Rhiannons Geschichte (2. Band): 25. Kapitel
(von Jennifer Fausek)
"Was?" Sinclair lachte ungläubig und starrte erst Turval und dann Satai Jenimer fassungslos an. "Hören Sie, wenn Sie jetzt schon denken, Sie hätten Probleme mit der Kriegerkaste, dann warten Sie mal ab, was geschehen wird, wenn Sie denen erzählen, dass Sie mich als Anla'Shok Na und sogar als Entil'zha einsetzen wollen. Abgesehen davon bin ich mir gar nicht so sicher, ob ich diesen Posten überhaupt haben will."
"Die Prophezeiungen, die Valen für die Zeit der Rückkehr der Schatten gemacht hat, treffen genau auf Sie zu", sagte Delenn nun. "Sie sind ein Minbari nicht geboren von Minbari. Sie sind aus allen drei Kasten, aber Sie stehen trotzdem außerhalb von ihnen. Und die Person, auf die alle diese Dinge zutrifft, soll Entil'zha werden."
"Sie sind ein Minbari nicht geboren von Minbari, denn Sie haben einen minbarischen Geist", fuhr Satai Jenimer fort. "Wir haben Nachforschungen angestellt. Sie wurden für ein religiöses Leben erzogen."
"Ich war in einer religiösen Schule, die von Jesuiten geleitet wurde", protestierte Sinclair. "Ich wurde aber nie für ein religiöses Leben erzogen."
"Wie auch immer." Der Gewählte überging diesen Einwand. "Und bevor Sie zur Militärakademie gingen waren Sie zwei Jahre lang einfacher Arbeiter."
"Naja, ich bin eine Weile lang herumgezogen, und ich habe dabei alle möglichen miesen Jobs angenommen um ein wenig Geld zu verdienen..."
"Und dann sind Sie zum Militär gegangen", endete Jenimer triumphierend. "Sie stehen also außerhalb der drei Kasten und sind gleichzeitig aus allen drei Kasten."
"Sie können von mir aus glauben was Sie wollen", knurrte Sinclair ärgerlich. "Ich bin ganz bestimmt nicht hier, um irgendeine Prophezeiung zu erfüllen. Ich bin ein Mensch, ob es Ihnen nun passt oder nicht, und etwas anderes wollte ich auch nie sein."
"Jeffrey, bitte", sagte Delenn sanft. "Wir sind nicht ohne triftigen Grund zu dieser Überzeugung gekommen. Wir haben die Prophezeiungen seit..."
Sie zögerte und sah plötzlich ein wenig verlegen aus. Seit wir sie gefangengenommen, gefoltert und mit dem Triluminary gescannt haben... klang in der Stille. "Seit Ende des Krieges studiert. Wir sind uns absolut sicher, dass unsere Erkenntnisse auf Logik basieren."
"Der Priester, der mich in der ersten Klasse unterrichtete hatte ein Sprichwort: Logik ist eine systematische Methode, um mit Zutrauen zu falschen Erkenntnissen zu gelangen."
"Unsere Erkenntnisse sind nicht falsch", sagte Jenimer. "Sie haben einen minbarischen Geist, Wie es aussieht sogar Valens."
"Das mag ja sein, aber jetzt bin ich ein Mensch", erwiderte Sinclair fest. "Und vielleicht wurde mein minbarischer Geist in einem menschlichen Körper wiedergeboren, weil ich jetzt ein Mensch und kein Minbari mehr sein will. Wie können Sie dann von mir erwarten, dass ich die Aufgabe eines Minbari übernehme?"
"Wir interpretieren das nicht so..." hielt Delenn ihm entgegen.
"Genau darauf wollte ich hinaus." Sinclair runzelte die Stirn. "Dinge können verschieden interpretiert werden. Es gibt keine absolute Sicherheit."
Rhiannon machte ein paar Schritte in seine Richtung, und in ihren Augen glitzerte Wut. "Ja, aber es ist sicher, dass die Schatten existieren und dass sie gewalttätig sind. Ich weiß das, denn ich bin ihnen schon einmal begegnet. Ich hatte verdammtes Glück, dass ich das überlebt habe. Und ich sage Ihnen, wir müssen etwas unternehmen, sonst werden sie uns eines Tages alle vernichten."
Sie musterte ihn so zornig, dass er unwillkürlich einen Schritt zurückwich. "Mein Mann denkt, sie wären ein Held.
Für mich sind Sie nur ein ausgebrannter Soldat, der vergessen hat, wofür es sich lohnt zu kämpfen, zu leben und wenn nötig zu sterben. Hier geht es nicht nur um einen Krieg, den wir gewinnen wollen, sondern um die Zukunft von uns allen.
Wir müssen Menschen und Minbari zusammenbringen, sonst werden wir nicht stark genug sein. Aber glauben Sie im Ernst, außer Will und mir würde noch ein Mensch bereit sein, einem Minbari zu folgen?"
Turval kam zu ihr und legte ihr beschwichtigend die Hand auf die Schulter, damit sie sich wieder beruhigte. "Sie hat nicht ganz unrecht. Es gibt wirklich nicht viele Menschen die bereit wären, einem Minbari zu folgen."
"Aber die Minbari und auch Will und ich werden Ihnen folgen, Botschafter", brummte Ria immer noch sehr verstimmt. "Denn Sie können die Prophezeiung erfüllen. Es ist dabei völlig unwichtig, ob die Weissagungen nun auf Sie zutreffen oder nicht.
Was zählt ist allein das Vertrauen. Und das haben die Minbari zweifellos und mein Mann und ich ebenfalls."
"Es erstaunt mich, dass Sie das sagen, Rhiannon", entgegnete Sinclair und versuchte, seine Stimme fest klingen zu lassen. Es gelang ihm nicht besonders gut. "Ich dachte immer, Sie mögen mich nicht besonders."
"Stimmt nicht ganz, ich vertraue Ihnen." Ria musterte ihn fest. "Auch wenn ich es Ihnen nicht gezeigt habe."
Sie blickte zu Ulkesh hinüber. "Abgesehen davon ist Sympathie zwischen Verbündeten nicht unbedingt erforderlich", sagte sie trocken, und Sinclair wusste, dass sie nicht ihn damit meinte. "Das sollten Sie wissen. Es reicht schon, wenn sie das gleiche Ziel haben." In ihren Mundwinkeln zuckte es. "Meistens jedenfalls."
Sie sah im jetzt direkt in die Augen. "Ich sage ihnen, ich werde alles dafür tun, damit mein Kind nicht den Schatten in die Hände fällt.
Ich habe nämlich bestimmt nicht all die Unannehmlichkeiten in der Schwangerschaft und die Schmerzen während zwölf Stunden Wehen, als ich sie geboren habe, auf mich genommen, nur damit ihr Leben jetzt zerstört wird."
Sie klang jetzt nicht mehr kalt, sondern flehend. "Wir brauchen Sie, wenn wir überhaupt eine Chance haben wollen, für uns und alle anderen eine Zukunft zu schaffen."
Sinclair holte erst einmal tief Luft. Was Rhiannon da gesagt hatte, gab ihm zu denken. "Wie können Sie so sicher sein, dass ich der Richtige für diese Aufgabe bin?"
"Weil Sie der einzige sind, der in Frage kommt", erklärte Jenimer. "Nicht nur, dass die Prophezeiungen genau auf Sie zutreffen, Sie verfügen auch noch über die nötige Erfahrung, um es zu schaffen. Sie sind die perfekte Wahl für diese Aufgabe."
Er schüttelte den Kopf leicht. "Abgesehen davon sind alle Prophezeiungen schwer zu glauben, bevor sie sich erfüllen."
Sinclair musste lachen. Dieser Ansatz von Humor machte ihm Jenimer noch sympathischer. Er überlegte. "Na schön, aber wenn ich diese Aufgabe übernehme, müssen wir von Anfang an Klartext miteinander reden."
Zum ersten Mal seit Beginn des Gespräches zeigte sich Hoffnung im Gesicht des Gewählten. "Dann werden Sie uns also helfen und die Anla'Shok anführen?"
"Wenn ich mich dazu bereit erkläre, muss ich Ihnen vertrauen können, genauso wie Sie in der Lage sein müssen, mir zu vertrauen", entgegnete Sinclair fest.
"Natürlich", antwortete Delenn und erlaubte sich ein Lächeln. "Das ist Voraussetzung."
Noch einmal atmete Sinclair tief durch. "Ich werde die Rangers unter einer Bedingung anführen: Sie werden mich als voll menschlichen Anla'Shok Na und Entil'zha akzeptieren müssen.
Denn genau das bin ich: Ein Mensch, nicht mehr und nicht weniger, genau wie jeder andere Mensch auch. Wenn Sie damit leben können, werde ich tun, was Sie von mir verlangen."
Die Minbari tauschten Blicke.
"Wir sind einverstanden", sagte Satai Jenimer schließlich.
Er sah zu Rhiannon. "Riann hat uns einmal erzählt, dass es bei Menschen üblich ist, eine Übereinkunft mit einem Handschlag zu besiegeln, als Zeichen der Freundschaft und des guten Willens."
Er streckte Sinclair die Hand entgegen, eine unerwartete Geste, die Sinclair sehr freute. Der Gewählte und der zukünftige Entil'zha schüttelten sich die Hände.
Es ist wichtig für den Pfeil sich daran zu erinnern, dass er das Ziel nicht auswählt.
Ulkesh hatte das gesagt, und Sinclair musterte ihn scharf. Er konnte es beim besten Willen nicht ändern, er mochte diesen Vorlonen einfach nicht. Diese Worte hatten wie eine Herausforderung geklungen.
Das hängt einzig und allein davon ab, welchen Pfeil du auswählst. Der weise Schütze erinnert sich daran.
"Wie werden geeignete Leute für die Rangers überhaupt ausgewählt?" fragte Sinclair ungeduldig und unterbrach den Streit zwischen den beiden Vorlonen damit.
"Nach alter Tradition dürfen nur Mitglieder der Kriegerkaste den Anla'Shok beitreten, oder solche, die zum Dienst in der Kriegerkaste berufen wurden", antwortete der Gewählte.
"Auch ehemalige Mitglieder der Arbeiterkaste?" fragte Sinclair.
"Das würde die Kriegerkaste nicht akzeptieren", erwiderte Rathenn.
"Es heißt, Valen hätte Mitglieder der Arbeiterkaste in den Reihen seiner Anla'Shok aufgenommen", warf Delenn nachdenklich ein.
"Dafür gibt es keinen Beweis", sagte Rathenn bedauernd.
"Wenn ich das Oberhaupt der Rangers sein soll, müssen auch Mitglieder der religiösen Kaste und der Arbeiterkaste bei uns dienen dürfen."
"Das könnte schwierig werden..." begann Jenimer.
"Ich bin nicht bereit in diesem Punkt irgendeine Art von Kompromiss zu machen." Sinclair verschränkte die Arme. "Ich muss unter den besten Leuten auswählen können, ganz gleich aus welcher Kaste sie stammen."
"Also schön", lenkte der Gewählte ein. "Wir werden sehen was sich machen lässt."
"Und was ist mit den menschlichen Kandidatinnen und Kandidaten?" wollte Sinclair wissen. "Wie sollen wir herausfinden wer geeignet ist und wer nicht?"
"Das ist eine sehr gute Frage", entgegnete Jenimer ein wenig ratlos. "Wir dürfen nicht zuviel Aufmerksamkeit auf uns lenken. Es sollen so wenig wie möglich etwas von den Anla'Shok wissen."
"So viel zu einer Anzeige im Universe Today", brummte Sinclair. "Aber wie erreichen wir dann geeignete Menschen?"
"Ich würde sagen, wir fangen mit denen an, die bereits auf Minbar sind", schlug Delenn vor. "Wir haben ein ausführliches Profil von allen, und Sie und Ria haben schon mit vielen von ihnen persönlich gesprochen."
"Ah." Jetzt verstand Sinclair. "Deshalb sollte ich so viele Menschen wie möglich treffen. Um die geeigneten auszusondern. Und deshalb wurde mir Rhiannon als Attaché zugeteilt."
"Ja." Jenimer nickte leicht. "Ich möchte Sie darum bitten, dass Sie auch weiterhin mit so vielen Menschen wie möglich reden.
Diejenigen von ihnen, die dann zu uns kommen werden, können später vertrauenswürdige Familienmitglieder und Freunde ansprechen."
"In Ordnung. Dann wäre das ja geklärt", entgegnete Sinclair zufrieden.
Damit war das Treffen offiziell vorbei. Die anderen sagten Sinclair, dass sie jetzt bis zu den Tagungen des Grauen Rates und des Ältestenrates ohnehin nichts mehr tun konnten.
Rathenn und Jenimer würden mit dem Grauen Rat sprechen, um die Aufrüstung der Rangers zu erbitten.
Turval musste wieder zurück zur Basis der Anla'Shok. Da er für das Training verantwortlich war, hatte er keine Zeit, um zu den Treffen mit dem Rat zu kommen.
Dafür hatte Rhiannon darum gebeten, bei den Debatten vor dem Ältestenrat dabei sein zu dürfen, und sie hatte die Erlaubnis bekommen.
Sinclair nahm ebenfalls an den Sitzungen teil. Allerdings wurde er offiziell nur als Zuschauer geduldet.
Die Vorlonen verließen den Raum als erste, gefolgt von Delenn, Rhiannon und Sinclair.
"Ich kann leider nicht bis zu den Anhörungen vor den Räten bleiben", sagte Delenn, die sich bei Ria untergehakt hatte. "Ich muss sofort zurück nach Babylon 5."
"Wie geht es Garibaldi?" fragte Sinclair sie, was er schon lange wissen wollte.
"Es geht ihm gut", antwortete Delenn. "Er wird sich vollständig von seinen Verletzungen erholen. Er kann sogar schon wieder arbeiten."
Sie gingen durch das riesige Portal hinaus ins Freie. Delenn lächelte bedauernd, als sie den Piloten sah, der schon auf sie wartete. Er würde sie jetzt gleich zum Raumflughafen bringen.
"Ich muss gehen", sagte sie.
Sie verabschiedete sich mit einer Umarmung von Ria. Dann sagte sie Sinclair mit einem herzlichen Händedruck ,auf Wiedersehen'.
Delenn und der Pilot stiegen in einen der Flieger. Der Gleiter hob ab und kam außer Sichtweite, als er über die drei Zinnen hinwegflog.
Fortsetzung: Kapitel 26
Jennifer Fausek
30.10.2002
Website von Jennifer Fausek
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