldigend die Arme. "Es tut mir leid."
"Schon gut", entgegnete Delenn. "Ich bin ja auch nicht gerade erfreut über die jüngsten Entwicklungen. Aber du kannst gegen die Ängste der Leute nun einmal nichts machen."
"Weißt du, was dein Problem ist?" brummte Ria. "Du verstehst alle viel zu gut."
Delenn ignorierte das. "Was meinst du? Wer wird Präsident der Erde?"
Rhiannon zuckte die Achseln. "Mir wäre es das liebste, wenn Mary Cox gewinnen würde. Sie ist eine gute Kandidatin, und sie hat auch Chancen. Leider bin ich nicht mehr irdische Staatsbürgerin und habe deshalb auch kein Wahlrecht." Sie überlegte kurz. "Ich fürchte aber, dass die Mehrheit für Louis Sandiago stimmen wird. Er ist sicher nicht übel, aber mir ist er unsympathisch."
"Warten wir's ab."


Fortsetzung: Kapitel 24


Jennifer Fausek
17.09.2002
Website von Jennifer Fausek

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