Rhiannons Geschichte (2. Band): 29. Kapitel
(von Jennifer Fausek)
Nach Beendigung des Treffens gingen Sinclair, Jenimer und Rhiannon zu den Trainingssälen im Kellergeschoss des Schulungs- und Bürogebäude. Rathenn und Ulkesh blieben zurück.
In der Mitte des Trainingssaals stand der beeindruckendste Minbari, den Sinclair je gesehen hatte. Der Krieger war sogar noch größer als Neroon oder er, Sinclair, selbst.
Er trug einfache, beinahe schlampig aussehende Kleidung die sehr untypisch für einen Minbari war und die im krassen Gegensatz zu seiner würdevollen Haltung stand.
Die meisten Minbari zogen hübsch gearbeitete, bestickte Kleidungsstücke vor, denn sie hatten einen ausgeprägten Sinn für Ästhetik.
"Anla'Shok Na, das ist F'hursna Sech Duhran", stellte Jenimer den Krieger vor.
Löwenhafte Kraft und Eleganz zeigte sich in Duhrans Bewegungen, als er sich vor dem Gewählten verneigte. Vor Sinclair verbeugte sich Duhran nicht, also verneigte sich auch Sinclair nicht.
"Der Gewählte hat mich daran erinnert, dass Valen wollte, dass alle Anla'Shok im Umgang mit dem Denn'bok unterrichtet werden", sagte Duhran im knappen minbari der Kriegerkaste. "Und zwar von einem F'hursna Sech.
Aber kein Lehrer, erst recht kein Meisterlehrer würde sich dazu herablassen, Unwürdige zu unterrichten. Das würde diese uralte Kunst beschmutzen. Ich bezweifle, dass sich die Menschen als würdig erweisen werden."
Sinclair wollte etwas darauf erwidern. Da gab es ein metallenes Geräusch, und Rhiannon griff Duhran an. Der Krieger seinerseits hatte sein Denn'bok auch schon bei der Hand und wehrte Rias Schlag gekonnt ab.
Schon befanden sich die beiden mitten im heftigsten Kampf, bei dem es so schien, als ginge es um Leben und Tod. In atemberaubender Geschwindigkeit klirrten die Kampfstäbe wieder und wieder gegeneinander.
Im ersten Moment war Sinclair zu schockiert und verwundert um in irgendeiner Weise zu reagieren. Aber ihm war klar, dass es reiner Selbstmord gewesen wäre, sich in diesen irrsinnigen Kampf einzumischen.
Besorgt fragte sich Sinclair, wie lange sich die kleine Rhiannon noch gegen Duhran behaupten können würde.
Doch sie schien damit offenbar kein Problem zu haben, obwohl die Kräfteverhältnisse so ungleichmäßig verteilt waren.
Ob er wohl intervenieren sollte? Ein Wort von ihm würde genügen, um diesen wahnsinnigen Kampf zu beenden.
Sinclair öffnete den Mund um etwas zu sagen, da bemerkte er, wie Jenimer fast unmerklich den Kopf schüttelte und beschloss deshalb, zu schweigen.
Als sich die beiden Kämpfenden einmal kurz belauerten, stellte Sinclair fest, dass in Rhiannons und Duhrans Augen nicht die kleinste Spur von Hass, ja nicht einmal Wut zu sehen war.
Ganz im Gegenteil, sie schienen sogar großen Spaß an ihrem Kampf zu haben. Sie wirkten wie Kinder bei einem Spiel.
Wenn das ein Spiel sein soll, wie sieht dann ein richtiger Kampf aus? dachte Sinclair mit einigem Unbehagen, als die beiden wieder aufeinander losgingen.
Sie waren wesentlich besser trainiert als die Minbari, denen er im Krieg begegnet war. Sein Respekt vor ihren Fähigkeiten wuchs.
Dann, von einer Sekunde zur nächsten, endete der Kampf so plötzlich, wie er begonnen hatte. Es war so, als wäre überhaupt nichts geschehen.
"Ich bin ein Mensch, und mir haben Sie noch nie vorgeworfen, ich sei unwürdig." In Rhiannons Augen glomm eine Spur von Boshaftigkeit. "Sie sollten Anla'Shok Na eine Chance geben. Denn wie heißt es so schön: Du sollst einen Krieger oder eine Kriegerin nicht schon vor dem ersten Kampf für würdig oder unwürdig erachten."
Duhran lachte dröhnend und versetzte ihr einen leichten Knuff. "Du bist mir vielleicht eine! Na schön, er soll seine Chance bekommen."
Ria verneigte sich vor ihm. Sie grinste sichtlich zufrieden, als sie Sinclair ihr Denn'bok in die Hand drückte.
"Viel Glück", flüsterte sie ihm zu.
Sie gab ihm noch einen aufmunternden Klaps auf die Schulter. Dann trat sie rasch beiseite und stellte sich neben Jenimer.
Sinclair wiegte das Denn'bok prüfend in den Händen. Es war etwas schwerer als das hölzerne Bo, der asiatische Kampfstab, mit dem er früher manchmal trainiert hatte.
Schon begann Duhran ohne weitere Vorwarnung den Kampf. Er gab Sinclair gar nicht erst die Gelegenheit, von der Verteidigung zum Angriff überzugehen.
Er trieb ihn systematisch Schritt für Schritt immer weiter zurück. Es fiel Sinclair nicht leicht, Duhrans Schläge abzuwehren. Der Krieger legte einiges an Kraft in seine Angriffe, auch wenn es nur ein Test war.
Sinclair war klar, dass er diesen Kampf auf jeden Fall verlieren würde. Nicht nur das. Wenn Duhran es darauf anlegte, konnte er ihn ernsthaft verletzen oder ihn gar töten.
Duhran hebelte Sinclair aus und ließ ihn hart zu Boden segeln. Sinclair landete sehr unsanft, nicht gerade auf die würdevollste Art für einen Anla'Shok Na.
Mit einer gekonnten Rolle rückwärts und dem Kampfstab in den Händen kam er aber gleich wieder auf die Beine. Er erwartete Duhrans nächsten Angriff.
Aber der Krieger stand nur gelassen auf sein Denn'bok gestützt da und schien nicht die Absicht zu haben weiter zu kämpfen.
Von dem Sturz taten Sinclair der Rücken und die Arme weh. Er war sich sicher, dass er ein paar blaue Flecken abbekommen hatte.
Er war nur froh, dass Duhran im Kampf nicht ernst gemacht hatte. Sonst wäre die ganze Sache bestimmt nicht so glimpflich ausgegangen.
Sinclair warf Rhiannon ihr Denn'bok zu, die es geschickt auffing. Sie steckte es mit einer kleinen Verbeugung und einem verschmitzten Lächeln weg.
Duhran steckte seinen Kampfstab nun ebenfalls weg. "Die Menschen werden im Umgang mit dem Denn'bok unterrichtet.
Aber Valen hat nie gesagt, dass alle Anla'Shok auch ein Denn'bok besitzen müssen. Das Training wird beginnen. Sie, Anla'Shok Na werde ich persönlich unterrichten."
Sinclair neigte den Kopf kurz. "Das ist sehr freundlich von Ihnen, aber bei allem Respekt, ich muss Ihr Angebot ablehnen."
Duhran runzelte die Stirn. "Warum?"
"Warum soll ich mich in einer Kunst unterrichten lassen, die ich dann ja doch nicht anwenden darf?" entgegnete Sinclair. "Warum die Zeit des Meisters verschwenden?"
"Sie werden ein Denn'bok besitzen dürfen", versicherte Duhran.
"Falls ich mich als würdig erweise", warf Sinclair ein.
"Es gibt keinen Zweifel, dass Sie das werden."
"Und was ist mit den anderen Anla'Shok?"
Duhran überlegte einen Moment. "Ich werde das Training der Menschen überwachen. Wenn ich welche sehe, die würdig sind, werde ich sie selbst unterrichten.. Nur sie werden dann ein Denn'bok besitzen dürfen."
"Werden sich welche als würdig erweisen?" Sinclair hatte schon zu viele Erfahrungen damit gemacht, dass Minbari nur die halbe Wahrheit sagten und die wichtigen Details verschwiegen, als dass er so eine vage Anwort akzeptieren konnte.
Duhran lächelte, aber nur leicht, das erste Mal während dieser Begegnung überhaupt. "Ich denke schon, aber nicht alle, genau wie sich auch nicht alle Minbari als würdig erweisen werden..."
Sinclair erwiderte das Lächeln. "In dem Fall ist es mir eine Ehre, Ihr Schüler zu sein."
"Das ist gut." Jenimer war ganz offenbar sehr zufrieden über diese Einigung. "Ich werde..." Er unterbrach sich mitten im Satz. Er sah aus, als hätte ihn etwas erschreckt
Dann brach er zusammen.
Rhiannon ignorierte jedes Protokoll und fing den Gewählten auf, damit er nicht schwer zu Boden stürzte. Gemeinsam sanken sie auf die Matten.
Duhran lief zu ihnen, während Sinclair zur nächsten Kom-Station an der entfernten Wand rannte, um einen Arzt zu rufen.
Er wollte gerade die Verbindung zur Krankenstation im zweiten der drei Tempel herstellen, doch da hielt Jenimers Stimme ihn zurück.
"Botschafter, nicht."
Sinclair drehte sich um und sah, wie Duhran und Rhiannon Jenimer wieder auf die Beine halfen. "Gewählter, der Arzt..."
"...wird nicht gebraucht." Jenimer versuchte zu lächeln. Er war sehr blass und immer noch deutlich geschwächt.
"Sie brauchen medizinische Betreuung", sagte Sinclair besorgt. Er war ein wenig erschrocken über den Schwächeanfall des Gewählten.
"Ich brauche nur Ruhe", entgegnete Jenimer erschöpft. "Bitte, lassen Sie es gut sein. Mein eigener Heiler kann mich später untersuchen."
"Aber Anla'Shok Na hat Recht", versuchte Rhiannon es, und sie sah ihn flehend an. "Sie brauchen einen Arzt."
Jenimer lächelte erneut, diesmal liebevoll und berührte sie sanft an der Wange. "Mach dir keine Sorgen. Der Graue Rat hat mich schließlich nicht wegen meiner unverwüstlichen Gesundheit zum Oberhaupt gewählt."
Es war die typische abmildernde Antwort eines Minbari gewesen. Die Diskussion war damit beendet. Jenimer ließ sich von Duhran wegbringen.
Rhiannons verzweifelter, trauriger Blick folgte ihnen. Sie wusste nur allzu gut, dass Jenimer Recht hatte, auch wenn sie es nicht wahrhaben wollte.
Als sie dann Sinclair in die Augen sah, erkannte sie, dass auch er den Sinn dieser Worte verstanden hatte.
Das erste, was Sinclair tat, als er in seine Quartiere zurückkam, war erst einmal lange und heiß zu duschen, um seine immer noch schmerzenden Muskeln zu entspannen.
Danach ging er, um einiges frischer und in einer sauberen Uniform, in sein Büro. Jemand hatte ihm inzwischen ein paar Datenkristalle auf den Schreibtisch gelegt. Es waren Berichte über die Aktivitäten der Schatten.
Sinclair überflog das gesamte Material rasch und runzelte dabei ungläubig die Stirn. Er konnte es kaum glauben. Die Aufzeichnungen waren detailliert und ausführlich, und zwar sehr viel ausführlicher, als er erwartet hatte.
Sinclair bestellte Rathenn und Rhiannon auf der Stelle in den Konferenzraum. Er hätte Jenimer auch gerne dabei gehabt, aber Rathenn hatte ihm gesagt, dass sich der Gewählte immer noch nicht gut fühlte und sich noch ausruhen musste.
Als Sinclair den Konferenzraum betrat, waren Rathenn und Rhiannon schon anwesend. Und auch Ulkesh, der offenbar von Rathenn über dieses Treffen informiert worden war.
Es wäre Sinclair lieber gewesen, wenn der Vorlone nicht bei dieser Besprechung dabei gewesen wäre, aber das ließ sich jetzt auch nicht mehr ändern.
"Ich frage erst gar nicht, warum ich darüber nicht schon viel früher informiert worden bin", sagte er düster.
Er hielt ihnen die Akten unter die Nase. "Wer hat Ihnen die Berichte über die Aktivitäten der Schatten in den letzten Jahren gegeben? Wieviele Personen sind schon getötet worden? Und wieso haben Sie den anderen Völkern davon nichts erzählt?"
"Die Schatten dürfen nicht erfahren, wieviel wir wissen", entgegnete Rathenn bestimmt. "Und sie dürfen auch auf keinen Fall in Erfahrung bringen, dass die Vorlonen unsere Verbündeten sind. Wir müssen uns gut überlegen, was wir zu wem sagen."
"Und wieviele Personen werden inzwischen unnötig sterben, nur weil sie nicht gewarnt sind?" Sinclair war aufgebracht.
"Jedenfalls weniger, als wenn die Schatten einen offenen Krieg beginnen, bevor wir bereit sind", antwortete Rathenn.
"Das sagt sich so leicht", knurrte Sinclair wütend. "Meine Verlobte ist irgendwo da draußen und weiß nichts von den Schatten!"
"Anla'Shok Na hat Recht", mischte sich Rhiannon nun ein. Sie sah ruhig in die Runde "Es ist nötig, dass wir die Vorbereitungen beschleunigen. Was ist zum Beispiel mit Babylon 5? Hat Delenn Captain Sheridan schon eingeweiht?"
Er ist noch nicht bereit, sagte Ulkesh.
"Wir befürchten, dass er mit den Leuten auf der Erde zusammenarbeitet, die womöglich Verbündete der Schatten sind", erklärte Rathenn.
"Wäre ich noch der Kommandant von Babylon 5, würden Sie jetzt genau das selbe über mich sagen, nicht wahr?" brummte Sinclair. "Es geht nicht darum, wer etwas tut oder warum. Es geht den Vorlonen doch nur darum, Informationen zu kontrollieren und sie für ihre Zwecke einzusetzen, habe ich nicht Recht, Botschafter Ulkesh?"
Aber es war nicht Ulkesh, sondern Jenimers Stimme im Hintergrund, die antwortete. "Ich hoffe, Sie vergeben einem alten Gelehrten der religiösen Kaste, wenn er in dem Fall auf der Seite der Vorlonen steht."
Sowohl Sinclair als auch Rhiannon drehten sich erstaunt zu ihm um. Ria erlaubte sich ein erleichtertes, frohes Lächeln.
"Ich bin nur ein Gelehrter und verstehe nicht viel von Taktik", fuhr Jenimer fort. "Aber ist es nicht taktisch klug, den Feind im Ungewissen zu lassen?"
"Doch natürlich", entgegnete Sinclair.
"Dann stimmen wir in dem Punkt also beide mit den Vorlonen überein."
"Aber es ist unklug, die Verbündeten im Dunkeln zu lassen", sagte Sinclair. "Sonst könnte es passieren, dass sich die Verbündeten plötzlich von einem abwenden."
"Ich muss Ihnen da zustimmen", erwiderte Jenimer.
"Ich muss meiner Verlobten eine Nachricht schicken. Ich muss ihr zumindest so weit helfen, dass sie am Leben bleibt und hier her kommen kann", erklärte Sinclair.
Sie müssen persönliche Dinge vergessen, sagte Ulkesh. Konzentrieren Sie sich statt dessen auf die Sache.
"Das ist unmöglich." Sinclair musterte ihn verärgert. "Weswegen sollten wir denn sonst kämpfen? Personen, die nur für eine Sache kämpfen laufen Gefahr, fanatisch zu werden oder den Grund zu kämpfen zu verlieren.
Aber Personen, die für ihre Familie, ihre Freunde, ihr Zuhause oder zum Wohle von uns allen kämpfen, werden lange und hart genug kämpfen um zu gewinnen, ohne sich selbst in der Gewalt oder der Sache selbst zu verlieren."
Sinclair sah Jenimer an. "Also, werden Sie mir erlauben, eine Nachricht zu senden?"
"Wir werden es versuchen." antwortete der Gewählte.
Als das Treffen beendet war, nahm Ria Sinclair unauffällig beiseite. Sie verließen das Gebäude gemeinsam. Sie wollten einen kleinen Spaziergang machen.
Der kühle Abendwind fegte über das Plateau. Ober ihnen glitzerten bereits die Sterne, und die Monde waren zu sehen.
"Wenn es sein muss, werde ich die Nachricht selbst überbringen", versprach Ria. "Ich weiß, wie hart es ist, wenn der Lebensgefährte in Gefahr ist und wie schwer es ist, wenn er oder sie nicht Bescheid weiß."
"Ich danke dir." Sinclair lächelte dünn. Dann sagte er: "Du scheinst die Vorlonen nicht sehr zu mögen."
Rhiannon zögerte. "Ich habe bisher erst zwei Vorlonen kennengelernt. Aber es stimmt, denen beiden traue ich nicht."
Damit ging sie.
Fortsetzung: Kapitel 30
Jennifer Fausek
30.10.2002
Website von Jennifer Fausek
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