Rhiannons Geschichte (2. Band): 46. Kapitel
(von Jennifer Fausek)
Es dauerte mehr als eine Stunde, bis die beschädigten Weißer Stern Schiffe wieder zu ihrem Mutterschiff zurückgebracht worden waren.
Sinclair, Rhiannon und Marcus wurden sogleich vom medizinischen Personal zur Krankenstation gebracht, um ihre Verletzungen zu versorgen.
Sinclair ließ seinen Schock, den er erlitten hatte, bereitwillig behandeln. Aber er weigerte sich, die Wunde, die er an der Schläfe erlitten hatte, zu versorgen. Und er ruhte sich auch nicht aus, trotz der Proteste der Ärzte, er müsse sich schonen.
Trotz allen guten Zuredens weigerte er sich, etwas zu essen, und er schlief auf dem gesamten Flug kaum.
Ein einziger Gedanke ging Sinclair wieder und wieder durch den Kopf: Cathrenes Schiff war bei dem Zeitsprung intakt gewesen. Sie konnte - nein, sie musste - überlebt haben.
Es stellte sich nur die Frage, in welche Zeit sie versetzt worden war.
Erschöpft setzte sich Sinclair auf sein Bett im Schlafsaal des Schiffes. Er hatte die Ellbogen auf die Knie aufgestützt und das Gesicht in den Händen vergraben.
Nicht einmal weinen konnte er in dem Moment, und das machte ihn noch viel wütender, als er ohnehin schon war.
Er spürte den Ring, den Cathrene ihm zur Verlobung geschenkt hatte am Ringfinger seiner linken Hand.
In einer plötzlichen Gefühlsaufwallung nahm er den silbrigen Ring vom Finger von der Hand und schleuderte ihn gegen die Wand.
Genau in dem Moment kam Rhiannon herein. Der Ring flog nur knapp neben ihr an die Wand, spickte weg und blieb schließlich einen Meter von ihr entfernt liegen. Wie durch ein Wunder war er heil geblieben.
Ria hob das Schmuckstück auf und betrachtete ihn nachdenklich. "Sie wollen diesen Ring doch nicht einfach so wegschmeißen."
"Wen kümmert es schon?" Sinclair sah sie forsch an. "Cathrene ist tot."
Sie kam näher. "Das lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Es gibt weder einen Beweis dafür, dass sie tot ist, noch dafür dass sie noch am Leben ist."
Sinclair blieb für einen Moment die Luft weg.
"Der Gedanke beschäftigt mich auch schon die ganze Zeit", gab er zu. Er legte sein Gesicht kurz in seine Hände. "Und es macht mich noch ganz verrückt, dass ich nicht weiß, ob sie wirklich noch lebt, wie ich hoffe oder ob sie tot ist"
"Ich denke, hier stellt sich nicht die Frage, ob sie lebt, sondern wann sie lebt." Rhiannon gab Entil'zha den Ring zurück. "Sie ist auf jeden Fall noch irgendwo da draußen. Wir müssen nur wissen, wo wir sie suchen müssen."
Sinclair seufzte schwer. "Und wie, glaubst du, können wir herausfinden, wo und in welcher Zeit sich Cathrene befindet?"
Sie runzelte die Stirn, während sie nachdachte. "Wir können es nicht. Aber es gibt jemand, der das kann."
Sinclair starrte das Schmuckstück in seiner Hand an und blickte dann nachdenklich zu Rhiannon auf. "Die Vorlonen."
Sie nickte leicht. "Ja, Sie sollten mit ihnen reden."
Er schüttelte den Kopf. "Nein, wir werden mit ihnen reden. Du wirst mich begleiten."
Ria verneigte sich tief. "Wie Sie wünschen, Entil'zha."
Kaum waren sie im Lager der Anla'Shok angekommen, berief Sinclair eine Sitzung mit Satai Rathenn und Botschafter Ulkesh ein. Ria nahm auf seinen Wunsch hin ebenfalls daran teil.
"Entil'zha, die Heiler sagen, wenn sie die Verletzung im Gesicht nicht behandeln lassen, wird eine Narbe zurückbleiben", begann Rathenn förmlich. "Und es würde dann sehr schwer werden, sie zu entfernen..."
"Die Wunde wird von selbst heilen", knurrte Sinclair barsch. "Es gibt jetzt weitaus wichtigere Dinge zu besprechen."
"Aber Entil'zha", fuhr Rathenn beharrlich fort. "Es ist nicht unbedingt vorteilhaft, wenn ein Oberhaupt von Ihrem Rang eine solche physische Verunstaltung hat, wenn sie sich doch so leicht beheben ließe. Sie sind ein Symbol..."
"Ich will nicht weiter darüber reden", schnappte Sinclair zurück. "Und ich will auch, dass die Ärzte mich damit in Ruhe lassen!"
Rathenn wollte weiter protestieren, aber als er den Ausdruck in Entil'zhas Gesicht sah, hielt er es für klüger, das besser nicht zu tun.
"Also", grollte Sinclair und zog finster die Brauen zusammen. "Ich will jetzt einen vollständigen Bericht darüber, was mit der Zeitspalte geschehen ist."
"Die Explosion hat weitaus größeren Schaden an dem Durchgang angerichtet, als wir zuerst gedacht haben", erklärte Rathenn und faltete die Hände. "Weil Draal die Technologie eingesetzt hat, ist auch er verletzt worden."
"Wann kann der Durchgang wieder geöffnet werden?"
Rathenn blickte verstohlen zu Ulkesh, der immer noch still dastand. "Draal wird einige Zeit brauchen, um das Tor wieder zu reparieren."
"Sobald es repariert ist, werde ich hinter Cathrene her fliegen..."
Nein, ertönte Ulkesh' synthetische Stimme. Sie ist fort, und sie kann nicht mehr zurückkehren.
"Das können Sie nicht wissen!" Sinclair funkelte ihn wütend an. "Es besteht die Möglichkeit, dass sie überlebt hat!"
"Selbst wenn das der Fall sein sollte - was sehr unwahrscheinlich ist", entgegnete Rathenn sanft. "Wo wollen Sie sie denn suchen? Sie könnte zu jedem Zeitpunkt existieren."
"Aber Draal müsste doch eine Ahnung haben, in welchem Jahr oder Jahrhundert oder Jahrtausend sie gelandet ist."
Rathenn schüttelte den Kopf. "Das Zeitportal war in dem Moment nicht unter seiner Kontrolle."
Es ist irrelevant, sagte Ulkesh unbeteiligt.
"Irrelevant!?!" schrie Sinclair. Mit einem Satz war er bei ihm. "Sie kaltblütiger Mistkerl!"
Sofort stellte sich Rhiannon zwischen die beiden, um zu verhindern, dass der Vorlone Entil'zha in irgendeiner Form schaden konnte - was an und für sich eigentlich völlig zwecklos war.
Ulkesh verfügte, wie vermutlich alle Angehörigen seines Volkes über ein großes telepathisches Potential und auch über telekinetische Kräfte, und er konnte Sinclair deshalb ohne große Anstrengung etwas antun, wenn er das wünschte.
Rathenn sah Sinclair richtiggehend flehend an. "Entil'zha, bitte. Selbst für Draal ist es unmöglich, jemanden der in dem Zeitportal verschollen ist, wieder zurückzuholen, mit oder ohne Stabilisator. Das Tor wird per Zufall gesteuert."
"Und warum hat uns das keiner gesagt?" fauchte Sinclair.
Rathenn schien zu glauben, dass die Antwort offensichtlich war. "Wir hatten keinen Grund zu der Annahme, dass es während dieser Mission zu einem Zeitsprung kommen würde."
Das war zuviel für Sinclair. Er wirbelte herum und floh förmlich aus dem Konferenzraum. Rhiannon warf Ulkesh einen vernichtenden Blick zu, bevor sie ebenfalls davon hastete und Entil'zha folgte.
Sinclair lief blindlings einfach immer weiter. Hatte der Vorlone Recht? Gab es wirklich keine Möglichkeit, keine Hoffnung, Cathrene jemals wieder zurückzuholen? Wieder und immer wieder gingen ihm diese Fragen durch den Kopf.
Seine eigene Sicherheit war Sinclair völlig egal. Aber ihm war klar, ohne einen Weg zurück finden zu können war das Risiko einfach zu groß, selbst für ihn und erst recht für einen anderen.
Sinclair sah sich unvermittelt um und bemerkte, dass er vor dem ersten Tempel stand, der von den menschlichen Anla'Shok auch ,Kapelle' genannt wurde.
Da er nicht wusste, wo er sonst hin sollte, betrat er die Eingangshalle. Außer ihm war niemand sonst hier.
Er setzte sich auf eine Bank direkt bei der Statue von Valen und seufzte. Die Tür wurde leise geöffnet und gleich darauf wieder geschlossen.
Sinclair reagierte nicht darauf. Er hörte keine Schritte sondern fühlte erst einen Luftzug, als sich jemand neben ihn setzte.
"Die Sache mit Cathrene tut mir sehr Leid", sagte Rhiannon leise.
Sinclair fühlte, wie ihm Tränen in die Augen traten. Um zu verhindern, dass er wirklich weinte, sah er an der Statue von Valen hoch und blinzelte.
Das letzte Mal, als er beim Tempel gewesen war, hatte er eine Gruppe vielversprechender junger Männer und Frauen zu Anla'Shok vereidigt.
Er hatte sich dabei vorgestellt, wie er eines Tages Cathrene das Versprechen geben würde, und er hatte sich dabei die Freude in ihrem Gesicht bei ihrer eigenen Feier ausgemalt...
"Freude, Respekt und Mitgefühl", sagte Sinclair plötzlich mit erstickter Stimme.
"Ich bitte um Vergebung, Entil'zha." Ria runzelte die Stirn. "Ich verstehe nicht ganz."
"Freude, Respekt und Mitgefühl", wiederholte er. Seine Stimme zitterte. "Das hat Valen vor tausend Jahren die Anla'Shok gelehrt. Es wurde viel über Valens Respekt und sein Mitgefühl anderen gegenüber berichtet.
Aber es ist nichts darüber bekannt, was ihm Freude bereitet hat oder ob er überhaupt Freude empfunden hat."
"Ich denke schon, dass es Dinge gibt, an denen er Freude hat", entgegnete Rhiannon. Sie blickte an der steinernen Statue hoch. "Und ich denke, er weiß nur zu gut, wie wichtig es ist, trotz allem Freude an dem zu haben, was ist und was wir tun."
Sie sah nun offen zu ihm, und er konnte ihre unerschütterliche Gelassenheit spüren. "Und Sie wissen das auch, Entil'zha."
Er schnappte nach Luft, um seine Gefühle unter Kontrolle zu halten. Ihre letzten Worte versetzten ihm einen Schock.
"Woher willst du das wissen?" fragte Sinclair, als er sich endlich dazu überwinden konnte, ihr ins Gesicht zu sehen.
Rhiannon deutete ein Lächeln an. "Sie sind Entil'zha."
Völlig durcheinander ging Sinclair in seine privaten Quartiere. Er war so in Gedanken versunken, dass er erst nicht merkte, dass er nicht alleine war.
Als er sich schließlich umdrehte, stand Kosh vor ihm.
"Was tun Sie hier?" fragte Sinclair verblüfft. Er erkannte Kosh nicht nur, weil er einen anderen Schutzanzug wie Ulkesh trug. Kosh vermittelte auch ein anderes Gefühl. Es war irgendwie melodisch und friedlich.
Mein Beileid aussprechen, antwortete Kosh, nachdem er Sinclair erst einmal lange betrachtet hatte.
"Ich danke Ihnen." Das war so ziemlich das letzte, was Sinclair erwartet hatte.
Es war nicht vorauszusehen. Aber Sie müssen weitermachen.
"Weitermachen?" Sinclair schrie dieses Wort fast heraus. Konnten sie ihn nicht wenigstens einmal für einen Moment alleine lassen und aufhören Druck auf ihn auszuüben? Konnten sie ihm nicht einmal die Zeit geben um zu trauern?
"Warum soll ich weitermachen? Weswegen bin ich für die Vorlonen so wichtig? Und erzählen Sie mir jetzt bloß nicht diesen Mist, dass ich einen minbarischen Geist hätte und eine Prophezeiung erfüllen müsse. Das zieht bei mir nicht. Also: Warum gerade ich?"
Sie haben eine Rolle zu spielen.
"Es ist schwer für mich zu glauben, dass ich der einzige sein soll, der das kann." Sinclair stemmte die Hände in die Hüfte. "Ich hatte bisher immer den Eindruck, wir unbedeutenden Menschen und Minbari sind für die Vorlonen sehr leicht austauschbar."
Nur Sie können die Rolle spielen, wie es notwendig ist. Nur Sie werden den Unterschied sehen.
"Ich nehme nicht an, dass Sie mir das erklären werden."
Kosh antwortete nicht.
Sinclair nickte langsam und ließ seine Hände sinken. "Na schön. Ich werde weitermachen. Aber nur, weil ich so Leben retten kann. Und weil ich eines Tages die Wahrheit herausfinden will."
Wieder entgegnete Kosh nichts darauf. Da stellte Sinclair endlich die Frage, die ihm schon die längste Zeit auf der Zunge lag. "Werde ich Cathrene jemals wiedersehen?"
Kosh drehte sich um und ging. Sinclair sah ihm mit bitterer Enttäuschung hinterher. Er war ein Idiot gewesen auch nur zu glauben, er würde eine Antwort bekommen.
Aber als sich die Tür hinter Kosh schloss, hörte Sinclair, dass er noch etwas sagte. Ob laut oder telepathisch ließ sich nicht feststellen.
Vielleicht.
Fortsetzung: Kapitel 47
Jennifer Fausek
30.10.2002
Website von Jennifer Fausek
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