Rhiannons Geschichte (2. Band): 13. Kapitel
(von Jennifer Fausek)
Es war nun Silvester geworden, zumindest nach dem Kalender der Erde. In wenigen Stunden würde das Jahr 2259 beginnen.
Obwohl sich weder Rhiannon noch William mit den Traditionen der Erde verbunden fühlten - die Kolonien hatten ihre eigenen Feste - feierten sie dieses Ereignis. Nistel hatte darauf bestanden. Er war der Meinung gewesen, Zora könne so vielleicht auch etwas über die irdische Kultur lernen.
Auch Chanuka, das jüdische Lichterfest hatten sie gefeiert, was Ria seit dem Tod ihrer Mutter nicht mehr getan hatte.
Silvester war in Yedor ein warmer sonniger Tag im frühen Sommer. William hatte gerade die zweite seiner drei Trainingspausen, deshalb konnte die Familie gemeinsam feiern.
Am Silvesternachmittag hörten sich Rhiannon und Will die Nachrichten in den öffentlichen Kom-Kanälen der Erdallianz an.
"... ist das Schiff von Präsident Sandiago auf dem Weg vom Mars nach Centauri Prime am Ersten Weihnachtstag explodiert, als es gerade einen kurzen Zwischenstopp bei der Kolonie auf dem Jupitermond Io machen, um Vorräte an Bord zu nehmen.
Präsident Sandiago und alle zwanzig Crewmitglieder sind dabei ums Leben gekommen. Die Trauerfeier für die Opfer der Katastrophe wurde auf den 2. Januar angesetzt.
Vizepräsident Clark war von dem Unglück tief getroffen. Er wollte eigentlich auch mitfliegen, aber ein akuter Grippeanfall veranlasste ihn im letzten Moment auf dem Mars zu bleiben und sich erst einmal auszukurieren.
Nach ersten gründlichen Untersuchungen gehen die Behörden nach wie vor davon aus, dass es sich bei der Explosion des Präsidentenschiffes Earthforce One um einen tragischen Unfall handelt..."
William schaltete den Ton ab, während die Nachrichtensprecherin von ISN, Inter Stellar Network weitere Neuigkeiten verlas.
"Wer, glaubst du, steckt hinter dem Tod von Präsident Sandiago?" fragte Will Rhiannon.
Sie zuckte gleichgültig die Achseln. "Ich weiß es nicht.."
"Dich scheint das nicht groß zu kümmern", stellte Will fest.
"Ehrlich gesagt, nein", gab Ria zu. "Mir ist es ziemlich egal, wer die Erde regiert. In ein paar Jahren, wenn die nächste Wahl ist kommt dann wieder ein anderer an die Macht. Nichts wird sich ändern."
"Wie kannst du dir da so sicher sein?" erwiderte William. "Immerhin wissen wir nicht, wie Clark als Präsident sein wird. Wer weiß, vielleicht haben sogar die Schatten ihre Hand im Spiel..."
"Ach komm schon, du bist ja paranoid", hielt Rhiannon ihm entgegen. "Soweit uns bekannt ist wissen die Menschen noch nichts von den Schatten. Wir beide sind praktisch die einzigen."
"Ja, soweit uns bekannt ist", konterte Will prompt. Er runzelte die Stirn. "Apropos Schatten: Du hast mir gesagt, dass du ursprünglich wegen ihnen zu den Anla'Shok gegangen bist..."
"Ja, und?"
"Du hast also nicht gewusst, ob es der Weg deines Herzens sein würde..."
Ria sah ihn wissend an. "Du bist dir nicht sicher, ob es richtig war, zu den Anla'Shok zu gehen." Es war eine Feststellung, keine Frage.
"Nein."
Ria lächelte. "Ich habe vor langer Zeit herausgefunden, dass der Weg des Herzens nur das ist, was du daraus machst. Lediglich deine Haltung macht, dass etwas der Weg deines Herzens ist oder nicht. Der Weg an sich ist dabei nicht so wichtig."
Ihr Gespräch wurde jäh unterbrochen, als Nalae zu ihnen ins Wohnzimmer kam.
Die alte Frau verneigte sich. "Es gibt einen dringenden Anruf für dich, Rhiannon, von Babylon 5."
Ria blinzelte überrascht. "Na schön. Ich werde den Anruf in meinem Zimmer entgegennehmen", sagte sie. "Bitte sei so nett und verbinde dorthin."
"Natürlich." Nalae verbeugte sich erneut.
"Danke."
Rhiannon verließ den Raum. William blickte ihr nachdenklich hinterher.
Ria nahm den Anruf alleine entgegen. Sie mache sich große Sorgen. Sie hatte mit Delenn und Lennier ausgemacht, dass sie nicht die offiziellen Kom-Kanäle, auch nicht die gesicherten, benutzten. Es war die einzige Möglichkeit zu verhindern, dass sie abgehört wurden. Nur in äußersten Notfällen wollten sie direkt anrufen.
Rhiannon erwartete, dass Delenn sich bei ihr melden würde, aber es war Lennier, der dann auf dem Bildschirm erschien, als sie die Verbindung aktivierte.
"Hallo Lennier", sagte Ria verblüfft. "Wieso riskierst du es mich anzurufen?"
"Keine Sorge, ich habe die Leitung mehrfach gesichert", versicherte Lennier und fuhr ohne Umschweife fort. "Delenn ist jetzt in der Crysalis."
Ria war wie vom Donner gerührt. "Lebt sie noch?" erkundigte sie sich besorgt.
"Ich weiß es nicht genau, aber wie es aussieht zum Glück schon." Lennier seufzte. "Sie hat jede ärztliche Überwachung abgelehnt, um keine unnötige Aufmerksamkeit zu erregen."
"Soll ich nach Babylon 5 kommen und helfen? Ich habe zwar keine vollständige Heilerausbildung, aber immerhin war ich Assistentin..."
Lennier schüttelte den Kopf. "Wir können momentan nichts tun außer abzuwarten."
"Gut, aber pass gut auf sie auf, und sag Bescheid sobald es etwas Neues gibt."
"Natürlich." Lennier deutete eine Verbeugung an. "Apropos Neuigkeiten. Commander Sinclair ist heute zur Erde zurückbeordert worden, und keiner weiß genau warum. Hier geht im Moment ohnehin alles sehr hektisch zu. Vor allem wegen dem Tod von Präsident Sandiago. Auf der Station kreisen diverse Gerüchte, es heißt, dass es kein Unfall sondern Mord war."
"Was durchaus möglich wäre", brummte Rhiannon. "Bitte sei so nett, und halte Augen und Ohren offen. Wer weiß wie viel an diesen Gerüchten dran ist."
"Ich werde deinen Rat beherzigen."
Ria nickte mechanisch. "Na dann... Auf Wiedersehen, und danke für den Anruf."
"Gern geschehen, auf Wiedersehen."
Die Verbindung wurde unterbrochen.
Rhiannon setzte sich nachdenklich auf ihr Meditationskissen. Sie war gelinde gesagt sehr besorgt darüber, dass Delenn ihr Vorhaben nun tatsächlich wahr gemacht hatte.
Aber in letzter Zeit hatten sich viele Dinge auf eine Art und Weise entwickelt, die Ria ganz und gar nicht gefiel, und das würde, wie es schien, auch so weitergehen.
Rhiannon lächelte zynisch. "Auf ein glückliches 2259", murmelte sie zu sich selbst.
Eugene Clark konnte es noch immer nicht fassen. Jetzt war er also tatsächlich der Präsident der Erde. Nun hatte er die Macht, die er wollte.
Die sehr kurz gehaltene Vereidigung vor einigen Tagen auf dem Mars hatte er wie im Traum erlebt. Aber es war kein Traum, es war die Realität. Er war nun wirklich Präsident Clark, die mächtigste Person auf der Erde.
Nur zu welchem Preis? Sandiago war für Morden und seine Leute entbehrlich und austauschbar gewesen. Clark befürchtete, dass auch er für seine Verbündeten ersetzbar war.
Er hatte damals einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, als er Mordens Hilfe angenommen hatte. Eigentlich störte ihm das nicht weiter.
Bisher war er eigentlich ganz gut damit gefahren, aber es machte ihn ein wenig unruhig, dass dieser Teufel ein unberechenbares Eigenleben hatte und sich nicht so einfach kontrollieren ließ, wie er erst gedacht hatte.
"Guten Tag, Mr. Präsident."
Clark fuhr erschrocken herum. Er hatte nicht gemerkt, dass Morden seine Räumlichkeiten betreten hatte.
Der ganz in schwarz gekleidete Mann lächelte schlangenhaft.
"Himmel, müssen Sie mich immer so erschrecken?" fuhr Clark ihn ärgerlich an.
"Warum sind Sie denn so nervös?" fragte Morden harmlos und kam ein wenig näher. "Es ist doch alles in bester Ordnung."
"Ach, tatsächlich?" Der Präsident sah ihn kalt an. "Und wer garantiert mir, dass ich nicht auch eines Tages in die Luft fliege?"
"Sie haben doch auch darauf vertraut, dass wir Sie schützen und darauf achten, dass Sie mit Sandiagos Tod nicht in Verbindung gebracht werden können."
Das war auch wieder wahr. Trotzdem... "Apropos: Ihre Leute haben Pfusch gebaut. Sie haben Beweise hinterlassen. Die Leute auf Babylon 5 sind uns auf die Schliche gekommen. Sie denken laut darüber nach, ob ich nicht etwas mit Sandiagos Tod zu tun habe."
"Dieses Problem haben wir bereits erledigt. Die werden nicht weiter herumschnüffeln", entgegnete Morden gelassen und lächelte dünn. "Ganz abgesehen davon ist die Explosion ganz offiziell als Unfall eingestuft worden. Und das wird auch im Untersuchungsbericht stehen."
Clark brummte. "Und weswegen sollte ich eigentlich Commander Sinclair von Babylon 5 zurückbeordern lassen?"
"Kennen Sie denn die Lebensweisheit ,Halte dir deine Freunde nah, aber deine Feinde noch näher' nicht?", sagte sein Gegenüber. "Auf der Erde können wir ihn unter Kontrolle halten oder töten, falls er es wagt uns in die Quere zu kommen."
Clark schnaubte nur. "Und wen soll ich jetzt statt Sinclair nach Babylon 5 schicken. Es will ja niemand diesen Posten haben."
"Meine Partner wollen, das Captain John Sheridan Kommandant der Station wird."
"Schon wieder ein Kriegsheld? Warum ausgerechnet er?"
Morden wiegte bedächtig den Kopf hin und her. "Seine Frau Anna ist eine von uns. Sollte er uns also in die Quere kommen wollen, haben wir etwas gegen ihn in der Hand."
"Den Minbari wird das aber gar nicht gefallen", bemerkte Präsident Clark. "Für sie ist Sheridan ein Kriegsverbrecher..."
"Und das ist gut so", erklärte Morden und hob die Brauen. "Wenn es auf der Station Probleme gibt, haben die Leute keine Zeit, sich auch noch um uns zu kümmern. Außerdem, die Minbari sind unsere Feinde, vergessen Sie das nicht, und ich werde sicher nicht nach ihrer Pfeife tanzen, Sie etwa?"
"Nein, natürlich nicht."
"Die Minbari werden für all das bezahlen, was sie den Menschen angetan haben." In Mordens Augen glitzerte es gefährlich. "In spätestens zwei Jahren werden wir sie angreifen können. Längstens an Neujahr 2261."
Clark nickte zufrieden und lächelte. "Das wird aber auch Zeit. Ich dachte schon, es geht überhaupt nichts mehr voran."
"Oh doch. Wir sind schon seit einigen Monaten dabei, Z?ha?dum wieder aufzubauen. Aber das braucht nun einmal Zeit, im Krieg vor tausend Jahren ist fast alles zerstört worden. Übrigens steht zumindest ein Volk schon ganz sicher hinter uns: Die Drakh."
"Die Drakh?" Clark runzelte die Stirn. "Ich habe noch nie von denen gehört."
"Das können Sie auch schwerlich", entgegnete Morden. "Sie sind damals mit meinen Partnern vertrieben worden.
Die Centauri sind ebenfalls sehr aussichtsreiche Kandidaten. Wenn wir sie für uns gewinnen könnten wäre das wirklich sehr günstig. Sie haben viele Schiffe und sind ohnehin schon die Verbündeten der Erdallianz."
"Ja, aber sie sind feige, hinterhältig und intrigant. Ihnen zu trauen wäre sicher ein großer Fehler."
"Trotzdem könnten sie uns noch sehr nützlich sein."
"Na von mir aus", brummte Clark ungeduldig. "Dann sorgen Sie eben dafür, dass die Centauri auf unserer Seite stehen oder noch besser, dass sie uns verpflichtet sind.
Und jetzt verschwinden Sie bitte endlich. Meine Familie wird bald hier sein. Wir wollen Silvesterabend und Neujahr gemeinsam verbringen."
"Oh, natürlich." Morden lächelte wieder schlangenhaft. "Einen guten Rutsch ins neue Jahr, und grüßen Sie bitte ihre Frau und ihre Kinder von mir."
"Raus hier!" knurrte Clark.
"Wie Sie wünschen."
Morden zuckte die Achseln und ging.
Fortsetzung: Kapitel 14
Jennifer Fausek
30.10.2002
Website von Jennifer Fausek
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