Rhiannons Geschichte: 38. Kapitel
(von Jennifer Fausek)
"Das ist völlig unmöglich!" ereiferte sich jemand aus der Arbeiterkaste. "Satai Delenn kann nicht Botschafterin auf Babylon 5 werden. Satais haben bei ihrem Volk zu bleiben."
Delenn presste für einen Moment die Lippen zusammen. Es war eine weitere sinnlose Debatte, seit sie verkündet hatte, dass sie den Botschafterposten auf Babylon 5 annehmen wollte.
Sie verabscheute die Ignoranz und die Verbohrtheit der meisten anderen Satais. Manche von ihnen hatten Minbar schon seit Jahren nicht mehr betreten und wussten kaum noch, wie ihre Heimat aussah, geschweige denn, was die Leute wollten. Sie kannten praktisch nichts mehr außer ihrem Schiff.
"Niemand wird wissen, dass ich eine Satai bin", widersprach Delenn. "Es wäre gut, wenn ein Mitglied des Grauen Rates die Situation auf Babylon 5 im Auge behalten würde. Es ist ein Treffpunkt aller Völker. Wie könnten dort unauffällig herausfinden, wer die Verbündeten der Schatten und wer unsere Alliierten sind. Und da ich die meiste Erfahrung mit Menschen und anderen Außenweltlern habe, ist es nur gerechtfertigt, dass ich diejenige bin, die geht."
"Und es genauso falsch machen, wie Sie bei Riann alles falsch gemacht haben?"
Delenn wurde noch wütender, und sie hätte bald ihre gute Erziehung vergessen. "Ich habe mir in dem Punkt nur eines vorzuwerfen: nämlich dass ich nicht auf ihre große Vernunft gebaut und ihr nicht alles schon viel früher erzählt habe", erwiderte sie kalt. "Aber es geht hier nicht um Rhiannon oder meine Beziehung zu ihr. Ob Sie es wahrhaben wollen oder nicht: einer von uns muss die Menschen und die Völker im Auge behalten..."
"Das denke ich auch", stimmte Satai Jenimer zu. "Nur so bekommen wir Informationen aus erster Hand, außerdem muss jemand Jeffrey Sinclair auf seine zukünftige Aufgabe vorbereiten. Und Delenn kennt sich von uns nun einmal am besten mit Menschen aus, das lässt sich nicht abstreiten, immerhin ist ihre Pflegetochter ein Mensch."
"Trotzdem... ich weiß nicht, ob es klug ist, Satai Delenn mit dieser Aufgabe zu betrauen", warf eine weitere Stimme ein. "Sie ist zu nachsichtig mit den Außenweltlern, ganz besonders mit den Menschen. Wir haben nicht umsonst von den Menschen verlangt, dass Sinclair das Kommando über Babylon 5 übernehmen soll. Er hat eine Aufgabe zu erfüllen - obwohl ich ehrlich gesagt nicht sicher bin, ob er der Richtige ist."
"Er ist es", sagte Rathenn mit voller Überzeugung. "Und ich bin mir sicher, Delenn wird ihn gut auf seine künftige Stellung vorbereiten. Er wird bereit sein, wenn es soweit ist..."
"Das bezweifle ich sehr", brummte ein Mitglied der Kriegerkaste. "Ich finde, Alyt Neroon wäre besser geeignet. Sinclair ist für uns nicht von Bedeutung, genau wie die anderen Völker. Sie stellen für uns nur ein Sicherheitsrisiko dar. Es ist unnötig, dass einer von uns sich nach Babylon 5 begibt. Es ist nicht nur ein unnützes Risiko, es ist auch gegen die Tradition."
"Eine Tradition, die es gar nie hätte geben sollen. Ganz abgesehen davon: Ich kenne Neroon sehr gut. Er ist dieser Aufgabe bestimmt nicht gewachsen", konterte Delenn und erntete dafür missbilligendes Gemurmel der anderen Satais. Sie hatte sich mit dieser Meinung keine Freunde gemacht. Es spielte keine Rolle für sie. Außer Jenimer, Rathenn und ihrem verstorbenen Mentor Dukhat hatte sie im Grauen Rat ohnehin nie Freunde gehabt.
"Soll Satai Delenn doch gehen", sagte ein anderer aus der Kriegerkaste spöttisch. "Wenn sie unbedingt will, geben wir ihr den Botschafterposten. Wenn sie Erfolg hat, gut, wenn nicht können wir sie immer noch abberufen."
"Aber sollte Sinclair frühzeitig von den Schatten oder von dem erfahren, was ihm auf unserem Schiff geschehen ist, muss er sterben", sagte das Mitglied der Arbeiterkaste unerbittlich, das als erstes gesprochen hatte. "Er darf erst alles erfahren, wenn wir es sagen."
"Wir können ihn ganz unmöglich töten", entgegnete Delenn schockiert. "Er trägt einen minbarischen Geist. Und es ist seine Bestimmung nach Minbar zu kommen, wenn die Zeit dafür reif ist."
"Dummes Gerede", schimpfte die Kriegerkaste. "Er ist nur ein Mensch, dumm und unbedeutend."
"Diese Frage zu klären ist im Augenblick nicht wichtig", mischte sich Satai Jenimer in den beginnenden Streit ein und schlichtete ihn so beiläufig. "Viel wichtiger ist jetzt: senden wir Delenn nach Babylon 5 oder nicht. Wer dafür ist, möge das Licht jetzt brennen lassen, wer nicht soll es löschen."
Ein Licht ging aus, dann noch eins, ein drittes... langsam bekam Delenn Angst, dass es abgelehnt würde... ein viertes folgte...
Und fünf Lichter blieben brennen. Im ersten Moment musste sich Delenn beherrschen, um ihren Triumph nicht deutlich zu zeigen.
Es gab auch nicht den geringsten Anlass zur Freude. Sicher, sie hatte diese Schlacht gewonnen. Aber was bedeutete das schon, wenn noch der ganze Krieg vor ihr lag?
So hinterließ der kleine Triumph einen schalen Nachgeschmack bei Delenn, als sie den Konferenzraum verließ. Ein bitteres Lächeln, das niemand sehen konnte, huschte über ihr Gesicht. Sei vorsichtig mit dem, was du dir wünscht...
Rhiannon kam gerade von einem zweiwöchigen Erkundungsflug zurück. Sie machte solche 'Touren', wie sie diese Aufklärungsflüge nannte, seit Fertigstellung der Titanic häufig, nur dauerten die meistens nicht so lang. Und bisher hatte sie auch auf Zwischenstopps, außer um frische Vorräte aufzunehmen, verzichtet, damit sie ein größeres Gebiet abfliegen konnte.
Froh, nach der Strapaze endlich wieder zu Hause zu sein, nahm Ria erst einmal ein langes Bad, bevor sie sich mit Delenn und Zora zum Abendessen hinsetzte.
Aber erst, als Rhiannon Zora zu Bett gebracht hatte, setzten sich Delenn und Ria zusammen, um endlich miteinander zu reden.
"Und? Gibt es Neuigkeiten?" Delenn hatte es sich auf dem Sofa im Wohnzimmer bequem gemacht.
Ria, die gerade von der schlafenden Zora mit dem Babyphon in der Hand zurückkam, ließ sich in den Sessel gegenüber plumpsen und stellte das kleine Gerät hin.
"Eigentlich nicht. Ich bin nur einmal an der Grenze zwischen der Erdallianz und den Centauri einem Schiff der Raiders begegnet, aber die Piraten haben mich nicht gesehen. Weit und breit gab es nicht den geringsten Hinweis auf die Schatten."
"Zum Glück für dich."
"Das würde ich nicht unbedingt sagen", brummte Rhiannon. "Ich will etwas über die Schatten herausfinden, wer sie sind, und welche Beweggründe sie für ihr Handeln haben, das heißt, wenn sie nicht nur ein Mythos sind."
Delenn sah sie ungläubig an. "Ich dachte, ich habe dir genug Beweise für die Existenz der Schatten geliefert. Und ich bezweifle, dass du es schaffen wirst, mit den Schatten zu reden. Wir haben doch schon vor tausend Jahren gegen sie gekämpft und es auch nicht geschafft."
Das Gespräch verstummte kurz, als Aidoann kam und zwei Gläser mit Fruchtsaft auf dem niederen metallenen Tisch zwischen ihnen abstellte.
"Wer weiß, gegen was ihr da gekämpft habt", sagte Ria, als die Bedienstete wieder weg war und nahm einen Schluck von ihrem Fruchtsaft. "Ich werde die nächsten Male, wenn ich auf Tour gehe, die Piraten und Schmuggler auf den Planeten an der Grenze aushorchen. Vielleicht hat ja einer von denen eine Beobachtung gemacht oder irgendwelche Geschichten gehört."
"Tu das, wenn du willst. Aber bitte sei sehr vorsichtig, und überlege dir ganz genau, was du zu wem sagst."
"Ja, natürlich", versicherte Rhiannon. "Was hat sich hier getan, während ich weg war?"
"Ich werde als Botschafterin nach Babylon 5 gehen", sagte Delenn.
"Was?"
"Es wurde vor drei Tagen entschieden."
"Und wie hat sich der Graue Rat damit abgefunden?"
Delenn seufzte. "Naja, sie haben es hingenommen - gezwungenermaßen, nachdem die Abstimmung fünf zu vier zu meinen Gunsten ausgegangen ist..."
"...und eine Stimme davon deine eigene war..."
"...richtig." Delenn lächelte dünn. "Ich glaube, die meisten Mitglieder des Grauen Rates ärgern sich über mich, weil ich gegen das Protokoll verstoße, indem ich den Botschafterposten annehme."
Ria lachte verächtlich durch die Nase. "Soweit ich mich erinnere, hast du dich doch noch nie an das Protokoll gehalten."
"Nein, das habe ich wirklich nicht." Delenn sah sie amüsiert an.
"Was wird eigentlich aus Zora und mir, wenn du weg bist?" fragte Rhiannon. "Können wir weiter in diesem Haus wohnen bleiben?"
"Ich denke schon", antwortete Delenn. "Schließlich ist es nach wie vor mein Haus, obwohl ich kaum mehr die Zeit haben werde, hier zu sein. Und da du genauso beschäftigt sein wirst wie ich, habe ich auch schon jemanden bestimmt, der das Haus in Ordnung halten und sich um Zora kümmern soll."
"So? Und wen?" Ria sah sie interessiert an.
"Ich habe Nistel darum gebeten, dass er in unserer Haus zieht", antwortete Delenn. "Es kommt ihm sehr gelegen, er hat doch vor kurzem ein junges Paar aus seinem Clan in sein kleines Haus ziehen lassen und möchte, dass sie es möglichst bald allein übernehmen. Er will das junge Glück nicht stören. Nistel möchte nun ein wenig zur Ruhe kommen, nachdem er so viele Jahre lang ständig unterwegs war. Außerdem versteht er sich sehr gut mit Zora, wie ich gemerkt habe. Ich glaube, sie sieht in ihm fast so etwas wie ein Großvater." Delenn erwiderte Rhiannons erstaunten Blick gelassen. "Also, wenn du einverstanden bist, werde ich Nistel morgen Bescheid sagen, dann könnte er schon in den nächsten Tagen irgendwann zu uns ziehen."
Ria lächelte erfreut. "Und ob ich einverstanden bin. Ich denke, es ist die perfekte Lösung... Nur..." Sie wurde ein wenig nachdenklich. "Wieso hast du niemanden aus dem Clan gefragt?"
"Wieso sollte denn alles nur innerhalb der Familie geregelt werden?" fragte Delenn perplex zurück. "Ich denke, so ist es besser."
Rhiannon nickte zufrieden. "Das denke ich eigentlich auch."
Fortsetzung: Kapitel 39
Jennifer Fausek
17.09.2002
Website von Jennifer Fausek
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