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Rhiannons Geschichte (2. Band):
9. Kapitel

(von Jennifer Fausek)

Rhiannon kam gerade von einer zweiwöchigen ,Tour' zurück. Wie jedesmal war sie vollkommen erledigt.
Als sie mit dem Atmosphärengleiter nach Yedor flog merkte sie, dass etwas passiert sein musste. Nicht nur im Lager der Anla?shok war es seltsam ruhig, sondern auch in den Straßen von Minbars Hauptstadt.
Da Ria in der Basis der Anla?shok mit niemandem geredet hatte, erfuhr sie erst zu Hause, was geschehen war, während sie sich in der Außenwelt aufgehalten hatte.
Nistel erzählte ihr die Neuigkeit, kaum dass sie das Haus betreten hatte.
"Bramner ist heute morgen gestorben", sagte er.
Rhiannon nickte nur und ging ins Wohnzimmer. "Das tut mir Leid."
"Du scheinst nicht sehr überrascht zu sein", bemerkte Nistel.
Sie schüttelte den Kopf. Dann gab sie William einen Kuss und begrüßte Zora. "Ich wusste, dass er schwer krank war und nicht mehr lange zu leben hatte. Das war schon klar als ich ihn damals während meiner Ausbildung getroffen habe."
"Tatsächlich? Es war nicht vielen Leuten bekannt, dass er so krank war."
Rhiannon ließ sich mit Zora in einen Sessel fallen. "Ich weiß, er hat es so gut wie möglich verheimlicht. Aber ich habe lange genug mit Heilerin Rakall gearbeitet um die Symptome einer ernsthaften Krankheit zu erkennen."
"War Bramner nicht der Kriegsheld?" fragte William, der dem Gespräch bis jetzt nur zugehört hatte. Er nahm Zora zu sich, damit Ria sich ausruhen konnte.
"Du hast von ihm gehört?" Nistel war erstaunt.
"Ja, allerdings." Will wandte sich an seine Frau. "Und du bist ihm tatsächlich begegnet?"
Ria nickte müde. "Ja, aber nur einmal."
"Und? Was war er für eine Person?" wollte William wissen. Zora befreite sich aus dem Griff ihres Vaters und ging in die Spielecke. Das Gespräch zwischen den Erwachsenen interessierte sie nicht sonderlich.
"Ich hatte keine Gelegenheit, ihn näher kennen zu lernen", entgegnete sie. "Wir waren damals vollauf mit den Manövern beschäftigt. Da war keine Zeit um sich zu unterhalten."
"Bramners Tod ist ein großer Verlust für das minbarische Volk", mischte sich Nistel wieder ein. "Für die Minbari war er ein Held. Deshalb auch die Ruhe in den Straßen."
"Soweit ich weiß wollte er nie ein Held sein", sagte Rhiannon. "Er stammte ja auch aus der religiösen und nicht aus der Kriegerkaste."
"Das mag schon sein", erwiderte Nistel. "Aber Alyt Neroon hat dafür gesorgt, dass Bramner alle Ehren zuteil werden, die einem Helden gebühren. Sein Körper soll in einem militärischen Zeremoniell zu sämtlichen unserer Welten und auch nach Babylon 5 gebracht werden, damit sich die Minbari von ihm verabschieden können."
Mit einem Mal war Rhiannon hellwach. "Was? Und der Graue Rat hat nichts dagegen?"
"Soweit ich weiß nicht."
Ria wirkte sehr besorgt. "Ich weiß ja, dass Neroon Bramner sehr mochte, er war immerhin sein Kommandant und auch sein Lehrer. Aber das Brimborium ist keine gute Idee. Zumindest Delenn wird das ganz sicher nicht gefallen. Sie hat Heldenverehrung noch nie gutgeheißen."
"Delenn?" wollte William wissen. "Meinst du deine Pflegemutter?" Er glaubte sich zu erinnern, dass Rhiannons Pflegemutter Delenn hieß.
"Ja, richtig."
"Was hat die denn mit der ganzen Sache zu tun?"
Ria lächelte. "Delenn ist die Botschafterin der Minbari auf Babylon 5."
"Donnerwetter, ich hatte ja keine Ahnung." Rhiannon hatte bisher nicht sehr viel von ihrer Pflegemutter geredet, sondern immer nur von ihrer leiblichen Mutter. William hatte auch nicht weiter nachgefragt, weil er dachte, dass er ohnehin keine Antwort bekommen hätte.
Aber etwas fand er seltsam. "Eine Botschafterin hat doch bei solchen Sachen nicht viel zu sagen."
Ria und Nistel warfen einander einen wissenden Blick zu.
"Delenn ist nicht nur eine einfache Botschafterin", erklärte Rhiannon. "Sie ist außerdem auch noch eine Satai, ein Mitglied des Grauen Rates."
William brauchte eine Weile, bis er die Neuigkeit verdaut hatte. Er pfiff durch die Zähne. "Ich hätte nie gedacht, dass jemand aus unserer Familie ein Mitglied des Grauen Rates ist."
"Es wäre besser, wenn du das für dich behalten würdest", meinte Nistel.
"Ja, ja, schon gut", brummte Will. "Ich kann meinen Mund halten."
"Das hoffe ich." Rhiannon sah ihn ernst an. Sie sprach leise, damit Zora sie nicht verstand "Du könntest Delenn und womöglich auch uns alle in Gefahr bringen, wenn du dich bei den falschen Leuten verquatscht. Es wäre nicht das erste Mal, dass jemand versucht, durch, Erpressung Entführung oder Mord die Politik zu beeinflussen."
"Mach dir keine Sorgen", entgegnete William. "Ich würde nie etwas tun, was unserer Familie in irgendeiner Weise schaden könnte."
Ria lächelte, beugte sich vor und gab ihm einen Kuss. "Das weiß ich."
Sie ging zu ihrer Tochter hinüber um noch ein wenig mit ihr zu spielen. Wenn sie schon mal zu Hause war, wollte sie das auch ein wenig genießen.

Babylon 5 war eigentlich gebaut worden, damit alle Völker einen Ort hatten, an dem sie sich auf neutralem Boden treffen konnten. Und was noch viel wichtiger war: Die Station sollte den Frieden zwischen ihnen sichern.
Nur hatte sich die ganze Sache irgendwie von Anfang an nicht so entwickelt, wie die Leute sich das vorgestellt hatten.
Erst hatte das gigantische Gemeinschaftsprojekt zwar einen heilsamen Effekt auf die verschiedenen Völker gehabt. Aber nun schien die Raumstation einen unberechenbaren und meistens nicht unbedingt guten Einfluss auf die Leute zu haben, die mit ihr zu tun hatten.
Merkwürdige Dinge geschahen dort.
Das musste auch Neroon feststellen. Er kam nach Babylon 5, um den Minbari die Gelegenheit zu geben, sich von Bramner zu verabschieden. Doppelte Wachen wurden eingesetzt, damit alles reibungslos verlief.
Und dennoch geschah das Unfassbare.
Bramners Leichnam verschwand spurlos.
Wie Rhiannon aus einem Videobrief ihrer Pflegemutter erfuhr, war Delenn selbst für diesen ungeheueren Zwischenfall verantwortlich. Sie hatte den Körper heimlich einäschern lassen, um der Heldenverehrung ein Ende zu setzen, genau wie Bramner es sich gewünscht hatte.
Dummerweise hatte auch Neroon die Wahrheit herausgefunden. Delenn hatte ihm als Satai befohlen, absolutes Stillschweigen zu wahren.
Dennoch waren Gerüchte durchgesickert, für die es zwar keine Beweise gab, die aber Anlass wilder Spekulationen waren.
Die religiöse Kaste und die Kriegerkaste hatten einander noch nie besonders gemocht. Trotzdem hatten sie es die letzten tausend Jahre geschafft, ihre Differenzen nicht mehr offen auszutragen. Aber die Spannungen waren immer noch vorhanden.
Seit die religiöse Kaste den Krieg gegen die Menschen einfach ohne die Zustimmung der Kriegerkaste beendet hatte, schienen sich die Dinge zu ändern.
Mit einem Mal trugen beide Kasten ihre alten Konflikte wieder ziemlich unverhohlen vor dem Ältestenrat und dem Grauen Rat aus.
Gerade in letzter Zeit hatten sie sich kaum mehr die Mühe gemacht, ihren Unmut zu verbergen. Und der ungeheure Frevel beim Abschied von Bramner schien der Tropfen gewesen zu sein, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Es gab eine heftige verbale Auseinandersetzung im großen Auditorium des Regierungsgebäudes von Yedor.
Rhiannon saß in der ersten Reihe der Zuschauerränge im ersten Stock. Sie war beunruhigt, denn derart hitzige Debatten hatte sie vor dem Ältestenrat noch nie erlebt.
Die Tribüne war bis auf den letzten Platz gefüllt. Obwohl niemand aus dem Publikum sprach, war es ganz deutlich zu spüren, dass die Menge verärgert war.
"Wir werden niemals vergessen, dass Delenn es verabsäumt hat, genügend Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, um das Schiff von Bramners Geist zu schützen", rief ein Krieger namens Shakiri aufgebracht. "Es lag in ihrem Verantwortungsbereich. Deshalb ist es auch ihre Schuld, dass Bramners sterbliche Hülle verloren gegangen ist."
Ria verkniff sich ein zynisches Lächeln. Wenn du wüsstest, wie Recht du damit hast... Dann fiel ihr ein, dass er vielleicht durchaus die Wahrheit kannte.
Shakiri war ein temperamentvoller Krieger, der an den alten Werten und Traditionen festhielt. Er war nicht unbedingt ein Befürworter von Valens Lehren. Er stammte aus dem selben Clan wie Shakara, die Rhiannons Leitwolf während der Ausbildung zur Anla?shok gewesen war.
Shakiri war auf dem besten Weg ein Kastenoberhaupt zu werden. Viele Leute aus der Kriegerkaste begrüßen seine Ansichten.
"Es ist leicht jemanden zu beschuldigen, der nicht anwesend ist und sich deshalb auch nicht verteidigen kann", erwiderte Jenimer. Er sprach leise und doch war seine Stimme im gesamten Auditorium deutlich zu hören.
Außer Rathenn war Satai Jenimer, das gewählte Oberhaupt des Grauen Rates, das einzige Mitglied des Rates, das anwesend war.
"Und warum ist Satai Delenn nicht hier?" kam Neroon Shakiri zur Hilfe und sah herausfordernd in die Reihen der Kastenältesten. "Weil sie es vorgezogen hat, ihrem Volk den Rücken zu kehren und nach Babylon 5 zu gehen!"
"Wie können Sie es wagen so etwas zu sagen!?" Rathenns Stimme dröhnte durch den Saal. Ria stockte der Atem. Sie hatte Rathenn noch nie so zornig erlebt. "Satai Delenn hat getan, was getan werden musste. Sie dient ihrem Volk auch weiterhin, nur eben nicht hier, sondern auf Babylon 5. Es ist zum Wohle von uns allen!"
Nachdem sie der Debatte stundenlang zugehört hatte, bekam Rhiannon Kopfschmerzen. Sie hatte schon ganz vergessen, wie es war, so lange Zeit bei Sitzungen zu verbringen. Sie war schon nahe dran, leicht wegzudösen, als Rathenns fest und sicher klingende Stimme sie aus ihrer Müdigkeit herausriss.
"... und Sie dürfen auch nicht vergessen, dass Bramner aus der religiösen Kaste und nicht aus der Kriegerkaste stammte."
"Er hatte sich der Kriegerkaste verschrieben, das allein zählt", konterte Shakiri. "Er hat der Glaubenskaste ganz offenbar den Rücken gekehrt."
"Was aber nichts an seiner Abstammung ändert", mischte sich Satai Jenimer wieder ein und hob beschwichtigend die Arme. "Bramner wollte nie ein Kriegsheld sein. Er wollte gleich nach dem Tod verbrannt werden, so, wie es schlussendlich auch geschehen ist."
Die Diskussion ging nun zu Ende. Leises Murmeln erklang aus dem Publikum, als sie alle langsam das Auditorium verließen.
Rhiannon ließ sich viel Zeit. Während die Minbari in die Eingangshalle hinunter gingen oder sich auf dem riesigen Platz vor dem Regierungsgebäude aufgeregt unterhielten, blieb sie noch sitzen, bis das erste Gedränge vorbei war.
Erst dann stand sie ebenfalls auf, um zu gehen. Leicht beschwingt, wie sie es immer tat, stieg Ria die breite flache Treppe hinunter.
"Riann!"
Rhiannon sah sich suchend um und entdeckte Satai Jenimer, der ganz unten neben der Treppe stand. Er bedeutete ihr mit einer förmlichen Geste, sie solle zu ihm kommen.
Der Gewählte wurde von Satai Rathenn begleitet. Neun Wachen schirmten die beiden Mitglieder des Grauen Rates von der Menge ab.
Ria kam Jenimers stummer Aufforderung sofort nach. Da es am Fuß der Treppe kein Weiterkommen gab, sprang Rhiannon unten leichtfüßig über das Geländer hinweg. Sie landete nur einen halben Meter vor dem alten Satai.
Sie erntete dafür einen missbilligenden Blick von einer der Wachen, kümmerte sich aber nicht weiter darum.
Statt dessen verneigte sich Ria tief vor dem Oberhaupt des Grauen Rates. "Gewählter, wie kann ich ihnen dienen?"
Jenimer lächelte sanft. "Wir haben uns lange nicht mehr gesehen, nicht wahr?"
"Das ist Richtig", entgegnete Ria höflich. "Was ich sehr bedauere. Wir haben uns das letzte Mal gesehen, als ich vor den Rat gerufen worden bin, vor etwa eineinhalb Jahren."
"So lange?" sagte Jenimer mehr zu sich selbst als zu der jungen Frau, die vor ihm stand. "Die Zeit vergeht schnell." Er besann sich. "Bitte komm mit mir. Es gibt einige Dinge, über die wir sprechen sollten."
Rhiannon verbeugte sich ehrerbietig. "Natürlich."
Sie hob den Kopf und nahm über Jenimers Schulter hinweg eine Bewegung wahr, die ihre Aufmerksamkeit erregte.
Dicht bei den Wachen stand Shakiri und sah ihr direkt ins Gesicht. Unauslöschlicher Hass verdunkelte seine Augen. Es war ein Hass, der ihr persönlich zu gelten schien, nicht nur, weil sie ein Mensch war. Dabei sahen sie sich eben gerade das erste Mal von Angesicht zu Angesicht.
Neben Shakiri stand Neroon. Auch er bemerkte Rhiannon, und in seinen Mundwinkeln zuckte es verächtlich. Er flüsterte Shakiri etwas zu und zog ihn sanft weiter. Shakiri wandte erstaunt den Kopf und entgegnete etwas, das Ria nicht verstehen konnte.
Eine der Wachen stieß Rhiannon leicht an, und so folgte sie ihnen und den beiden Satais zu einem der Besprechungsräume im ersten Stock.
Jenimer kam gleich zur Sache. "Du weißt sicher von den Spannungen die gerade in letzter Zeit zwischen der religiösen und der Kriegerkaste bestehen", begann er, als er mit Ria und Rathenn alleine war.
"Und ob." Sie nickte. "Und um ehrlich zu sein, beunruhigt mich das sehr."
"Da bist du nicht die einzige", erwiderte Jenimer ernst. "Es ist beunruhigend. Aber keine Sorge. Nach mir wird eine starke Hand den Grauen Rat führen."
Rhiannon verbarg ihren Kummer. "Und wer wird das sein?" fragte sie, als das Oberhaupt des Grauen Rates eine Pause machte.
"Delenn", antwortete er.
Ria ließ ihren Atem zischend entweichen. "Weiß sie es schon?"
"Nein." Jenimer schüttelte den Kopf. "Ich werde es ihr sagen, wenn sie zu uns kommt, in etwa drei Monaten."
"Und was ist, wenn sie diese Entscheidung nicht akzeptiert?" Rhiannon war ganz ruhig.
"Das wird sie", sagte Jenimer überzeugt. "Wenn ich sie darum bitte."
"Und ich werde statt ihr als Botschafter nach Babylon 5 gehen", erklärte Rathenn.
"Ich wäre mir nicht so sicher, ob Delenn in diese Pläne einwilligen wird." Ria wählte ihre Worte so vorsichtig wie möglich. "Sie wissen ebenso gut wie ich, dass ihr nichts an der Macht liegt."
"Ich weiß, und genau deswegen wollte ich mit dir darüber sprechen", erläuterte Jenimer, der Gewählte. "Falls sie wider Erwarten doch ablehnen sollte, möchte ich, dass du sie davon überzeugst, dass es das beste wäre, wenn sie mein Angebot annimmt."
"Und was macht Sie so sicher, dass Delenn mehr auf mich hört als auf Sie?" Rhiannon sah die beiden Satais nachdenklich an.
"Du bist ihre Pflegetochter", stellte Rathenn fest. "Du bist diejenige, der sie am meisten vertraut."
Rhiannon lachte schnaubend durch die Nase. "Ich kann natürlich mit ihr sprechen. Aber ich kann Ihnen nicht versprechen, dass ich auch Erfolg haben werde."
Jenimer legte ihr die Hand auf die Schultern. "Das wissen wir."


Fortsetzung: Kapitel 10


Jennifer Fausek
30.10.2002
Website von Jennifer Fausek

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