Rhiannons Geschichte (2. Band): 26. Kapitel
(von Jennifer Fausek)
"Wir können uns doch nicht von einem unbedeutenden Menschen abhängig machen." Sinclair fand es bemerkenswert, wie viel Gehässigkeit Alyt Neroon in das Wort ,Mensch' legte.
Sinclair war dem Krieger schon des öfteren begegnet. Das erste Mal waren sie sich ohne sich zu kennen im Krieg zwischen Menschen und Minbari gegenübergestanden.
Und wann immer sich bisher ihre Wege (oder sollte es vielleicht besser heißen: Klingen?) gekreuzt hatten, waren sie jedesmal nahe daran gewesen einander gegenseitig zu töten.
"Ich will den Grauen Rat auf keinen Fall beleidigen", fuhr Neroon fort und verneigte sich in Richtung der Mitglieder des Grauen Rates, die im Schatten saßen.
Rathenn war bei ihnen. Er hatte, wie die anderen Satais, sein Gesicht mit seiner grauen Kapuze verhüllt. Ein leerer Stuhl zeugte von Delenns Abwesenheit.
"Ich glaube, dass ich den Grauen Rat sogar noch mehr respektiere als Satai Rathenn und mit Sicherheit mehr als Satai Delenn, die - das möchte ich betonen - es offenbar nicht für nötig hielt, uns heute mit ihrer Anwesenheit hier zu ehren. Sie zieht es statt dessen vor, ihre Zeit mit Menschen auf Babylon 5 zu verbringen."
Es gab aufgeregtes Gemurmel unter den Kastenältesten. Die Mitglieder des Grauen Rates saßen immer noch schweigend da, wie unbewegliche Statuen.
Jenimer saß auf einem Stuhl zwischen den Bereichen des Grauen Rates und des Ältestenrates, die miteinander einen großen Kreis bildeten. Jenimer war als einziges Mitglied des Grauen Rates nicht verhüllt.
Sinclair stand rechts, ein wenig hinter dem Gewählten und hatte die Hände auf den Rücken gelegt. Ulkesh war links von Jenimer und hielt sich dezent zurück.
Rhiannon stand hinter den Kastenältesten nahe des Durchgangs zur Mitte des Auditoriums. Niemand nahm Notiz von ihr, und so dachte bald keiner mehr daran, dass sie überhaupt anwesend war.
Ria hatte die Arme verschränkt und blickte finster zu Neroon, aber sie ließ sich nicht von ihm provozieren.
Neroon wusste diese einmalige Chance vor dem Grauen Rat sprechen zu können nur zu gut zu nutzen. Es gab nicht viele solche Gelegenheiten, denn der Rat besuchte Minbar fast nie.
Neroon benutzte abwechselnd sowohl den Dialekt der Kriegerkaste als auch den der religiösen Kaste, um so seinen Standpunkt besser darbringen zu können.
"Satai Rathenn versucht sich über die Mehrheit im Grauen Rat hinwegzusetzen, die der Meinung ist, dass es noch nicht an der Zeit ist, die Anla'Shok für den Krieg zu rüsten. Und es beleidigt uns alle, dass er uns weismachen will, ein Mensch..."
Zum ersten Mal seit dem Beginn der Konferenz schenkte Neroon Sinclair Beachtung. Er deutete abfällig auf ihn. "...soll Entil'zha werden und Valen nachfolgen.
Satai Rathenn meint, die alten Texte beziehen sich auf einen Minbari nicht geboren von Minbari, also auf einen Außenweltler, der unsere Lebensweise angenommen hat.
Aber die Mehrheit unserer Gelehrten denkt, dass mit diesen Worten ein Minbari gemeint ist, der nicht auf Minbar geboren wurde, sondern in einer unserer Kolonien oder auf einem Schiff."
Rhiannon konnte sich ein höhnisches Lächeln nicht ganz verkneifen. Sie hatte einmal gehört, dass Neroon selbst auf einem Kriegsschiff geboren worden war.
"Es kann und darf nicht sein, dass ein Außenweltler, noch dazu ein Mensch, Macht in die Hände bekommt, die nur einem sorgfältig ausgewählten Minbari gebührt."
Sinclair schüttelte den Kopf leicht. So viel zum Vertrauen der Minbari, dachte er mit einem Anflug von Sarkasmus.
"Sehen Sie sich ihn an", sagte Neroon unvermittelt. "Wie selbstgefällig er da steht, wo kein Mensch je sein sollte. Wieviele Beleidigungen sollen wir uns von ihm noch gefallen lassen?"
Neroon machte auf dem Absatz kehrt und ging einige Schritte in Richtung der Kastenältesten. "Es wäre eine Beschmutzung des Titels Entil'zha und des Namens Valens, wenn Sie einem Menschen erlauben würden, diese bedeutende Stellung einzunehmen. Es wäre das beste, wir würden ihn dorthin zurückschicken, von wo er gekommen ist."
Sinclair bewunderte das Vertrauen und die Leidenschaft mit der Neroon sprach. Dagegen hatte Rathenns Rede trocken und nüchtern gewirkt. Und Rhiannon hatte es bisher noch nicht für nötig gehalten, etwas zu der ganzen Diskussion beizutragen.
"Sie sollten dem Botschafter jetzt eine Möglichkeit geben zu antworten, Alyt." Jenimer sah ihn ruhig an.
"Gewählter." Neroon versuchte gleichzeitig schockiert und dennoch ergeben zu klingen. "Es ist nur ein Außenweltler. Gemäß unserer Tradition hat er überhaupt kein Recht hier zu sprechen, es sei denn, seine Aussage würde von uns verlangt. Da das nicht der Fall ist, ist er lediglich ein geduldeter Beobachter."
"Es steht nirgends geschrieben, dass es einem Außenweltler verboten ist, hier zu sprechen", hielt der Gewählte ihm gelassen entgegen.
"Aber ein Mensch..."
"Mir werden Sie eine Anhörung nicht verweigern können", unterbrach Rhiannon ihn. Es kam so unerwartet, dass ein Raunen durch die Menge ging.
Neroon starrte sie überrascht an. Auch alle anderen richteten ihren Blick nun auf sie.
Ria ging auf ihn zu, und neben dem riesigen, kräftigen Krieger wirkte sie trotz ihrer Kraft klein und zerbrechlich.
"Ich bin keine Außenstehende." Als ihr niemand widersprach, atmete sie tief durch. "Alyt Neroon ist ein verdienter und angesehener Krieger. Ich respektiere ihn."
Ungläubiges Gemurmel erklang, vor allem aus der Kriegerkaste. Es war allgemein bekannt, dass es zwischen ihnen Differenzen gab.
Rhiannon blickte Neroon von der Seite an und bemerkte zu ihrer Zufriedenheit, dass er sich noch immer nicht von seiner Überraschung erholt hatte. Sie ließ die Worte ein wenig wirken, bevor sie weitersprach.
"Aber er versteht nicht viel von Prophezeiungen, immerhin ist er Krieger und kein religiöser Gelehrter."
"Du irrst dich." Neroon musterte sie durchdringend und mit Verachtung. Er fasste sich wieder. "Ich habe eine Ausbildung im Tempel genossen. Ich habe das Wissen eines Gelehrten. Wenn ich wollte könnte ich ein Priester sein."
Ria zuckte zusammen. Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie überlegte schnell. "Dann müssen Sie auch wissen, dass es keinen Minbari gibt, der bereits in allen drei Kasten gedient und die nötige Erfahrung hat, um die Anla'Shok zu führen. Oder haben Sie schon in der Arbeiterkaste gedient, Alyt?"
Sie sah ihm direkt in die Augen. Es war eine ungeheure Respektlosigkeit, die Neroon auch als solche auffasste. Er war viel zu erregt, um zu antworten.
"Sinclair ist der einzige, der für diese Aufgabe in Frage kommt, das sagt auch Sech Turval. Die Anla'Shok werden das mit der Zeit genauso sehen. Ich werde ihn jedenfalls unterstützen. Wenn es sein muss, werde ich sogar mein Leben für ihn einsetzen."
"Wie kannst du es wagen!" Neroon baute sich drohend vor ihr auf. "Ich werde es nicht zulassen, dass du uns hier alle lächerlich machst!"
"Und ich werde nicht zulassen, dass Sie die Arbeit der Anla'Shok zunichte machen!" Rhiannon ließ dieser Versuch sie einzuschüchtern völlig kalt.
Sie wandte sich wieder den Kastenältesten zu. Sie ging ein paar Schritte auf sie zu und von Neroon weg. "Es ist wahr, Sinclair wurde noch nicht in seine Ämter eingeführt, aber wollen Sie ihm, Entil'zha, verbieten sich zu äußern?"
Die letzten Worte hatten wie ein Schnurren geklungen.
"Richtig. Wir können ihn nicht einfach wie einen gewöhnlichen Außenweltler behandeln", stimmte eine Älteste aus der religiösen Kaste zu. "Es soll eine Chance bekommen sich zu äußern."
Widerwillige Zustimmung folgte aus den Reihen der Kastenältesten.
"Sie können sprechen", sagte Jenimer mit einem kleinen Lächeln. Er drehte sich zu Sinclair um und nickte ihm aufmunternd zu.
Rhiannon und Neroon traten beiseite. Sinclair ging langsam in die Mitte des Auditoriums und suchte dabei nach geeigneten Worten in der Sprache der Kriegerkaste, die er am besten beherrschte. Immerhin wusste er nicht, wieviele der Ältesten Erdstandard verstanden.
Er fragte sich kurz, warum er jetzt doch vor den Rat treten durfte, war ihm doch ausdrücklich gesagt worden, dass das unmöglich sei.
"Ich muss Alyt Neroon Recht geben." Das brachte ihm Neroons volle Aufmerksamkeit ein. Sinclair wählte seine Worte sorgsam und mit Bedacht. "Auf die Gefahr hin, meine Freunde im Grauen Rat und im Rat der Kastenältesten zu verärgern, aber ich denke auch nicht, dass ich diese Prophezeiung erfüllen soll. Ich glaube ja nicht einmal, dass ich einen minbarischen Geist habe.
Und es ist auf jeden Fall ein gewagter Schritt, mich als Oberhaupt der Anla'Shok und sogar als Entil'zha vorzuschlagen."
Er wechselte abrupt in die Sprache der religiösen Kaste. "Aber nichtsdestotrotz bin ich bereit, den Anla'Shok zu dienen, so gut ich es vermag. Denn wie Valen schon sagte: ,Auch ein Oberhaupt muss dienen können.'"
Erstauntes, erfreutes Gemurmel erklang.
Neroon wischte diese Worte mit einer Geste beiseite und trat einige Schritte auf ihn zu. "Die Menschen haben ein Sprichwort", rief er mit lauter Stimme auf Erdstandard. ",Selbst der Teufel kann aus der Bibel zitieren.'"
Sinclair war beeindruckt. Er hätte nie gedacht, dass Neroon so gut über die menschliche Kultur Bescheid wusste.
"Das hier ist keine Frage der Religion, sondern eine Frage des Überlebens", hielt Sinclair ihm entgegen. "Sie wissen, wozu die Schatten fähig sind, immerhin haben Sie vor tausend Jahren schon Krieg gegen sie geführt."
Er holte tief Luft. "Ich vertrete hier all die Menschen, die Ihnen in diesen schweren Zeiten beistehen und Seite an Seite mit Ihnen kämpfen wollen."
Neroon lachte höhnisch. "Wie wollt ihr Menschen uns denn helfen? Indem ihr uns in den Rücken fallt? Menschen sind nicht vertrauenswürdig, das haben sie deutlich genug gezeigt.
Gleich bei unserem ersten Zusammentreffen haben sie uns hinterrücks überfallen und dabei unser verehrtes Oberhaupt Satai Dukhat getötet.
Und während des Krieges haben sie ihre Siege nicht auf ehrliche Weise erlangt, sie haben immer wieder zu schmutzigen und feigen Tricks gegriffen. Wie zum Beispiel als sie die Schwarzer Stern zerstörten.
Und es ist eine Ungeheuerlichkeit, dass Captain John Sheridan, der für die Vernichtung der Schwarzer Stern verantwortlich ist, jetzt das Kommando über Babylon 5 erhalten hat."
"An der Zerstörung der Schwarzer Stern war die Arroganz ihres Kommandanten ebenso sehr Schuld wie Sheridans Taktik", erwiderte Sinclair mit gleichmäßiger Stimme. "Das wissen Sie ebenso gut wie ich. Aber es ist ja immer einfacher, dem Feind die Schuld zu geben, statt selbst die Verantwortung zu übernehmen."
Sinclair blickte über die Reihen der Kastenältesten. "Ich schäme mich für die Verbrechen, die während des Krieges von Menschen begangen worden sind.
Aber es darf nicht das gesamte menschliche Volk für die Taten einiger weniger Menschen verantwortlich gemacht werden oder das gesamte minbarische Volk für die Greueltaten einiger weniger Minbari. Denn wieviele Leben wurden dadurch schon ausgelöscht? Wieviel Leid hat es schon über uns alle gebracht?"
Sinclair wusste genau, dass die Minbari nur einen derartig erbarmungslosen Krieg gegen die Erde geführt hatten, weil sie alle Menschen für die Taten von einigen wenigen verantwortlich gemacht hatten.
Aber als ihr Zorn schließlich abgeklungen war, bereuten viele Minbari, was geschehen war, und sie schämten sich sogar dafür.
Und genau das wollte sich Sinclair nun zunutze machen. "Während des Krieges hat es auf beiden Seiten viel Unrecht gegeben. Ich denke, wir haben lange genug gegeneinander gekämpft.
Vielleicht ist es jetzt an der Zeit miteinander zu reden und nach einem Weg zu suchen, um unsere Differenzen endlich beizulegen."
Nun machte Sinclair eine kleine kunstvolle Pause und wechselte dann nach sorgfältiger Überlegung in den Dialekt der Arbeiterkaste.
"Ich bin im Geiste des Friedens und der Freundschaft nach Minbar gekommen, um mit allen Minbari zu arbeiten."
Sinclair war zufrieden, dass er damit offenbar genau das Richtige gesagt hatte. Die Ältesten aus der Arbeiterkaste schienen sich über diese Worte zu freuen.
"Und selbst wenn ich die Prophezeiung nicht erfüllen soll, bin ich doch bereit zu lernen. Ich werde die Anla'Shok nach bestem Wissen und Gewissen führen, wenn es Ihr Wunsch ist, und sie auf den Krieg vorbereiten.
Auf meiner Heimatwelt gab es im Laufe der Geschichte viele Organisationen mit dem Namen Rangers, wie die Anla'Shok in meiner Sprache genannt werden. Sie alle sorgten für Frieden und verteidigten die Freiheit.
Nun sind Friede und Freiheit in Gefahr. Wenn sich ein Krieg nicht vermeiden lässt, werden wir kämpfen. Aber wir dürfen dabei nicht unnötig Blut vergießen.
Wir müssen versuchen, so viele Leben wie möglich zu retten. Und zwar alles Leben, selbst das der Schatten. Ich denke, genau das wollte Valen.
Jetzt stellen sich nur noch zwei Fragen: Werden Sie mir erlauben die Anla'Shok auf den Krieg vorzubereiten? Und werden Sie den Menschen und allen Minbari, auch denen aus der Arbeiterkaste erlauben, die Rangers in jeder Form zu unterstützen?"
Stille breitete sich aus, die bald unangenehm zu werden begann. Sinclair fragte sich kurz, ob er nicht vielleicht mehr gesagt hatte, als gut war.
Dann hörte er, wie Neroon langsam und spöttisch klatschte. "Das war ja eine nette kleine Rede, Botschafter, wirklich gut gesprochen. Ich bin froh, dass Sie zugeben, dass Sie kein Minbari sind und dass Sie nicht die Person sind, die diese Prophezeiung erfüllen wird.
Aber Ihnen fehlt jeglicher Respekt für die minbarischen Traditionen. Menschen und Mitglieder der Arbeiterkasten können niemals zu den Anla'Shok gehören!"
Sinclair sah zuerst zu den Ältesten aus der Arbeiterkaste, die mit steinernen Mienen auf ihren Plätzen saßen und dann zu Rhiannon, die diesmal aber ganz offensichtlich nicht die Absicht hatte, ihm zu helfen.
"Das ist nicht wahr. Ich respektiere das minbarische Volk, auch wenn Sie diesen Respekt nicht erwidern." Sinclair versuchte, seine Stimme gleichmäßig klingen zu lassen. "Valen hat die Arbeiterkaste den beiden anderen Kasten gegenüber für gleichgestellt erklärt."
"Sie sind gleichgestellt, ja", gab Neroon zu. "Aber sie müssen ihre Aufgaben erfüllen. Wer würde denn die ganze Arbeit machen, wenn die Mitglieder der Arbeiterkaste plötzlich alle zur religiösen oder zur Kriegerkaste übertreten würden?
Unsere Gesellschaft würde zusammenbrechen. Und selbst Valen hat den Mitgliedern der Arbeiterkaste nicht erlaubt, den Anla'Shok beizutreten."
"Nur ganz am Anfang", hielt Sinclair ihm entgegen. "Später hat er den Mitgliedern der Arbeiterkaste sehr wohl erlaubt, den Anla'Shok beizutreten. Erst nachdem Valen zu den Sternen zurückgekehrt ist, wurde es ihnen wieder verboten."
"Das ist nur ein Mythos", brummte Neroon abfällig. "Das ist von keinem achtbaren Gelehrten jemals anerkannt oder gar bestätigt worden."
"Vielleicht glauben Sie nur an Mythen, wenn es Ihnen dienlich ist", schnappte Sinclair zurück, bevor er darüber nachgedacht hatte, was er Neroon da an den Kopf warf.
Als diese Worte verklungen waren, blinzelte Sinclair überrascht, als er etwas Merkwürdiges feststellte: Er respektierte Neroon trotz allem, denn der Krieger sagte ja nur gerade heraus was er dachte, ohne Ausflüchte oder halbe Wahrheiten.
Neroon schien nicht minder verblüfft zu sein. Er starrte Sinclair an, zu aufgebracht, um auf der Stelle zu antworten.
"Ich denke, wir sollten uns jetzt beraten", sagte Jenimer freundlich und beendete die Diskussion damit. "Es ist an der Zeit, dass wir eine Entscheidung fällen."
Eine Tür ging auf und eine junge Akolythin des Gewählten kam herein. Sie brachte Sinclair und Rhiannon in die Vorhalle, denn sie durften bei den anschließenden Beratungen nicht dabei sein. Neroon und Ulkesh hingegen blieb im Auditorium.
"Sie hätten mich ruhig mehr unterstützen können", brummte Sinclair.
Er ließ sich mit einem erleichterten Aufatmen in einen Stuhl fallen. Er genoss es, das erste Mal nach Stunden wieder sitzen und die Füße ausstrecken zu können.
Rhiannon, der das lange Stehen offenbar nicht viel ausgemacht zu haben schien, ließ sich in Meditationspose auf dem Boden neben ihm nieder.
"Ich habe getan was ich konnte", entgegnete sie ungerührt. "Ich bin bei den Räten nicht unbedingt sehr beliebt. Außerdem weiß ich nicht, was Sie wollen. Sie sind doch auch ohne mich ganz gut zurechtgekommen."
"Sie hätten zumindest etwas sagen können, als es um Menschen bei den Anla'Shok ging. Immerhin sind Sie und auch ihr Mann Mitglieder der Anla'Shok, obwohl Sie beide Menschen sind."
Ria winkte ab. "Das zählt nicht. Will und ich gehören zu Delenns Clan. Sie konnten uns deshalb nicht abweisen."
Sinclair presste die Lippen zusammen und verzichtete auf eine Antwort. Jede weitere Diskussion war jetzt ohnehin reine Zeitverschwendung.
Je länger die Beratungen andauerten, desto nervöser wurde Sinclair. Er wusste, dass im Grauen Rat die drei Mitglieder der religiösen Kaste ihre Unterstützung zusagen würden.
Die Kriegerkaste würde ganz sicher jede Hilfe von vorhinein verweigern.
Es fragte sich nur, wie sich die drei Mitglieder der Arbeiterkaste entscheiden würden. Deren Position war nach wie vor unklar.
Draußen ging inzwischen die Sonne hinter den Bergen unter, und die beiden Monde, die Minbar umkreisten, stiegen immer höher.
Ein Stern nach dem anderen leuchtete in der Dämmerung auf. In Yedor gingen nun überall die Lichter an.
Die Beratungen dauerten nun schon seit Stunden an, und Sinclair wünschte sich, die Minbari würden sich ein wenig beeilen.
Schließlich kam Ulkesh, der Botschafter der Vorlonen auf Minbar, um ihn und Rhiannon ins Auditorium zu bringen.
Es ist Zeit. Es beginnt jetzt. Vergesst alles außer das, sagte er. Dann glitt er davon, ohne die beiden Menschen weiter zu beachten.
Als sie das Auditorium betraten, schien sich nichts geändert zu haben. Die Ältesten und der Graue Rat saßen, nur Neroon stand. Sinclair und Ria stellten sich ihm gegenüber, während sich Ulkesh unauffällig im Hintergrund hielt.
Statt Hochmut und Verachtung zeigte sich nun Zorn und Enttäuschung in Neroons Gesicht. Er musterte die zwei Menschen kalt.
"Es wurde beschlossen, dass von nun an Menschen den Anla'Shok beitreten dürfen", verkündete Jenimer. "Das gilt auch für die Mitglieder der religiösen und der Arbeiterkaste. Sie dürfen den Anla'Shok ab sofort ohne Einschränkungen beitreten. Sie müssen dafür auch nicht mehr wie bisher ihre Kaste wechseln.
Ferner werden die Anla'Shok mit sofortiger Wirkung in militärische Bereitschaft versetzt. Dieser Beschluss ist bis auf weiteres unwiderrufbar.
Die Ausbildung wird von jetzt an auf drei Monate verkürzt. Es gibt deshalb auch keine Trainingspausen mehr. Das gilt so lange, bis wir genügend Leute haben und die Probleme mit den Schatten gelöst sind.
Etwas dürfen wir dabei nicht vergessen: Wir dürfen nicht diejenigen sein, die diesen Krieg beginnen. Die Anla'Shok werden auch weiterhin nur beobachten, Informationen sammeln und unseren Freunden und Verbündeten helfen, wenn es nötig ist.
Aber sie werden nichts tun, was die Aufmerksamkeit der Schatten oder der anderen Völker auf uns lenken könnte.
Wer gegen diese Bestimmungen verstößt, wird die Konsequenzen dafür zu tragen haben. Welche das sind, wird vom Grauen Rat und dem Ältestenrat und in weiterer Folge von den Anla'Shok selbst von Fall zu Fall entschieden."
"Einverstanden", entgegnete Sinclair.
Neroon trat auf ihn zu. "Sie werden vorläufig nur als Anla'Shok Na eingesetzt. Ob Sie würdig sind, den Titel Entil'zha zu tragen, werden wir dann noch sehen."
"Damit bin ich auch einverstanden."
Neroon verneigte sich knapp vor Satai Jenimer und verließ die Halle dann durch das hintere Tor, das zwei der Wachen rasch vor ihm öffneten.
In absoluter Stille gingen dann erst die Kastenältesten, und die Mitglieder des Grauen Rates, bis auf Jenimer, folgten ihnen gleich darauf.
Auch Rhiannon blieb mit ihm zurück.
Und Ulkesh wartete weiterhin im Hintergrund.
Sinclair wusste nicht genau, was jetzt von ihm erwartet wurde. Er hatte zwar einen Sieg erreicht, aber irgendwie fühlte es sich nicht wirklich so an.
"Ich gratuliere Ihnen", brach der Gewählte das Schweigen schließlich und lächelte zufrieden. "Das wäre geschafft."
Das Lächeln milderte sich ein wenig. "Aber der schwierige Teil kommt erst. Morgen früh werden wir zum Lager der Anla'Shok fliegen."
Sinclair nickte nur. "Gut."
Fortsetzung: Kapitel 27
Jennifer Fausek
30.10.2002
Website von Jennifer Fausek
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