Rhiannons Geschichte (2. Band): 18. Kapitel
(von Jennifer Fausek)
"Dieser Mistkerl!", fauchte Rhiannon aufgebracht. "Shakiri hat das ja prima hingekriegt. Wenn wir nur beweisen könnten, dass der Ananassaft von selbst gegoren ist..."
Sie ging in Sinclairs kleiner Gefängniszelle immer auf und ab und brauchte dabei kaum drei Schritte um von einer Seite zur anderen zu gelangen.
Sinclair saß auf der Pritsche und sah ihr genervt bei der Wanderung zu. "Schon möglich, aber wir können nichts beweisen."
Er wirkte resigniert. Er rieb sich müde die Augen, doch dann sah er auf. "Nur verraten Sie mir etwas: Wer oder was sind die Anla`shok?"
Ria blieb abrupt stehen, und ihre Augen blitzten auf, als sie zu ihm blickte. "Die Anla`shok sind ein Mythos, Botschafter.
Machen Sie sich gar nicht erst die Mühe, nach ihnen zu suchen. Sie sind für alle Augen unsichtbar und werden grundsätzlich nur dann gesehen, wenn sie es so wollen. Sie würden sie nicht mal erkennen, wenn sie direkt vor ihnen stehen würden."
Wenigstens vorläufig gab sich Sinclair mit der Antwort zufrieden. Er musterte seinen Attaché nachdenklich. "Darf ich Sie noch etwas fragen?"
Sie zuckte müde die Schultern. "Nur zu."
"Warum haben Sie sich sofort dazu bereit erklärt, mir zu helfen?"
Rhiannon setzte sich zu ihm, mied seinen Blick aber. "Weil ich fest davon überzeugt bin, dass Sie unschuldig sind und Sie es nicht verdienen für etwas zu büßen, was Sie nicht getan haben."
Sinclair ergriff ihre Hand und lächelte dünn. "Danke."
Ria zuckte zurück. Sie sprang auf. "Wofür denn?" knurrte sie frustriert. "Ich habe doch gar nichts erreicht!"
"Ich danke Ihnen, dass Sie mir glauben."
Sie lachte bitter. "Ja, aber die werden Sie trotzdem nicht ungeschoren davonkommen lassen, egal ob Sie nun ein Botschafter sind oder nicht."
"Ich weiß", entgegnete Sinclair beruhigend. "Aber ich habe als Botschafter eine gewisse Immunität, und so weit ich gehört habe, gibt es auf Minbar keine Todesstrafe. Ich denke, das Schlimmste, was mir passieren kann ist, dass sie mich ausweisen lassen."
"Ich fürchte, da irren Sie sich." Rhiannon verschränkte die Arme. "Es ist zwar wahr, es gibt keine Todesstrafe. Aber ich habe mit Neroon geredet. Er hat mir gesagt, dass Shakiri ein Denn?sha fordern will."
Er sah sie verwundert an. "Denn?sha? ,Kampf bis zum Tod'? Ich dachte immer, Minbari töten keine Minbari..."
"Das tun sie auch nicht", versicherte Ria zynisch. "Beim Denn?sha sind beide Personen, die den Kampf ausfechten selbst für ihren eventuellen Tod verantwortlich, niemals der Gegner.
Verboten ist es allerdings Schwangere, Kranke, Verwundete oder sonst irgendwie geschwächte Personen herauszufordern. Und Sie sind leider weder krank noch verletzt."
"Können die das überhaupt machen?" fragte Sinclair besorgt.
"Jeder kann zum Denn?sha gefordert werden", antwortete Rhiannon ungeduldig. "Selbst Mitglieder des Grauen Rates."
Sie sah ihn prüfend an und schüttelte dabei leicht den Kopf. "Aber bei Ihnen würde das Denn?sha eher einer Hinrichtung gleichkommen. Oder sind Sie ein Meister im Umgang mit dem minbarischen Kampfstab?"
"Nein, während meiner Ausbildung in der Armee haben wir nicht besonders oft mit Kampfstäben trainiert. Es erschien nicht so wichtig. Wir haben im Nahkampf meistens Messer benutzt oder ohne Waffe gekämpft."
Ria schlug resigniert in die Luft. "Und uns bleibt nicht die Zeit, um Ihnen den Umgang mit dem Denn'bok gründlich beizubringen.
Ich sage das nur sehr ungern, aber Sie werden nicht die geringste Chance gegen einen erfahrenen Krieger wie Neroon haben."
"Ich würde gegen Neroon kämpfen..."
"Na ja..." Rhiannon druckste herum. "Das vermute ich einmal."
Sinclair schluckte schwer. "Und ich nehme an, Neroon wird es sicher ein Vergnügen sein, mich zu töten."
"Nein", sagte Ria zu seiner Überraschung. "Er denkt, dass Sie unschuldig sind. Aber das wird ihn nicht davon abhalten, Sie zu töten, wenn er gegen Sie antritt."
"Also das verstehe wer will..." murmelte der Botschafter.
Sie zuckte die Achseln und lächelte schief. "Neroon ist durch und durch ein Krieger, und er ist ohne wenn und aber bereit die Konsequenzen dafür zu tragen.
Das bedeutet auch, dass er hin und wieder Befehle ausführt, mit denen er eigentlich nicht einverstanden ist."
"Sie scheinen ihn ja gut zu kennen", stellte Sinclair fest.
Ria lachte schnaubend. "Gut genug." Sie wurde wieder ernst. "Ich muss jetzt gehen. In einer Stunde beginnt die letzte Besprechung.
Ich verspreche Ihnen, ich werde alles tun, um eine Strafe auszusetzen oder zumindest ein akzeptables Urteil zu erreichen."
Sinclair nickte. "Gut. Ich hoffe, Sie haben Erfolg."
Rhiannon stand auf. Sie verneigte sich und ging ohne ein weiteres Wort.
Erst Stunden später, am frühen Abend wurde Sinclair aus seiner Zelle geholt und ins Auditorium gebracht. Der gesamte Ältestenrat war anwesend, und natürlich auch Satai Jenimer, Rathenn, Neroon, Shakiri, Rhiannon und einige Wachen.
Shakiri wirkte überaus zufrieden. Er lächelte selbstsicher, während Neroon und Rhiannon mit versteinerten Mienen auf ihren Plätzen standen.
Die Sicherheitsleute brachten Sinclair vor Jenimer und traten dann einen Schritt zurück, blieben aber nahe genug, um ihn im Notfall packen zu können.
"Es wurde folgende Entscheidung getroffen", verkündete das gewählte Oberhaupt des Grauen Rates. "Da der Rat der Meinung ist, dass sie, Botschafter Jeffrey Sinclair, des Mordversuchs schuldig sind, dürfen Sie zum Denn?sha herausgefordert werden.
Alyt Neroon hat sich entschlossen, den Kampf auszufechten. Sollte der Botschafter gewinnen, wird er Minbar anschließend für immer verlassen."
Er sah nicht sehr glücklich aus. "Das Denn?sha soll in einer halben Stunde stattfinden. Der Ältestenrat wird Zeuge des Kampfes sein. Bis dahin wird sich der Rat zurückziehen."
Jenimer und Rathenn verließen den Saal gemeinsam. Die Mitglieder des Ältestenrat folgten ihnen. Die Wachen brachten Sinclair nach draußen.
"Es tut mir Leid", rief Rhiannon ihm zu, aber sie bekam keine Antwort.
Selten zuvor hatte sie sich so vollkommen nutzlos und unfähig gefühlt. Es war ihre Aufgabe Leuten zu helfen, wo immer sie konnte, aber dieses Mal hatte sie wirklich auf der ganzen Linie gründlich versagt. Fieberhaft überlegte Ria, was sie jetzt noch tun konnte.
Ihr fiel nur etwas ein: Sie musste unbedingt mit Satai Jenimer reden, und zwar sofort. Wenn es jemanden gab, der etwas unternehmen konnte, dann war er es.
Ohne den Wachen groß aufzufallen, ging sie durch die Korridore. Niemand hielt sie auf, als sie die Räume betrat, in die sich der Gewählte und Satai Rathenn zurückgezogen hatten.
Die beiden Satais berieten sich gerade in einem leisen Tonfall und sahen sie erstaunt an, als sie geschwind hereinhuschte.
"Riann, Kind, was machst du hier?" fragte Jenimer sanft.
Rhiannon kam näher und verneigte sich tief vor dem Oberhaupt des Grauen Rates. "Gewählter, dürfte ich Sie einen Moment sprechen?"
Er nickte mit einem leichten Lächeln. "Ja, natürlich. Du weißt doch, ich habe immer ein offenes Ohr für dich."
Sie sah ihn flehend an. "Bitte lassen Sie es nicht zu, dass Neroon gegen Botschafter Sinclair kämpft. Es käme einer Hinrichtung gleich. Lassen Sie mich statt dessen gegen Neroon antreten..."
Jenimer unterbrach sie, indem er die Hand hob. "Nein, du wirst auf keinen Fall kämpfen. Du wirst die Dinge ihren Lauf gehen lassen."
"Aber..."
"Beantworte mir eine Frage, Riann", fuhr Jenimer fort. "Denkst du, dass Botschafter Sinclair Alkohol in den Ananassaft getan hat?"
"Nein", entgegnete Ria erstaunt und runzelte leicht die Stirn. "Ich denke, der Ananassaft ist einfach nur gegoren, auch wenn ich es nicht beweisen kann. Und womöglich hat sich jemand das zunutze gemacht..."
"Dann wird ihm auch nichts passieren", entgegnete der Gewählte zuversichtlich. "Du solltest mehr Vertrauen haben. Und jetzt geh, bevor die Wachen dich hier finden."
Rhiannon öffnete den Mund um zu widersprechen. Doch dann schloss sie ihn wieder und ging wortlos, ohne sich zum Abschied zu verneigen.
Sie war völlig verwirrt. Eine solche Abfuhr hatte sie nun wirklich nicht erwartet. Zu der Verwirrung kam bald kalte Wut.
Wie konnte der Gewählte sie gerade jetzt, wo sie ihn am dringendsten brauchte, einfach so im Stich lassen?
Für einige Augenblicke überlegte sich Ria, ob sie wirklich bei dem Kampf zusehen wollte. Sie wusste ohnehin, wie das Ganze ausgehen würde.
Doch dann besann sie sich. Es nutzte ja doch nichts. Sie würde dabei sein, auch wenn es ihr nicht gefiel.
Pünktlich, aber als letzte, betrat Rhiannon das Auditorium. Sinclair und Neroon standen einander gegenüber. Beide hatten einen Kampfstab in den Händen.
Unwillkürlich fuhr Rhiannons Hand zu ihrem eigenen Denn'bok, das gefaltet am Gürtel ihrer Hose hing.
Alle warteten schon gespannt darauf, dass Satai Jenimer endlich das Zeichen zum Beginn des Denn?sha gab.
Doch der Gewählte erhob sich wortlos von seinem Platz und ging zu den beiden hinüber. Er nahm Neroon den Kampfstab aus der Hand und legte ihn vor Sinclair auf den Boden.
"Ich vergebe Ihnen", sagte Jenimer, als er sich wieder erhob. "Ich schone Ihr Leben. Und ich möchte sie bitten, dass Sie auch weiterhin als Botschafter auf Minbar bleiben werden."
"Ja... ja, natürlich", stotterte Sinclair verdattert.
Ein aufgeregtes, ungläubiges Raunen ging durch die Reihen der Kastenältesten. Aber niemand wagte es, die Entscheidung des Gewählten anzufechten.
Rhiannon lächelte gelöst, das erste Mal seit Tagen. Gleichzeitig schämte sie sich, weil sie so wenig Vertrauen zu Jenimer gehabt hatte.
Neroon schleuderte das Denn'bok elegant mit den Füßen in die Luft und fing es dann gekonnt auf. Mit einer leichten Verbeugung vor Jenimer steckte er die Waffe weg.
Dann drehte er sich mit unbewegtem Gesicht um und ging.
Shakiri folgte ihm wutentbrannt.
Ria konnte sich ein höhnisches Lächeln nicht ganz verkneifen, als Shakiri sich an ihr vorbeidrängte. Sie war nur froh, dass er es nicht sah.
Fortsetzung: Kapitel 19
Jennifer Fausek
30.10.2002
Website von Jennifer Fausek
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