Rhiannons Geschichte (2. Band): 24. Kapitel
(von Jennifer Fausek)
Wie Rathenn ihm gesagt hatte, wartete Sinclair nach dem Frühstück darauf, dass ihn jemand abholen kam. Einige Zeit geschah aber überhaupt nichts.
Sinclair setzte sich auf das rote Meditationskissen an den kleinen steinernen Altar. Er versuchte, Ordnung in das Chaos in seinem Geist zu bringen.
In der Nacht hatte er wieder schlecht geträumt. Er war so in Gedanken versunken, dass er alles um sich herum vergaß.
Doch schließlich...
"Guten Morgen, Botschafter."
Sinclair erschrak, als unvermittelt Rhiannons Stimme hinter ihm erklang. Er drehte sich schnell zu ihr um. Er hatte sie überhaupt nicht hereinkommen gehört.
Jetzt wurde ihm bewusst, dass er ihre Schritte noch nie gehört hatte. Er hatte sie bisher immer erst bemerkt, wenn sie schließlich direkt vor ihm stand.
"Was tun Sie denn hier?" fragte er.
"Würden Sie mich bitte begleiten?" Ria verneigte sich.
"Das geht nicht. Ich soll hier auf Rathenn und die Anla'Shok warten..."
Sie lachte. "Da werden Sie lange warten. Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, Sie würden die Anla'Shok selbst dann nicht erkennen, wenn sie direkt vor Ihnen stehen würden - es sei denn, sie wollen es so."
Sinclair sah sie überrascht an, als er den Sinn ihrer Worte begriff. "Was? Sie sind eine Anla'Shok?"
Rhiannon lächelte und deutete ironisch eine Verbeugung an. "Das ist richtig. Anla'Shok Riann zu Ihren Diensten."
Sie führte ihn zu einem Atmosphärengleiter ganz in der Nähe. Rathenn wartete schon im Flieger auf die beiden Menschen. Er begleitete sie zum Treffen mit Satai Jenimer.
Der Palast des Gewählten lag etwas außerhalb von Yedor in den Hügeln am Fuß des Tchok?an Gebirges. Durch die umliegenden Berge wirkte das Gebäude kleiner als es in Wirklichkeit war.
Von der Luft aus betrachtet sah der Palast atemberaubend schön aus, wie ein sorgfältig geschliffenes Juwel, das im Sonnenlicht in allen Regenbogenfarben funkelte.
Als sie langsam zum Landeanflug ansetzten, wurde sichtbar, dass der Palast aus einem hohen, schmalen Felsen heraus gebaut war.
Jeder Zentimeter der Oberfläche war auf Hochglanz poliert. Das Sonnenlicht wurde von den Flächen reflektiert. Es erzeugte ein verwirrendes Farbenspiel, so dass es schwer war, längere Zeit direkt hinzusehen.
Erst als der Gleiter über drei natürliche kristalline Zinnen hinwegflog und sie nun direkt auf die Landebahn zusteuerten, konnte Sinclair erkennen, dass die Oberflächen verziert waren.
Überall waren wunderschöne Bilder zu sehen, die bedeutende Ereignisse aus der minbarischen Geschichte zeigten.
"Seit dem tragischen Tod von Satai Dukhat wird der Palast kaum mehr benutzt", erklärte Rathenn, während sie landeten. "Denn allen ist klar, dass jemand wie Dukhat nicht so einfach ersetzt werden kann."
Sinclair nickte verstehend. Er hatte schon einiges über Dukhat, das letzte große Oberhaupt der Minbari, gehört. Er war der unangefochtene Führer der Minbari gewesen.
Dabei war der oder die Gewählte eigentlich nur dazu da, um den Grauen Rat nach außen hin zu repräsentieren, ähnlich wie die meisten Könige und Königinnen auf der Erde am Ende des zwanzigsten Jahrhundert.
Deshalb war Jenimers Position nicht so gefestigt wie die seines Vorgängers. Sein Einfluss war auch nicht so groß.
Rathenn führte Sinclair und Rhiannon in den Palast hinein. Vor dem riesigen Eingangstor standen zwei Wachen des Grauen Rates.
Ohne lange zu überlegen lief Rathenn voraus durch einen düsteren saalartigen Gang. Der Korridor endete bei einem Raum, dessen Decke sehr hoch war.
Hier war es sogar noch düsterer als im Gang.
Sinclair und Rhiannon warteten hier, während Rathenn durch eine riesige Tür in der Mauer verschwand.
Das Tor war nicht zu sehen gewesen, bevor es geöffnet wurde, denn es war nahtlos in die Wand eingefügt worden.
"Waren Sie schon einmal hier?" fragte Sinclair leise, während er sich nach einem Sitzplatz umsah. Aber es gab keinen. Der Raum war vollkommen leer.
"Nein", antwortete Rhiannon lakonisch.
Einige Minuten vergingen, und Sinclair fühlte sich zunehmend unwohl in seiner Haut. Die düstere Atmosphäre erinnerte ihn auf unangenehme Weise an seine Albträume. Wütend über sich selbst schüttelte er diese störenden Empfindungen ab.
Zur Hölle mit all dem! Er würde Satai Jenimer den notwendigen Respekt erweisen und dann auf schnellstem Weg von hier verschwinden.
Sinclair sah zu Ria, die völlig ruhig und mit unbewegten Gesichts neben ihm stand. Er fragte sich kurz, was ihr jetzt wohl durch den Kopf ging.
Da näherten sich Schritte, und Rathenn kam zurück.
"Folgen Sie mir bitte."
Sinclair und Rhiannon folgten Rathenn in ein weiteres Vorzimmer. Er hatte das Gefühl, dass seine Schritte unheimlich laut von den Wänden widerhallten.
Es war ein unheimlicher Kontrast zu Rathenns leisen Schritten. Rhiannons Bewegungen waren überhaupt nicht zu hören.
Als Rathenn die Tür hinter ihnen schloss war es für einen Moment stockfinster. Da öffnete sich die Flügeltüre vor ihnen.
Das hereinströmende Sonnenlicht blendete Sinclair im ersten Moment ein wenig. Er machte einige Schritte nach vorne, und als er sich an die Helligkeit gewöhnt hatte, fand er sich in einem unerwartet hübsch eingerichteten Raum wieder.
Der Saal hatte Fenster, die vom Boden bis zur Decke reichten und die einen atemberaubenden Blick auf die Silhouette von Yedor und die Berge am Rand boten.
Bei diesen Fenstern saß Jenimer, der Gewählte. Er sah noch gebrechlicher aus als beim letzten Mal, als Sinclair ihn gesehen hatte.
Neben Jenimer stand eine kleine verhüllte Gestalt zudem Botschafter Kosh von den Vorlonen, den Sinclair schon auf Babylon 5 kennengelernt hatte und noch ein andrer Vorlone.
Außerdem war auch noch ein schon älterer Minbari anwesend, der die gleiche Kleidung und Brosche wie Rhiannon trug. Ria begrüßte ihn, wie eine Schülerin ihren Lehrer. Sie blieb bei ihm, während Rathenn seinen Platz bei Jenimer einnahm.
Sinclair wusste nicht genau, was er jetzt tun sollte. Also blieb er mit ein wenig Abstand vor Jenimer stehen und wartete ab.
Da streifte die verhüllte Gestalt die Kapuze zurück, und Sinclair erkannte zu seiner Verblüffung Delenn, die jetzt aber halb wie eine Minbari und halb wie ein Mensch aussah.
"Botschafter Sinclair, ich danke Ihnen, dass Sie gekommen sind", sagte Jenimer. Seine Stimme hörte sich kräftig an, dabei wirkte er so schwach.
Mit diesen Worten begann das Treffen, wobei alle bis auf Jenimer standen. "Zuerst sollte ich mich für die Art und Weise entschuldigen, wie Sie hier behandelt worden sind.
Ich versichere Ihnen, normalerweise sind wir Minbari sehr viel gastfreundlicher. Es ist ja schon ein Wunder, dass Sie überhaupt zu uns gekommen sind, um mit uns zu arbeiten."
Sinclair fiel es schwer, den Blick von Delenn abzuwenden. Ihre Veränderung traf ihn wie ein Schlag. "Sie sind sehr freundlich, Gewählter, aber ich habe bereits eine Entscheidung getroffen."
Jenimer sah ihn geduldig an. "Vielleicht überlegen Sie es sich noch einmal, wenn Sie den Grund für Ihre Anwesenheit hier erfahren. Ich bin sicher, Sie haben eine Menge Fragen."
Sinclair nickte. "Die erste lautet: Warum wurde ich hier so isoliert?"
Diese Direktheit erstaunte Jenimer ein wenig. "Das war nicht allein unsere Schuld. Ihre Welt scheint Gründe zu haben, warum sie den Kontakt zu Ihnen vermeidet. Aber ich kann nicht abstreiten, dass wir unseren Vorteil aus dieser Situation gezogen haben."
Sinclair verschränkte die Arme. "Und warum?"
Er hoffte, dass er mit dieser sehr direkten Frage nicht irgendein Protokoll verletzte. Aber er hatte nicht ewig Zeit, und er wollte das alles schnell hinter sich bringen.
Jenimer nahm keinen Anstoß an dieser Unverblümtheit. Er lachte. "Ich hoffe, Sie lassen mich erst einmal alle vorstellen, bevor wir weiter reden. Rathenn, Delenn, Kosh und Rhiannon kennen sie ja bereits."
Sinclair nickte knapp, und der Gewählte wandte sich nun dem anderen Vorlonen zu. "Dies hier ist Ulkesh. Er ist der Botschafter der Vorlonen hier auf Minbar."
Sinclair musterte den Vorlonen kurz und nickte dann knapp, was soviel wie ,freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen' bedeuten sollte.
Aber Sinclair war sich nicht so sicher, ob er sich wirklich freute, Ulkesh kennenzulernen. Es ging eine unheimliche Dunkelheit von ihm aus... und Gefahr.
Es ist wichtig sich daran zu erinnern, dass jede Tür zwei Seiten hat.
Kosh hatte das gesagt. Alle Anwesenden, auch der andere Vorlone drehte sich zu ihm. Die Minbari nickten zustimmend, während Rhiannon nur ärgerlich die Lippen zusammenpresste.
Sinclair sah, wie die Vorlonen Blicke zu tauschen schienen. Es war wohl eine Art Kommunikation. Aber was hatte das zu bedeuten? War es Unstimmigkeit? Sinclair konnte es nicht sagen.
"Das ist Turval", fuhr Jenimer fort und deutete auf den alten Minbari neben Ria, "früher vom Achten Tempel von Tredomo, nun von den Anla'Shok."
Sinclair runzelte die Stirn. Das Wort ,Anla'Shok' kam ihm irgendwie bekannt vor, obwohl er es vor etwa zwei Wochen zum ersten Mal gehört hatte.
"Was wissen Sie über minbarische Geschichte?" fragte der Gewählte.
"Nicht viel", antwortete Sinclair. "Ich habe versucht einige Texte in minbarischer Schrift zu lesen, aber es war sehr schwer für mich, die Buchstaben zu entziffern."
"Dann wird Sie das jetzt sicher interessieren." Jenimer nickte Delenn zu.
Sie trat einige Schritte vor. Die Fenster hinter dem Gewählten wurden dunkel, und in der Mitte des Kreises der Anwesenden erschien ein glühendes holographisches Licht.
Sinclair sah in der Projektion glänzende, spinnenartige Schiffe, die sich kaum von der Schwärze des Alls abhoben. Sie erweckten den Eindruck, dass sie eine enorme Schlagkraft hatten. Kreuzer wie diese hatte er vor etwa sechs Jahren auch auf dem Mars gesehen.
"Einiges von dem, was ich Ihnen jetzt erzähle werden Sie vielleicht schon wissen", sagte Delenn. "Vor tausend Jahren haben wir gerade erst begonnen, den interstellaren Weltraum zu erforschen.
Plötzlich befanden wir uns mit einem uralten und intelligenten Volk im Krieg. Wir wissen nicht genau, wie das passiert ist.
Vielleicht hat eines unserer Forschungsschiffe sie aus versehen in ihrer Ruhe gestört, und wir haben so ihre Aufmerksamkeit auf uns gelenkt.
Wir wissen nur, sie waren mit einem Mal überall. Zuerst kannten wir sie nur von den Zerstörungen her, die sie anrichteten, ohne sie jemals selbst zu Gesicht zu kommen.
Deshalb haben wir sie auch die Schatten genannt. Und wie wir später sehen sollten, war der Name geradezu passend gewählt."
Die Projektion schaltete sich ab, und Delenn erzählte weiter: "Dies hier sind die einzigen visuellen Aufzeichnungen, die wir aus dieser Zeit noch haben. Der Rest wurde in den Wirren des Krieges vernichtet oder ist im Laufe der Zeit verloren gegangen."
Die Fenster wurden wieder klar, und Delenn sah zu Sinclair. "Sie haben solche Schiffe schon gesehen, nicht wahr, Botschafter?"
Sinclair zögerte. Er wusste nicht so recht, ob er wirklich offen sprechen oder doch lieber schweigen sollte. Da die Minbari auch ehrlich zu ihm gewesen waren, beschloss er, ebenfalls die Wahrheit zu sagen.
"Ja, Garibaldi und ich haben solche Schiffe auf dem Mars gefunden. Aber das ist jetzt bestimmt schon sechs Jahre her. Wir haben damals Berichte für das EarthDome geschrieben, aber niemand wollte uns glauben schenken."
"Das wundert mich nicht", meinte Delenn.
"Vor tausend Jahren haben die Schatten überall in der uns bekannten Galaxis Chaos und Schrecken verbreitet", fuhr Jenimer fort. "Minbar hat damals den Kampf gegen sie angeführt. Aber unsere Technik konnte es mit der ihren nicht aufnehmen. Wir hätten verloren, wenn wir keine Hilfe bekommen hätten."
"Von Valen", schloss Sinclair. Er wusste bereits, dass dieser legendäre Anführer der Minbari vor tausend Jahren zu seinem Volk gekommen war.
"Richtig", bestätigte der Gewählte zufrieden. "Valen brachte die Vorlonen zu uns, und außerdem eine riesige Kampfstation.
Und was noch viel wichtiger war: Er brachte uns die Hoffnung, dass wir diesen Krieg gewinnen konnten. Valen gründete den Grauen Rat. Er war auch der erste Gewählte. Zudem stellte er praktisch aus dem Nichts eine schlagkräftige Spezialtruppe auf die Beine."
"Die Anla'Shok", vermutete Sinclair.
"Ja", sagte der sichtlich erfreute Jenimer. "Oder in ihrer Sprache: Die Rangers. Es ist allerdings eine sehr ungenaue Übersetzung.
Wie auch immer, schlussendlich ist es uns gelungen, die Schatten von ihren Planeten zu vertreiben. Sie haben sich daraufhin in Verstecke zurückgezogen, und dort warten sie darauf, dass jemand sie weckt.
Und jetzt, nach tausend Jahren des Friedens ist das passiert. Die Schatten sind zurückgekehrt, Sie haben es selbst gesehen."
Er sah zu Delenn, damit sie weitersprach. "Wir denken, dass der wachsende Konflikt zwischen den Centauri und den Narn ihr Werk ist.
Wir haben versucht, die Regierungen der beiden Völker zu warnen - und auch die Erde - aber niemand wollte uns zuhören. Wir steuern direkt auf einen Krieg zu, der uns vielleicht schlussendlich alle vernichten wird."
"Wer sind die Schatten?" fragte Sinclair. Sie hatten ihm bisher alles Mögliche erzählt, nur das Wichtigste hatten sie übergangen. "Woher kommen sie? Was wollen sie?"
Alle Minbari im Raum, auch Delenn sahen plötzlich sehr betroffen aus. Rhiannon hingegen lächelte ein wenig sarkastisch, und in ihren Augen glomm eine Spur Boshaftigkeit.
"Das wissen wir nicht", entgegnete Jenimer. "Wir denken, dass es nicht wichtig ist, das zu wissen. Es reicht, dass wir wissen, dass sie Schatten Tod und Zerstörung bringen werden."
"Aber sie müssen doch einen Grund für ihr Handeln haben", bohrte Sinclair weiter. "Zerstören sie nur um zu zerstören oder wollen sie vielleicht irgendetwas? Macht? Dass wir sie vergöttern? Oder ein Universum, in dem es kein Leben außer dem ihren gibt?
Sie sind doch nicht einfach so für tausend Jahre im Nichts verschwunden. Sie müssen doch eine Geschichte haben und eine Kultur.
Vielleicht gibt es sogar interne Konflikte über die Gründe ihres Handelns oder die Handlungsweise an sich. Was wissen Sie darüber?"
"Nur das, was wir Ihnen bereits erzählt haben", sagte der Gewählte. "Dass sie ein uraltes, sehr mächtiges Volk sind und uns alle ins Chaos stürzen wollen."
"Wer hat Ihnen das gesagt?"
Als keiner der Minbari antwortete, trat Rhiannon vor ergriff nun das erste Mal in der Konferenz das Wort.
"Die Vorlonen", sagte sie in einem Tonfall, der deutlich machte, wie wenig sie von ihnen hielt.
Sinclair musterte die beiden Vorlonen. Wirklich interessant, dass die Vorlonen um die Schatten ein gleich großes Geheimnis machen wie um sich selbst.
"Na schön", brummte Sinclair dann. "Aber warum erzählen Sie mir das alles eigentlich? Damit ich das EarthDome warne? Dann..."
"Nein, das haben wir schon getan", unterbrach Jenimer ihn. "Es war sinnlos. Sie sind heute hier weil wir denken, dass Sie, Jeffrey Sinclair, eine alte Prophezeiung erfüllen können und werden."
"Einen Moment mal", begann Sinclair. Er versuchte diese Eröffnung erst einmal zu verdauen. "Ich weiß ja, dass Sie denken, ich hätte einen minbarischen Geist, aber..."
"Jeffrey, bitte", sagte Delenn sanft. "Hören Sie uns zuerst zu."
Sinclair wartete zögernd.
"Die Schatten sind nicht nur irgendeine Legende", fuhr der Gewählte fort. "Sie sind real. Zehntausend Narn sind innerhalb nur weniger Minuten ums Leben gekommen, als die Schatten ihren Außenposten in Quadrant 37 angegriffen und zerstört haben.
Millionen von Leben werden erlöschen, wenn wir nichts tun. Aber die Oberhäupter der Kriegerkaste lehnen es ab zu handeln. Wir wissen nicht warum. Aber durch ihr Veto verhindern sie, dass der Graue Rat offiziell handeln kann."
"Ich dachte, der oder die Gewählte hat die Macht, um ganz alleine Entscheidungen zu treffen, wenn es sein muss auch gegen den Willen des Grauen Rates."
"Wenn er oder sie die Unterstützung des Ältestenrates hat, dann ja." Jenimer seufzte und lächelte ein wenig traurig. "Ich bin nur eine Art... Galionsfigur des Rates. Seit Dukhats Zeiten hat sich viel geändert.
Manchen Satais wäre es am liebsten, es gäbe keinen Gewählten mehr, um selbst alle Macht zu haben. Es gibt im Moment ohnehin viele Streitigkeiten im Grauen Rat. Besonders dass ich beim Denn?sha Ihr Leben geschont habe, hat viel Aufregung verursacht."
"Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie das gemacht haben." Sinclair neigte den Kopf leicht.
Jenimer sah ihn freundlich an. "Viele Oberhäupter der Arbeiterkaste haben sich entschlossen, sich auf die Seite der Kriegerkaste zu stellen, aus welchen Gründen auch immer.
Auch innerhalb der religiösen Kaste gibt es Unstimmigkeiten. Gerade deshalb ist es auch so wichtig, die Prophezeiung zu erfüllen. Wir müssen unbedingt allen klar machen, dass es nun an der Zeit ist zu handeln."
Er nickte Turval zu, der sich daraufhin höflich vor Sinclair verneigte. "Wie Sie wissen, waren wir dabei den Krieg gegen die Schatten zu verlieren, als Valen zu uns kam.
Es lag nicht nur daran, dass wir ihnen technisch unterlegen waren, sondern auch daran, dass wir uns gegenseitig bekämpften. Jeder Clan der Kriegerkaste hatte seine eigene Streitmacht.
Sie stritten sich darüber, welcher Clan der geeignetste sei, um den Kampf anzuführen. Auch wegen der Strategie gab es immer wieder heftige Auseinandersetzungen. Das ging sogar so weit, dass sie sich bei Einsätzen immer wieder gegenseitig im Weg waren.
Viele Minbari fanden so sinnlos den Tod.
Valen sah das, und er gründete deshalb die Anla'Shok. Sie waren die besten Männer und Frauen aus allen Clans der Kriegerkaste. Sie wurden deshalb in den Bräuchen und Tradition aller Clans unterrichtet. So wurden sie vereinigt.
Außerdem lernten sie auch einige geheime Techniken.
Aber was noch wichtiger war: Die Anla'Shok schworen nicht ihrem Clan Ergebenheit, und sie kämpften auch nicht mehr in seinem Namen.
Statt dessen wurden sie auf Entil'zha vereidigt, und sie mussten versprechen, dass sie nur in seinem oder ihrem Auftrag handelten."
"Entil'zha?" fragte Sinclair.
"Die Bedeutung dieses Wortes kennt keiner", erklärte Rhiannon statt Turval. "Es stammt von den Vorlonen."
Sinclair konnte sich einen ungläubigen Gesichtsausdruck nicht ganz verkneifen. Immerhin waren hier zwei Vorlonen anwesend, die es bestimmt wussten.
Aber wahrscheinlich wollten sie diese Frage nicht beantworten. "Und Valen war demnach der erste Entil'zha?"
"Ja, Valen hat die Anla'Shok und die übrigen Streitkräfte persönlich in den Kampf geführt. Unter seiner Führung waren die Anla'Shok die erfolgreichste und schlagkräftigste Armee, die wir bis dahin kannten", sprach Turval weiter. "Allerdings wusste Valen auch um die Gefahr, die eine solch immense Stärke und Macht mit sich bringt.
Da er davon überzeugt war, dass die Schatten eines Tages zurückkehren würden, löste er die Anla'Shok nicht auf.
Aber bevor er zu den Sternen zurückkehrte, gab er ihnen andere Aufgaben, um zu verhindern, dass sie außer Kontrolle gerieten."
Sinclair erstaunte diese Redewendung ein wenig. Die Worte ,bevor er zu den Sternen zurückkehrte' wurden nur in bezug mit Valen benutzt, mit niemandem sonst.
Dieser Ausdruck war keine Bezeichnung für den Tod. Die Minbari sprachen nie von Valens Tod, genauso wenig wie von seiner Geburt. In den Legenden hieß es nur, er sei aus ferner Zukunft gekommen.
"Nach dem großen Krieg waren die Anla'Shok nur noch da, um zu beobachten, unauffällig Informationen zu sammeln und derartige Aufgaben. Sie halten aber nach wie vor ihre Bräuche und Traditionen lebendig, und sie warten auf die Rückkehr der Schatten.
Unser Oberhaupt wäre aber nur Anla'Shok Na - oder in Ihrer Sprache Ranger Eins - aber nicht automatisch Entil'zha.
Über all die Jahrhunderte hinweg haben wir die Aufgaben erfüllt, die Entil'zha uns zugeteilt hat. Aber wir sind leider nur sehr wenige.
Wir alle haben unser Bestes getan, damit die Anla'Shok weiterbestehen. Das war nicht leicht, vor allem nicht, seit unser letzter Anla'Shok Na Leronn im Krieg gegen die Erde umgekommen ist. Und seit Valen hatten wir keinen Entil'zha mehr.
Deshalb bin ich jetzt besonders geehrt und überglücklich, dass ich nun endlich nicht nur unseren neuen Anla'Shok Na sondern auch Entil'zha begrüßen kann."
Turval und auch alle anderen, selbst Rhiannon, verneigten sich vor Sinclair.
Fortsetzung: Kapitel 25
Jennifer Fausek
30.10.2002
Website von Jennifer Fausek
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