Rhiannons Geschichte: 33. Kapitel
(von Jennifer Fausek)
Da Rhiannon sich nicht sicher war, ob Shakara die Drohung mit dem Wasser wirklich ernst gemeint hatte (und das auch nicht herausfinden wollte) hielt sie es für klüger, rechtzeitig aufzustehen und sich herzurichten.
So war Ria meistens schon in voller Uniform, wenn Shakara oder einer der anderen 'Leitwölfe' kam, um die Rekruten und Rekrutinnen zu wecken und wurde dafür von der Kriegerin mit einem zufriedenen Blick belohnt.
Zum körperlichen Training gehörte unter anderem ein spezielles Krafttraining, das meistens gegen Abend stattfand, zudem Übungen mit dem Denn'bok, der traditionellen Waffe der Anla'shok und anderen Waffen und die verschiedenen Hindernisparkure und Dauerläufe.
Die Hindernisläufe mochte Ria am wenigstens. Es ging bei dieser Übung nämlich nicht allein darum, den Parkur möglichst schnell zu bewältigen, es galt dabei auch, den Farbkügelchen auszuweichen, die aus extra präparierten Waffen abgeschossen wurden. Zwar ließ sich die weiße Farbe ganz leicht wieder von der Kleidung und der Haut abwaschen, aber Rhiannon verabscheute diese Übung trotzdem.
Anfangs war sie jedesmal 'tödlich' getroffen worden, erst mit der Zeit gelang es ihr, die weißen Kügelchen, die immer wieder von anderen Stellen abgeschossen wurden, halbwegs zu erahnen und ihnen auszuweichen oder in Deckung zu gehen.
Regelrechte Erholung bedeuteten da die Meditationsstunden, die von Sech Turval abgehalten wurden, das Überwachungstraining, Zielübungen mit den verschiedensten Schusswaffen, die Lektionen in Strategie und natürlich das Studium der Sprache und der Kultur der verschiedenen Völker und sonstiger theoretischer Unterricht.
In manchen Unterrichtsstunden durften - und sollten - die Auszubildenden sogar von lustigen Erlebnissen aus ihrem Leben erzählen. So sollten sie lernen, sich am Leben zu erfreuen, was auch kommen mochte.
Freude, Respekt und Mitgefühl sollte den Rekruten und Rekrutinnen unter anderem vermittelt werden. Etwas ungewöhnlich für ein militärisches Training, fand Rhiannon, aber ihr gefiel es.
Sich den Respekt der Anla'shok zu verdienen war weniger schwer, als Ria zunächst befürchtet hatte. Nachdem sie im Training immer wieder bewiesen hatte, dass sie ohne größere Probleme mit den minbarischen Auszubildenden mithalten konnte, wurde sie von den meisten bald akzeptiert.
Nur mit Laiann und den konservativen Anla'shok hatte Rhiannon immer noch so ihre Schwierigkeiten. Doch sie nahm das nicht so tragisch. Leute, die einen nicht mochten, gab es schließlich überall.
Mit Shakara kam Ria manchmal auch nicht zurecht. Die Kriegerin war eine der launischsten Personen, die sie je kennengelernt hatte. Shakara war sehr schnell zufrieden, aber genauso schnell konnte sie auch verärgert sein und einen dann verletzen.
Rhiannon hatte das auch schon am eigenen Leib erfahren müssen. Bei einer Übungsstunde mit dem Denn'bok war sie für eine Sekunde unaufmerksam gewesen, und Shakara hatte sie dafür mit voller Absicht so am rechten Oberschenkel verletzt, dass die Wunde hatte versorgt werden müssen und eine zehn Zentimeter lange Narbe zurückgeblieben war.
Sicher, im Ernstfall konnte sich mangelnde Konzentration als fatal erweisen, aber für Ria war das kein Grund gewesen, deswegen gleich so drastisch zu reagieren.
Seit zwei Wochen war Rhiannon nun schon bei den Anla'shok. Inzwischen begannen die ersten zarten Blümchen, die Vorboten des Frühlings, zu blühen, und die Tage wurden auch schon wärmer. Es war wirklich höchste Zeit gewesen, denn in diesem Jahr hatte sich der Winter besonders hartnäckig gehalten.
Ria lief mit den anderen Leuten aus ihrer Trainingseinheit einen Dauerlauf an einem der kleinen Seen bei Tuzanor. Um zu joggen kamen die Anla'shok meistens hierher zum Ufer, weil es in der Basis keine Joggingstrecke gab. Von den Schritten der jungen Leute war kaum etwas zu hören.
"Was ist los, Rann'tak?" fragte Laiann spöttisch. "Du wirst doch von dem bisschen Laufen nicht schon müde sein?" Ihre Stimme klang kaum außer Atem.
Rhiannon warf ihr einen wütenden Blick zu und lief etwas schneller, verkniff sich aber eine barsche Antwort. 'Rann'tak' war ein besonders abfälliges Wort für 'Mensch', das eigentlich 'Fremde/r von der Erde' bedeutete, das aber genauso beleidigend gemeint war wie etwa 'Gringo' für 'Amerikaner' oder gar 'Nigger' für dunkelhäutige Leute.
Laiann war die einzige, die dieses Wort benutzte. Andere hatten es zwar auch schon getan, manchmal auf der Straße, hin und wieder auch in ihrer Zeit im Tempel, und Rhiannon hatte sich meistens sofort dafür gerächt, sobald sie die Gelegenheit dazu gehabt hatte. Doch in diesem Fall war noch kein geeignetes Mittel eingefallen, wie sie sich für die 'Nettigkeit' revanchieren konnte.
In ihrer Gruppe war Laiann die Stärkste, die einzige, die schon von Geburt an zur Kriegerkaste gehörte. Deshalb traute sich Ria auch nicht, Laiann einfach so herauszufordern. Ganz abgesehen davon, dass Anla'shok - außer im Training - nicht gegeneinander kämpfen oder sich gar prügeln sollten, war Laiann ganz einfach viel kräftiger und war schon ihr ganzes Leben lang zur Kriegerin erzogen worden und würde deshalb höchstwahrscheinlich auch gewinnen.
Und bisher war Rhiannon einfach nicht eingefallen, wie sie gegen Laianns Gemeinheiten angehen und wie sie es zurückzahlen konnte.
"Lass' Ria gefälligst in Ruhe!" setzte sich Hadenn sich für den Menschen ein, und Rhiannon lächelte ihm dafür dankbar zu. Hadenn war für sie inzwischen wirklich zu einem guten Freund geworden.
Laiann schnaubte abfällig. "War ja klar, dass du dich für deine Freundin einsetzt."
Rhiannon schlug ihr den Ellbogen in die Rippen. Laiann packte sie am Zopf, und im nächsten Moment waren sie auch schon mitten in einer Rauferei. Die anderen taten ihr Bestes um sie zu trennen, schafften es aber nicht.
Nevill lief los, um die Lehrkräfte zu holen, die am Ende der Strecke warteten
Die beiden Streithähne gerieten immer näher an das Ufer des Sees, ohne es zu bemerken.
"Du solltest eine Abkühlung nehmen", knurrte Laiann und versetzte ihrer Kontrahentin einen Stoß zum Wasser hin.
Rhiannon taumelte. Sie hatte sich noch immer an Laianns Ärmel festgekrallt, als sie am Rand des Ufers das Gleichgewicht verlor.
Mit einem Aufschrei fielen die beiden Frauen in den See. Das eiskalte Wasser versetzte ihnen im ersten Moment einen Schock, als sie untertauchten.
Sie bemühten sich beide, möglichst schnell wieder zur Oberfläche zu gelangen. Laiann strampelte heftig in Panik.
"Hilfe, ich kann nicht schwimmen!" rief sie verängstigt.
Rhiannon, die sie immer noch festhielt, hatte alle Hände voll zu tun, damit Laiann sie nicht unter Wasser tunkte. "Du wirst dich auf der Stelle bei Hadenn und mir entschuldigen", grollte Ria. "Sonst lasse ich dich hier zurück und schwimme alleine ans Ufer."
"Das meinst du doch nicht ernst!" schrie Laiann verzweifelt, ruderte mit den Armen herum und spritzte Rhiannon dabei Wasser in die Augen.
"Willst du es darauf ankommen lassen?" knurrte Ria mit zusammengekniffenen Augen. "Los mach schon, entschuldige dich! Lange reicht meine Kraft nicht mehr!"
"Es tut mir leid!" schrie Laiann.
"Hör auf so zu strampeln, sonst werden wir noch beide ertrinken." Rhiannons ungeduldige, scharfe Stimme veranlasste Laiann zu gehorchen. Ria zog sie auf dem Rücken schwimmend zurück zum Ufer, und die anderen halfen ihnen aus dem Wasser.
Rhiannon klapperte vor Kälte mit den Zähnen, als sie ihr triefendnasses Haar auswrang. Ihre Lippen waren blau. Sehr zu ihrer Freude ging es Laiann nicht besser. Auch sie fror erbärmlich.
Inzwischen war Nevill mit den Lehrkräften zurückgekommen.
"Was ist hier los?" fragte Turval verärgert, als er Ria und Laiann musterte, die völlig durchnässt und zitternd vor ihm standen. Dann winkte er ab. "Nein, zieht euch erst einmal um, sonst werdet ihr noch krank. Dann werdet ihr in mein Büro kommen und mir alles erzählen. Also, alles zurück zur Basis. Das Lauftraining von heute werdet ihr morgen nachholen."
Es gab leises Murren, aber keiner widersprach richtig.
Eine halbe Stunde später saßen Rhiannon und Laiann trocken und wieder aufgewärmt in Turvals Büro. Turval hatte inzwischen von den anderen aus der Trainingsgruppe erfahren, was da eigentlich vorgefallen war und bedachte Laiann mit einem scharfen Blick.
"Dein Verhalten war unverantwortlich, Laiann!" sagte er mit nur mühsam im Zaum gehaltener Wut. "Was fällt dir ein, dich mit einer Kameradin zu prügeln! Wenn du so etwas noch einmal tust, werde ich dich bestrafen! Diesmal werde ich davon absehen, denn ich denke, du bist schon gestraft genug geworden. Ich hoffe, du ziehst aus dem eine Lehre: Unterschätze nie einen Gegner, besonders dann nicht, wenn er sich in einem Gebiet aufhält, in dem er sich besser auskennt als du selbst."
"Ja, Meister", murmelte Laiann kleinlaut und senkte den Kopf. Ria grinste hämisch.
Turval wandte sich nun ihr zu. "Du brauchst gar nicht so schadenfroh zu sein, Ria!" schimpfte er, und das Grinsen verschwand augenblicklich aus Rhiannons Gesicht. "Einem Kameraden mit dem Tod zu drohen ist eine ernste Sache und wird hier nicht geduldet. Wir sind hier alle voneinander abhängig und können keine Störenfriede brauchen, die uns alle gefährden. Wenn ihr mit jemandem ein Problem hast, löst das gütlich oder kommt zu mir. Wenn ihr das nicht könnt, werdet ihr eben im selben Team arbeiten, dann werdet ihr schon lernen, miteinander auszukommen. Ist das klar?"
"Ja, Meister", entgegnete Ria fest. Sie sah ihm trotzig in die Augen.. Ihr Gesicht zeigte keine Regung.
"Gut, dann könnt ihr jetzt gehen."
Das ließ sich Rhiannon nicht zweimal sagen. Sie verneigte sich und verließ das Büro als erste. Sie eilte mit langen, schnellen Schritten davon. Laiann lief ihr hinterher und versuchte, sie einzuholen.
"Bitte warte einen Moment, Ria!" rief die junge Minbari, doch Rhiannon hörte nicht zu.
Laiann ging etwas schneller, erreichte Ria und legte ihr von hinten eine Hand auf die Schulter, um sie zum Stehenbleiben zu bringen. "Bitte, ich will mit dir reden..."
Rhiannon drehte sich wutentbrannt um und schlug gleichzeitig die Hand weg. "Lass mich bloß in Ruhe. Wegen dir bin ich erst in diesem Schlamassel geraten!"
"Es tut mir leid", unterbrach Laiann sie.
Ria hatte noch einiges hinzufügen wollen, doch jetzt blieben ihr die Worte im Hals stecken. Sie sah ihre Widersacherin verblüfft an. "Wie bitte?"
"Es tut mir leid", wiederholte Laiann, und es klang ehrlich. "Ich wollte wirklich nicht so weit gehen. Wie wäre es, wenn wir uns in Zukunft etwas besser vertragen?"
"Na schön", sagte Rhiannon argwöhnisch. "Wir können es ja mal versuchen. Mir tut es auch leid, was passiert ist."
Laiann nickte. "Es ist nur so... es hat mich einfach geärgert zu sehen dass du so tief in der Gunst des Gewählten stehst..."
Rhiannon hob abwehrend die Hände. "Du brauchst mir nichts zu erklären", fiel sie ihr ins Wort. "Es interessiert mich nicht, wieso du mich nicht magst. Die Hauptsache ist, dass wir uns zusammenreißen und in Zukunft wie zwei vernünftige Personen miteinander umgehen. Ich habe wirklich keine Lust, von Sech Turval bestraft zu werden. Schlimm genug, dass wir die Strecke, die wir heute nicht geschafft haben, morgen zusätzlich laufen müssen."
Laiann grinste. "Da bin ich deiner Meinung. Und jetzt sollten wir machen, dass wir zum Strategieunterricht in den Klassenraum kommen. Sech Tirall wird ärgerlich werden, wenn wir zu spät zu ihrer Stunde kommen."
"Da dürftest du recht haben."
Rhiannon und Laiann betraten als letzte den Klassenraum. Die anderen aus der Gruppe sahen sie neugierig an, während sich die beiden Frauen ruhig auf ihre Plätze setzten.
Fortsetzung: Kapitel 34
Jennifer Fausek
17.09.2002
Website von Jennifer Fausek
|
|