Rhiannons Geschichte: 26. Kapitel
(von Jennifer Fausek)
Es erstaunte Rhiannon immer wieder zu sehen, wie rasch die Entwicklung ihrer kleinen Tochter voranging, wie sehr sich das Baby innerhalb kürzester Zeit veränderte.
Es war gar nicht so lange her, da war Zora noch ein winziges Neugeborenes gewesen, hatte kaum mehr getan als zu schlafen, zu trinken und zu schreien.
Doch bald schon konnte die Kleine den Kopf heben und reagierte bewusst auf die ihr vertrauten Personen und lächelte sie an. Auch sonst schien sich Zora für das zu interessieren, was um sie herum passierte. Sie war nun auch schon öfters wach, mit Unterbrechungen ein paar Stunden pro Tag.
Wie fast alle Eltern war natürlich auch Ria stolz auf ihr Kind. Sie genoss die bewundernden Blicke ihrer Familie und ihrer Freunde. Da die kleine Zora bisher weder krabbeln geschweige denn laufen konnte, war es für Rhiannon noch problemlos, sie überall hin mitnehmen.
Sogar zum Denn'bok-Training in Tredomo, zu dem sie immer mit einem Bodenfahrzeug kam. Zora setzte sie während der Fahrt in einen tragbaren Kindersitz, der nicht nur für Boden- sondern auch für Luftfahrzeuge gut und sicher geeignet war.
Die Klasse, in der Rhiannon war, traf sich praktisch jeden Tag, nur konnte Ria nicht jedesmal dabei sein, sondern nur, wenn sie jemanden fand, der im Tempel für sie einsprang und sie nicht gerade mit Delenn unterwegs war.
Meistens fand der Unterricht am frühen Nachmittag statt, es kam immer darauf an, welche Verpflichtungen F'hursna Sech Duhran gerade hatte.
Rhiannon konnte zwar häufig zum Training kommen, aber bei weitem nicht so oft, wie sie es gerne gehabt hätte. Zwar gab es bei den Minbari keine festen Arbeitszeiten, die Leute kamen und gingen oder nahmen sich frei beziehungsweise Urlaub, wie es eben gerade möglich war. Aber sie konnten trotzdem nicht einfach verschwinden, wie es ihnen gerade passte, wenn sie mit einer wichtigen Aufgabe beschäftigt waren.
Das galt natürlich auch für Ria. Sie konnte schließlich nicht einfach gehen, wenn gerade ein Unfall herein kam oder es besonders viele Patienten zu behandeln gab oder sie bei einer Operation half.
Rhiannon merkte, dass sie seit Zoras Geburt nicht mehr so gut in Form war. Das lag nicht nur an dem Trainingsrückstand, den sie gegenüber den anderen hatte. Die langen Wochen, die sie nicht hatte trainieren können, hatten sich nicht nur auf ihre Technik ausgewirkt, sie war auch nicht mehr so stark wie früher.
Das ärgerte Ria ungemein, und sie arbeitete verbissen daran, ihre Muskeln wieder zu stärken, mehr Kondition zu bekommen und ihre Technik zu verbessern.
Die ersten Male war Rhiannon schon nach einer Stunde Training völlig erledigt gewesen, aber inzwischen hielt sie auch die zweite Stunde gut durch. Damit Zora während des Unterrichts schlief, fütterte Ria sie und wechselte die Windeln. Normalerweise schlief das Kind dann, einen Schnuller im Mund, brav auf einer niederen Bank an der Wand der Halle, bis das Training vorbei war, meistens sogar, bis sie zu Hause waren.
Das Training hatte kaum begonnen, und um sich aufzuwärmen war Ria gerade dabei, verschiedene Techniken alleine zu üben - natürlich unter Duhrans Aufsicht - um sich zu verbessern, da erwachte Zora plötzlich, spuckte den Nuckel aus und schrie und fuchtelte dabei mit den kleinen Ärmchen.
Rhiannon schloss für einen Moment die Augen und seufzte. "Sie kann doch nicht schon wieder Hunger haben, ich habe sie doch erst gefüttert", stöhnte sie, während sie ihr Denn'bok wegsteckte und zu der Kleinen hinüber ging.
Einige der jungen Männer und Frauen, die am Training teilnahmen lächelten mitfühlend, ein paar von ihnen hatten ja selbst Kinder, aber sie fuhren gleich wieder mit ihren Übungen fort.
Ria nahm das Baby aus dem Kindersitz und wiegte sie sanft. Aber Zora wollte sich nicht beruhigen, spuckte auch den Nuckel gleich wieder aus. Rhiannon gab ihrem Kind einen Budel mit Fruchtsaft zu trinken, aber auch das wollte nicht wirken. Da die Windeln trocken waren, wusste Ria bald nicht mehr, was sie sonst tun sollte, um Zora wieder zur Ruhe zu bringen.
Schließlich kam F'hursna Sech Duhran zu ihr, nahm den Kindersitz und hing ihn mit zwei Denn'boks, die ihm gehörten, in der offenen Tür zwischen den breiten Türpfosten auf. Als sich Duhran davon überzeugt hatte, dass die 'Wiege' stabil war, nahm er Ria die Kleine ab, legte sie in den Sitz und schaukelte sie sanft.
Daraufhin verstummte das Weinen. Rhiannon sah Duhran überrascht an, während sie ihrem Kind den Schnuller gab. Zora schlief friedlich ein.
"Wie haben Sie denn das hingekriegt?" fragte Ria erstaunt. "Bei mir hat sie sich noch nie so schnell wieder beruhigt."
Duhran lächelte dünn. "Auch in meinem Clan gibt es Kinder."
Sie konnten den Unterricht ungestört fortsetzen, während Zora nun friedlich in ihrer provisorischen Wiege schlief.
Zora entwickelte sich auch weiterhin prächtig. Bald schon konnte sie alleine aufsitzen und begann dann zu zahnen.
Als sie die ersten Zähne bekam schrie sie häufiger, was Rhiannon erst einmal ein wenig erschreckte, weil sie geglaubt hatte, ihr Kind sei vielleicht krank. Da Rakall aber bestätigte, dass das Baby völlig normal war und Zora immer die Finger in den Mund steckte, war für Ria schon bald klar, was nun wirklich los war.
Der Beissring schien das Zahnen kaum leichter zu machen. Rhiannon verbrachte Nächte damit, die weinende Zora herumzutragen und darauf zu warten, dass die Kleine endlich müde wurde und einschlief. Das ging so lange, bis die ersten Zähne schließlich durch waren.
Ungefähr zur selben Zeit begann Zora damit, herumzukrabbeln. Von diesem Augenblick an nahm Rhiannon sie nur noch selten in den Tempel mit, weil es schwierig wurde, in der Hektik auf sie aufzupassen. Zora krabbelte nämlich überall hin, wollte wie alle Kinder alles entdecken und war verschwunden, sobald sie auch nur eine Sekunde aus den Augen gelassen wurde.
Außerdem verbrachte Rhiannon nun, wenn sie nicht gerade damit beschäftigt war Patienten zu helfen, sehr viel Zeit in der Bibliothek um zu lernen. Und ein kleines Kind würde sie dabei nur ablenken.
In einem halben Jahr wollte Ria ihre Ausbildung zur Heilerin beginnen. Sie war zwar nicht hundertprozentig glücklich mit dieser Wahl, aber unter diesen Umständen war es das Beste was sie tun konnte.
Eigentlich wäre Rhiannon lieber zu den Sicherheitskräften gegangen, nur war das auf Minbar unmöglich. Und in die Erdallianz zurückgehen, nur um Polizistin zu werden, das wollte sie auch nicht.
Außerdem, so schrecklich war es gar nicht, eine Heilerin zu sein, fand Ria. Es entsprach zwar nicht genau ihren Berufswünschen, aber es war ein guter Weg, um Personen zu helfen, vielleicht sogar einer der besten, die überhaupt gab.
Also beschloss Rhiannon, ihre derzeitige Situation voll auszukosten und zu genießen und ihre Arbeit so gut wie ihr möglich zu machen.
Nur so nebenbei verfolgte Ria die neuesten Nachrichten. Das am wildesten diskutierte Thema war momentan immer noch Babylon 5.
Der Bau der Station hatte, aller Skepsis zum Trotz, pünktlich begonnen und ging sogar rascher als geplant voran. Alle Leute, die an diesem gewaltigen Projekt mitwirkten schienen entschlossen zu sein, es diesmal unter allen Umständen zu schaffen.
Ria betrachtete das alles mit einer gehörigen Portion Zurückhaltung. Wie die meisten Leute, vor allem Menschen, konnte auch sie nicht so recht daran glauben, dass Babylon 5 wirklich bestehen bleiben würde, obwohl sie hoffte, dass es mit der fünften - und aller Voraussicht nach letzten - Station endlich klappen würde.
Rhiannon hatte mit Delenn natürlich schon mehr als einmal über das ganze Projekt geredet und wusste, dass sie fest davon überzeugt war, dass es dieses Mal kein Misserfolg werden würde.
Der Graue Rat schien da weitaus mehr Bedenken zu haben. Sie waren noch nicht einmal bereit darüber zu reden, wer die Minbari nun auf Babylon 5 repräsentieren sollte, wenn die Station erst fertig gebaut und in Betrieb genommen war.
Laut Delenn waren ein oder zwei Mitglieder des Grauen Rates sogar der Meinung, es wäre das beste, überhaupt niemanden auf die Station zu schicken, und dass es ohnehin ein großer Fehler sei, den Bau zu unterstützen.
Im Ältestenrat gab es nur vereinzelt Leute, die nicht wollten, dass die Minbari bei einem von Menschen geführten Projekt mitmachten.
Glücklicherweise waren diese Stimmen aber deutlich in der Minderheit. Den meisten Minbari gefiel die Idee, die hinter dem Unternehmen Babylon 5 stand. Schließlich wollten auch sie, dass der Friede zwischen den Völkern gewahrt blieb und Freundschaften gefördert wurden.
Es ließ sich nicht leugnen: egal, ob die Station schlussendlich bestehen bleiben würde oder nicht, schon die Zusammenarbeit beim Bau alleine hatte einen heilsamen Effekt auf alle Völker, die daran beteiligt waren.
Das war auch kein Wunder. Immerhin hatten sie alle Geld, Material und/oder Leute zur Verfügung gestellt, und deshalb wollte niemand, dass die ganzen Anstrengungen umsonst gewesen waren. In dem Fall hätten sie ja alle verloren.
Fortsetzung: Kapitel 27
Jennifer Fausek
17.09.2002
Website von Jennifer Fausek
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