Rhiannons Geschichte: 29. Kapitel
(von Jennifer Fausek)
Als Rhiannon wieder zu sich kam, lag sie in einem Bett unter einer warmen Decke. Trotzdem zitterte sie leicht vor Kälte. Nach einer Weile begriff sie, dass es nicht um sie herum kalt war, sondern dass ihr kalt war, weil sie Fieber bekam oder schon hatte.
Das bedeutete, dass sie nicht tot war. Ja, sie lebte, kein Zweifel, sonst hätte sie ja auch kein Fieber und so furchtbar brennenden Durst. Außerdem gab es im Jenseits bestimmt keine Schläuche und Überwachungsgeräte, die ein schrilles, nervtötendes Piepsen von sich gaben.
Ich wünschte, jemand würde dieses verdammte Ding endlich abschalten, dachte sie schläfrig.
Ria bewegte sich leicht und konnte fühlen, dass ihr linker Fuß in einem Hartverband steckte und ihre linke Hand verbunden worden war. Sie war also ärztlich behandelt worden. Irgendwie logisch, sonst wäre sie ja nicht mehr am Leben.
Sie musste in einer medizinischen Einrichtung sein, dem durchdringenden antiseptischen Geruch nach zu urteilen. Diesen speziellen Geruch schien es in allen Krankenhäusern zu geben.
Rhiannon öffnete die Augen und blinzelte, um das Brennen aus ihnen zu vertreiben. Sie fühlte sich noch immer benommen und schwummrig, und sie konnte nicht sagen, ob es nun vom Fieber oder vom Gift kam.
"Hallo, bist du also endlich aufgewacht", sagte eine freundliche Stimme.
Ria drehte den Kopf und erkannte Sech Turval, der auf einem Stuhl neben ihrem Bett saß. "Wo... wo bin ich?" krächzte sie. "Und wie lange habe ich geschlafen?"
"Du bist im Krankenrevier im Tempel der Anla'shok-Basis", erklärte er. "Du warst fast sechs Stunden lang bewusstlos. Heilerin Rakall hat dich behandelt, sie macht gerade eine Pause. Sie sagt, du bist noch nicht über den Berg, du wirst noch einige Tage krank sein."
Rhiannon nickte. "Könnte ich bitte etwas zu trinken haben? Ich bin durstig."
"Ja, natürlich."
Turval stand auf und nahm einen Becher mit kaltem, heilendem Tee vom Nachttisch. Mit der anderen Hand half er Rhiannon sich ein wenig aufzurichten, denn sie war noch zu schwach, um es alleine zu können.
Ria trank gierig, bis sie zu erschöpft war und sich wieder hinlegen musste. Als Turval den Becher zurückstellte, fiel ihr Blick auf den zerbrochenen Nethai-Zweig, der auf dem Nachtkästchen lag. Es hingen nur noch zwei der hübschen Beeren an dem kleinen Ästchen.
Rhiannon schloss für einen Moment die Augen und seufzte. Sie hatte es also nicht geschafft, alles war umsonst gewesen. "Es tut mir leid, ich habe versagt. Ich werde nach Yedor zurückgehen, sobald ich kann."
Turval schüttelte den Kopf und lächelte beruhigend. "Das ist nicht nötig. Es ist alles in Ordnung. Du hast den Test bestanden."
"Das verstehe ich nicht. Ich habe doch gar keinen perfekten Zweig mitgebracht..."
"Es ist auch gar nicht um den Zweig gegangen, sondern darum, ob du wirklich bereit bist, dein eigenes Leben zu riskieren, wenn es sein muss", erklärte er. "Solltest du tatsächlich eine Anla'shok werden wollen, wirst du dein Leben noch oft genug riskieren müssen, um jemanden zu beschützen, bei Überwachungsaufträgen und derartigen Missionen, und vielleicht sogar im Krieg."
"Und warum haben Sie mir denn nicht gleich gesagt, worum es bei diesem Test in Wirklichkeit geht?" fragte Ria.
"Dann wäre der Test ja sinnlos gewesen", entgegnete Turval gelassen. "Außerdem halten wir es hier nicht immer für notwendig darauf hinzuweisen, wann eine Prüfung beginnt oder was gefordert wird."
Rhiannon sah ihn nachdenklich an. "Werden alle, die zu euch kommen, dem gleichen Test unterzogen wie ich?"
Der Minbari schüttelte den Kopf. "Oh nein, das wäre ja dumm. Aber wir prüfen jeden hier auf die eine oder andere Weise."
"Bedeutet das, dass ich bleiben darf?" fragte Ria leise.
"Ich schlage vor, darüber reden wir, wenn es dir wieder etwas besser geht." Turval tätschelte ihren Arm und war erschrocken darüber, wie glühend heiß sich ihre Haut anfühlte. "Wenn du wirklich bleiben willst, wird es bestimmt einen Weg geben. Aber jetzt ist es genug für heute. Du musst dich ausruhen und schlafen."
Rhiannon nickte automatisch und schloss die Augen, obwohl sie eigentlich noch so viele Dinge wissen wollte. Naja, sie würde ihre Fragen auch noch später stellen können. Hoffte sie zumindest.
"Es ist alles meine Schuld! Ich hätte besser auf das Kind aufpassen müssen. Ich weiß ja, wie impulsiv und starrköpfig sie sein kann." Satai Delenn ging nervös in Sech Turvals Büro auf und ab. Er hatte sie natürlich sofort benachrichtigt, als er erfahren hatte, dass Rhiannon ernsthaft verletzt war, vielleicht sogar sterben würde.
Delenn hatte lange gewartet, während sich Heilerin Rakall um Rhiannon gekümmert und Turval sie besucht hatte. Aber niemand hatte genau sagen können, wie Rias Chancen standen.
Turval, früher vom Achten Tempel von Tredomo, nun von den Anla'shok, sah Delenn geduldig bei ihrer unruhigen Wanderung zu. "Riann mag manchmal unüberlegt handeln, aber sie ist ganz gewiss kein Kind mehr."
Delenn blieb abrupt stehen und seufzte. "Ich fürchte, du hast recht. Aber trotzdem: sie ist immer noch so jung. Ich hätte ihr gerne noch ein Jahr Zeit gegeben, oder wenigstens ein paar Monate..."
"Riann ist bei weitem alt genug, um sich zu entscheiden", entgegnete Turval. "Viele sind sehr viel jünger. Es war Zeit für sie, ihren Weg zu suchen."
In dem Moment wurde die Tür zum Büro geöffnet, und Rakall kam herein. Sie wirkte abgespannt und sehr ernst, und das ließ auf nichts Gutes hoffen.
Delenn warf ihr einen angstvollen Blick zu. "Ria... ist sie...?"
Die Heilerin schüttelte den Kopf. "Nein, sie lebt. Aber es geht ihr nicht sehr gut. Das Fieber ist weiter gestiegen, auf fast einundvierzig Grad. Wir tun alles, um die Temperatur ein wenig zu senken, bisher aber ohne großen Erfolg." Sie zögerte und sah Delenn mitfühlend an. "Sollte das Fieber weiter steigen, wird es sie vermutlich umbringen."
"In Valens Namen", hauchte Delenn. "Wie stehen ihre Chancen?"
"Tja, das ist bei Rias menschlicher Physiologie schwer zu sagen", erwiderte Rakall ein wenig ratlos. "Sie ist schon einmal erwacht, das ist ermutigend. Und jede Stunde, die sie überlebt ist ein gutes Zeichen. Aber sicher sein können wir erst, wenn das Fieber weg ist. Ria wird auf jeden Fall eine schwere Nacht vor sich haben, vielleicht sogar zwei schwere Nächte."
"So schlecht steht es um sie?"
"Im Moment schon." Die Heilerin sah den Kummer in Delenns Gesicht. "Aber vergessen Sie nicht: Ria ist jung und stark. Und sie kämpft um ihr Leben, sie will nicht sterben. Ich denke, das sind sehr gute Voraussetzungen, um wieder gesund zu werden. Wenn sie es schafft, dürfte das Schlimmste in zwei oder drei Tagen überstanden sein."
Delenn nickte dankbar über diese beruhigenden Worte. Sie waren zumindest ein kleiner Trost. "Darf ich Rhiannon jetzt besuchen?"
Rakall seufzte. "Aber nur ganz kurz. Sie schläft momentan, und wir sollten sie nicht aufwecken. Sie braucht ihre Ruhe dringend." Sie zögerte. "Und ich muss Sie warnen, Delenn, sie sieht nicht gut aus."
Delenn musste feststellen, dass das keineswegs übertrieben war. Sie betrachtete Rhiannon durch die gläserne Absperrung, die den direkten Kontakt von Außenstehenden mit dem Intensivpatienten verhindern sollte.
Ria lag regungslos auf einem Bett mit grünen Laken, umgeben von Schläuchen und Überwachungsgeräten. Ihre Wangen waren eingefallen und die Haut war vom Fieber gerötet. Nur das leichte Heben und Senken der Bettdecke verriet, dass Rhiannon noch lebte.
Delenn hatte sie noch nie so krank und schwach gesehen, nicht einmal bei Zoras Geburt, und wäre am liebsten sofort zu ihr hingegangen, um bei ihr zu sein, sie zu stärken und zu trösten. Aber sie hielt sich tapfer zurück.
Sech Turval und Rakall waren mit ihr gekommen. Während die Heilerin durch die offene, ebenfalls gläserne Schiebetür zu Rhiannon ging und leise mit einem Pfleger, der bei ihr war, sprach, blieben Delenn und Turval bei der Scheibe stehen.
"Ich möchte bei Ria bleiben", sagte Delenn.
Turval sah sie von der Seite an. "Du kannst doch überhaupt nichts für sie tun, sie schläft jetzt. Und selbst wenn sie wach wäre, ist es nicht sicher ob sie dich in diesem Zustand überhaupt erkennt."
"Ich will da sein, wenn sie erwacht. Wenigstens das möchte ich für sie tun."
Er zögerte. "Es wäre vielleicht besser, du würdest Riann nicht besuchen", entgegnete er sanft. "Gib ihr den Abstand und die Zeit, in Ruhe über alles nachzudenken. Wenn sie bereit ist, mit dir zu reden, wird sie zu dir kommen."
"Und wenn sie stirbt?" fragte Delenn.
"So schnell geht das nicht", antwortete Turval. "Wir hätten immer noch genügend Zeit, dich zu benachrichtigen, falls sich ihr Zustand tatsächlich so weit verschlechtern sollte. Ich weiß, es ist bestimmt sehr hart, aber ich denke, du solltest nach Yedor zurückfliegen und abwarten. Riann muss diesen Kampf alleine bestreiten."
"Wie du meinst", sagte Delenn zögernd. "Aber es wird mir sehr schwer fallen zu warten."
"Natürlich."
"Und bitte, sorge dafür, dass sie nicht unüberlegt handelt und den Anla'shok ohne nachzudenken beitritt."
"Riann wird die nächsten drei Wochen, bis ihr Fuß ausgeheilt ist, erst einmal gar nichts tun", erwiderte Turval. "Vertrau deinem alten Lehrer, ich werde mich bis dahin gut um sie kümmern. Wenn sie allerdings nach Ablauf der Frist immer noch hier bleiben will, werden wir es ihr erlauben und sie ausbilden, das habe ich ihr versprochen, und ich werde nichts tun, um ihr ihre Entscheidung auszureden."
"Das verlange ich ja auch gar nicht. Ich will nur, dass sie sich ihren Entschluss reiflich überlegt."
"Das wird sie, ganz sicher. Du weiß, wir Anla'shok haben unsere Gesetze..."
"Ja", antwortete Delenn. "Ich kenne sie."
Rakall kam zurück. "Rias Zustand ist unverändert", berichtete sie und kam damit jedwelchen Fragen zuvor. Sie wandte sich an Sech Turval. "Meister, ich würde gerne für die nächsten Tage hier bleiben, bis es Ria wieder besser geht..."
Er nickte. "Ich werde gleich jemandem Bescheid geben, damit Sie ein Zimmer bekommen."
"Vielen Dank." Die Heilerin verneigte sich kurz und ging wieder zu ihrer Patientin.
"Du solltest jetzt gehen", sagte Turval zu Delenn.
Sie zögerte, denn diesen Schritt zu tun fiel ihr nicht leicht. "Na schön, ich werde gehen. Aber halte mich bitte auf dem Laufenden. Ich möchte wissen, wie es Ria geht."
"Gut, ich werde dir Nachricht geben", versprach er.
"Danke, aber sag Ria bitte nichts davon", entgegnete Delenn erleichtert.
"Keine Bange, sie wird nichts erfahren."
Delenn nickte bedächtig. "Dann wird es jetzt Zeit..."
Sie und Turval vollführten das Ritual des Abschieds, indem sie sich die Hand auf das Herz des jeweils anderen legten und sich ihre Köpfe kurz berührten.
Delenn hatte ein mulmiges Gefühl dabei, als sie nach Yedor zurückflog. Sie hätte sich gerne mit Ria ausgesprochen, sie am liebsten auf der Stelle mit nach Hause genommen.
Aber es ging nicht, Rhiannon war inzwischen erwachsen, sie traf ihre eigenen Entscheidungen. Delenn konnte jetzt nur noch warten und hoffen, dass Ria ihr verzieh und wieder mit ihr redete.
Fortsetzung: Kapitel 30
Jennifer Fausek
17.09.2002
Website von Jennifer Fausek
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